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Arbeitskult und Wirklichkeit

Streiflichter aus der real existiert habenden DDR(1 [1])

Arbeit: zweckmäßige, bewußte Tätigkeit des Menschen, in der er mit Hilfe von Arbeitsmitteln Arbeitsgegenstände verändert und sie seinen Zwecken nutzbar macht. Die Arbeit ist in allen Gesellschaftsformationen unerläßliche Existenzbedingung des Menschen… (2 [2])

Gerd Bedszent

Zu Zeiten, da in Osteuropa ein Land namens DDR existierte, empfanden die glücklichen Westler größtenteils Mitleid mit den armen dummen Ossis, die, stalinistisch gegängelt, viel zuviel arbeiten mußten und in ihrem grauen Zonenalltag kaum Möglichkeiten hatten, die Früchte ihrer harten Arbeit zu genießen. Nach 1990 schlug diese Meinung ganz schnell um in Verachtung für die faulen Zonis, die – anstatt sozialistisch auf der faulen Haut zu liegen – nun erst einmal richtig arbeiten lernen müßten.

Im Osten wiederum gierte man in all den Jahren, das westliche Werbefernsehen stets vor Augen, nach den Segnungen des trotz (mehr oder minder) saurer Arbeit keinesfalls erreichbaren Konsums – und ward nach 1990 mit den verachteten Alu-Chips zum bassen Erstaunen zugleich die geachtete Arbeit los.

Zwei unterschiedliche Traditionen, die fast über ein halbes Jahrhundert Zeit hatten, sich zu festigen, konstituieren die Beziehung des Individuums zur Arbeit in Neu-Groß-Deutschland. Sie sorgen gegenwärtig nicht nur für Miß- und andere Verständnisse, sondern bilden unter Umständen auch eine gewisse Hypothek auf die Zukunft – davon später.

Zunächst der ökonomische Fall DDR – und zwar Fall in des Wortsinns doppelter Bedeutung: Die Volkswirtschaft des kleineren deutschen Staates lebte durchgängig – wenn dies auch zu verschiedenen Zeiten verschiedene Formen annahm – in ein und demselben Widerspruch. Besser, in ein und demselben ewigen Dilemma: Wie funktioniert Warenproduktion ohne freie Konkurrenz des Marktes? (Nämlich eben nicht…) Dieses Dilemma hatte seine Entsprechungen in jedem Bereich der Gesellschaft, in der Preisbildung ebenso wie in der Kulturpolitik, in der Altbausanierung ebenso wie im Pressewesen, und prägte gerade und erst recht die Arbeitswirklichkeit – und den Arbeitskult in der DDR.

Die Verfaßtheit des Gemeinwesens als »Arbeiter- und Bauernstaat« – in der Praxis zwar obsolet, doch politisch-ideologische Verpflichtung – verbot es, Konkurrenz zum ökonomischen Funktionsprinzip zu machen. Insbesondere die Ware Arbeitskraft war davon ausgenommen. Also: kein freier Arbeitsmarkt, keine Arbeitslosigkeit und damit kaum individueller Leistungsdruck. Im Gegenteil: geringe Spanne zwischen niedrigen und höheren Einkommen, starke soziale Absicherung und daher eine in sozialökonomischer Sicht im wesentlichen egalitäre Gesellschaft.

Wie auf dieser Basis eine warenproduzierende Ökonomie mit ihren gesellschaftlichen Zwängen in Gang halten?

Außerökonomische Mittel bildeten durchgängig – wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten in verschiedener Gestalt – den Dreh- und Angelpunkt des Arbeitslebens in der DDR, nicht zuletzt auch der Arbeitspolitik. An die Stelle der allgegenwärtigen Konkurrenz trat die Anleitung und Kontrolle des arbeitenden Individuums durch den Staatsapparat und die »gesellschaftlichen Organe«. Arbeit erschien als das Leben an sich – die Stellung des einzelnen dazu als Teilhabe am gesamtgesellschaftlichen Prozeß. Der Befund jedoch ist paradox: je totaler die staatlich gesteuerte Integration des Individuums in die Arbeitsgesellschaft – desto geringer die Verinnerlichung des Zwangs zu Arbeit und Leistung als Lebenszweck und desto leichter und häufiger das temporäre Abtauchen des einzelnen in die Nischen des Arbeitsalltags, in denen eine Vielfalt der Lebensfreiheiten überdauerte, die im »freien Westen« rigoros ausgetrieben wurden.

Die Kategorien der realsozialistischen Wirtschaft (Wert, Preis, Gewinn …) entstammten durchweg dem System der kapitalistischen Warenproduktion – das Ausbeutungsverhältnis »Arbeit« beseitigt man eben nicht, indem man »Profit« in »Gewinn« umtauft. Daß bereits in der Prämisse, Arbeitsproduktivität als Maßstab für das Funktionieren oder Nicht-Funktionieren einer Gesellschaft anzunehmen, der Wurm steckte, hat im Ländle DDR jedoch kaum jemand begriffen. Als irgendwann das Nicht-Funktionieren der Wirtschaft so deutlich wurde, daß es selbst der dümmste Apparatschik begriff, besann man sich immer mehr auf Funktionsweisen der Gesellschaft, die man durch etwas gänzlich Neues ersetzt zu haben glaubte.

Es war zu spät. Der Zusammenbruch des Jahres 1989 fegte nicht nur das Primat der Politik über die Ökonomie, sondern zuerst das ganze Land und dann auch die Reste seiner – bereits arg gebeutelten – Wirtschaft hinweg. Zurück blieben ein paar Millionen Menschen, von denen die meisten bis heute nicht begriffen haben, was ihnen eigentlich widerfahren ist.

Der große Zusammenbruch von 1989 liegt nun zehn Jahre zurück – eine ausreichend lange Zeitspanne für ein Überdenken und eine bislang nicht geführte Diskussion: Wirkten in der DDR die Zwänge der Arbeitsgesellschaft weniger gravierend – war die Arbeit weniger verinnerlicht, als dies oberflächlich den Anschein hatte? Welche Unterschiede, welche Gemeinsamkeiten bestanden zwischen staatlicher Lenkung der Warenproduktion und der totalen Herrschaft des Marktes?

3 [3])

Am Anfang stand der Krieg. Die DDR konnte während der gesamten Dauer ihrer Existenz die Herkunft aus Besatzungsregime und wirtschaftlichem Chaos der Nachkriegszeit nicht abstreifen. Bei Staatsgründung bestand ein großer Teil der Bevölkerung aus ehemaligen NS-Mitläufern, die sich an das neue Regime angepaßt hatten. Die nächste Generation, die mit der DDR heranwuchs, hatte die Beseitigung der Kriegszerstörungen und den wirtschaftlichen Umbau infolge der Teilung Deutschlands als entscheidendes Grunderlebnis. Die Arbeit als gesellschaftliches Verhältnis grundsätzlich in Frage zu stellen lag ihnen völlig fern. Vorstellungen von einem »anderen Leben und Arbeiten«, wie sie als Folge der 68er Bewegung gelegentlich über die geschlossene Grenze schwappten, wurden pauschal als Randerscheinungen des dekadenten, niedergehenden Imperialismus angesehen oder als Infiltration feindlicher Ideologien verdammt.

4 [4]) eine wesentliche Rolle.

5 [5])

Nach Beseitigung der unmittelbaren Kriegsschäden bemühte sich die DDR-Führung um den Aufbau einer Wirtschaftsmacht, die sowohl in ihrer industriellen Substanz als auch gemessen an den Effektivitätskriterien der kapitalistischen Warenproduktion dem »westdeutschen Klassenfeind« gewachsen sein sollte. Die dazu erforderliche Disziplinierung der Lohnarbeiter nach fordistischem Vorbild – überreiches Konsumangebot für den, der Arbeit und damit auch Geld hat, verbunden mit der ständigen Drohung des Arbeitsplatzverlustes und dem damit verbundenen sozialen Absturz – war ideologisch nicht gewollt und aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Schwäche der DDR wohl objektiv auch nicht durchsetzbar.

Bis Anfang der 50er Jahre regierte in der DDR-Industrie der unmittelbare Zwang. Nicht nur der Staatsapparat, sondern auch ein Großteil der Wirtschaft befand sich unter direkter Kontrolle der sowjetischen Besatzungsmacht. Mangelnde Arbeitsleistung konnte in dieser Zeit durchaus als »Sabotage« gewertet werden, was oft Inhaftierungen zur Folge hatte. Bewußte Mehrleistungen erreichte man damit freilich nicht. Nach dem Tode Stalins wurde der Druck nach und nach gelockert.

In der späten Ulbricht-Ära wurde hauptsächlich mit den Mitteln der politisch-ideologischen Beeinflussung versucht, die Werktätigen zu höheren Arbeitsleistungen anzuspornen. Dies funktionierte allerdings nur bei einer Minderheit – und auch bei denen nicht auf Dauer. Versprechungen auf eine bessere Zukunft machen halt allein nicht satt. Die betreffenden Arbeiter waren bald als »Normbrecher« verschrien und äußerst unbeliebt – was sie dann irgendwann dazu bewog, sich wieder dem üblichen Arbeitstempo anzupassen.

6 [6]) Die nicht leistungsabhängig entlohnten Berufsgruppen hatten keine besondere ökonomische Motivation, was ständige Reibereien innerhalb der Betriebe zur Folge hatte. Wenn die Produktionsvorbereitung nicht nachkam oder der Materialzufluß nicht funktionierte, standen eben auch die im Stücklohnakkord arbeitenden Abteilungen still.

Als Ergänzung zum System leistungsorientierter Entlohnung wurden in allen Betrieben und Einrichtungen der Volkswirtschaft Prämienfonds eingerichtet; dazu kam noch eine Unmenge von Titeln und Orden. Da die Vergabe jedoch entweder nach mehr oder weniger willkürlichen Kriterien oder aber nach dem Prinzip »Streusandbüchse« erfolgte, wurde dieses System von Prämien und Auszeichnungen nie so recht ernst genommen. An den unter westlich-kapitalistischen Verhältnissen herrschenden Leistungsdruck kam die DDR-Wirtschaft auch in der Ära der NÖSPL in keinem Fall heran. An die Stelle von Zuckerbrot und Peitsche war die Kunsthonigschrippe getreten: Die Warendecke des DDR-Binnenmarktes konnte mit dem wachsenden Einkommen der Bevölkerung nicht Schritt halten. Während deren Sparkassenkonten wuchsen und wuchsen, liefen die prämierten Bestarbeiter tagelang nach Ersatzteilen für ihren Trabbi herum oder mußten sich auf dubiose Tauschgeschäfte auf dem Schwarzmarkt einlassen. Die »Mark der DDR« erwies sich als ökonomisches Stimulans als ungeeignet.

Der Versuch des NÖSPL mußte scheitern. Denn eine warenproduzierende Gesellschaft ohne freien Markt stabil aufzubauen ist genauso unmöglich, wie Marktbeziehungen langfristig sozial zu gestalten. Die staatliche Planung .. der Volkswirtschaft – Grundprinzip der realsozialistischen Ökonomie – erwies sich mit den angestrebten Methoden der Selbstregulierung als unvereinbar. Die Kategorien der Warenproduktion unterliegen ihren eigenen verdinglichten Gesetzmäßigkeiten, die sich letztlich über die Marktkonkurrenz durchsetzen müssen, und nicht den willkürlichen Festlegungen einer Staatsbürokratie. Eine Neubewertung des WareGeld-Systems der DDR-Wirtschaft wäre nur auf der Grundlage von Weltmarktpreisen möglich gewesen – was ein Ende der Planwirtschaft und den Triumph des Marktes bedeutet hätte und daher aus ideologischen Gründen nicht in Frage kam. Bis 1989 nicht.

Die meisten »Aktivisten« und »Helden der Sozialistischen Arbeit« verscheuerten schließlich 1990/91 ihre Sammlung von Auszeichnungen für harte Westmark an japanische Touristen. (So wurde der materielle Vorteil doch noch erreicht – freilich zu spät und auf eine ganz andere Weise als gedacht.)

7 [7])

Die »führende Rolle der Arbeiterklasse« war oberster ideologischer Grundsatz der DDR-Gesellschaft. Daß zwischen diesem Grundsatz und der Wirklichkeit Welten klafften, gehörte zu den Themen, an die nicht gerührt werden konnte. Die zitierte Losung war Programm: Die Beteiligung der Arbeiterklasse an Leitung und Planung der Produktion sollte die Entfremdung als gesellschaftliches Verhältnis aufheben und bewirken, daß sich der Produktionsarbeiter mit seiner Rolle in der Gesellschaft positiv identifizierte.

Die gesamtstaatlich-zentralistische Lenkung und Leitung der Produktion reagierte äußerst allergisch auf nachträgliche Eingriffe in den bereits verabschiedeten Plan. Als regulierendes Element zur Vermeidung von »Fehlplanungen« waren »Plandiskussionen« in den Arbeitskollektiven vorgesehen – wodurch die Beschäftigten gleichzeitig in den Planungsprozeß einbezogen werden sollten. Der Un-Sinn bestand darin, daß die in Geldform, also auf der Basis von Marktkategorien vorgegebenen Plankennziffern eine Selbstbestimmung in Form bewußter Kommunikation zwischen den Produzenten bereits ausschlossen. Die Ergebnisse des Planungsprozesses standen also bereits fest und konnten lediglich noch »verbessert« und von groben Fehlern bereinigt werden.

8 [8])

Das Nichterfüllen von Planauflagen wurde kaum zugegeben, war aber relativ häufig. Das lag nicht nur an zu geringer Arbeitsleistung, sondern auch an Disproportionen innerhalb der gesamten Volkswirtschaft. Die DDR war einerseits von den Handelsbeziehungen mit den übrigen RGW-Staaten (vor allem der Sowjetunion) abhängig, andererseits jedoch über den Handel mit dem »nicht-sozialistischen Währungsgebiet« in den Weltmarkt eingebunden. Änderungen von Weltmarktpreisen oder das Nichterfüllen von Vertragsleistungen der RGW-Partner zogen sich wie Rattenschwänze durch die gesamte Volkswirtschaft. Wurden die erforderlichen Rohstoffe oder Halbzeuge nicht geliefert, mußte die Produktion kurzfristig umgestellt werden, was Verzögerungen mit sich brachte. Die jeweilige Betriebsleitung beantragte daraufhin eine nachträgliche Plankorrektur, die im Regelfall bestätigt wurde.

Eine Plankorrektur mußte jedoch auch dann beantragt werden, wenn infolge außergewöhnlich günstiger Umstände die Produktionsergebnisse wesentlich über dem Plan lagen. Der propagierte »Kampf um die tägliche Planerfüllung« geriet so zur Farce – die angestrebte Identifikation der Beschäftigten mit den Ergebnissen ihrer Arbeit war auf diesem Wege nicht herstellbar. Mit zunehmenden Krisenerscheinungen der DDR-Ökonomie in den 80er Jahren ließ sich oft nicht mehr auseinanderhalten, ob es sich bei Produktionsstillständen um »echte« Reibungsverluste der Planwirtschaft oder um versteckte Arbeitsverweigerungen handelte. Manchmal um beides. Das eröffnete den Beschäftigten weitere Spielräume im Arbeitsalltag.

9 [9])

Die ständige sinkende Qualität vieler Erzeugnisse war ein wesentliches Merkmal der realsozialistischen Industrie. Zum Teil hatte dies systembedingte Ursachen. Die technische Ausstattung der Betriebe wurde nicht regelmäßig ausgetauscht oder generalinstandgesetzt, sondern aus Ersparnisgründen meist bis zum Totalverschleiß gefahren.

Die Hauptursache lag jedoch nicht auf technischem Gebiet. Den im Stücklohnakkord schuftenden Arbeitern war der Gebrauchswert ihrer Erzeugnisse meist egal. Den nach Plankennziffern rechenschaftspflichtigen Betriebsleitern auch. Denn da die Preise nicht auf dem Markt gebildet, sondern nach staatlichen Preislisten festgelegt wurden, entzog sich die Qualität der Erzeugnisse jeder Bewertung. Die als Notbehelf eingeführte Festlegung von »Qualitätskennziffern« durch staatliche Kontrollorgane erfolgte mehr oder weniger willkürlich, da übergeordnete Institutionen in die Tätigkeit dieser Kontrollorgane ständig hineinregieren konnten.

Die Zunahme von nicht qualitätsgerechten Erzeugnissen führte zu einer steigenden Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem staatlichen Handel – aber auch zu Mindereinnahmen im Export, da DDR-Waren bei Qualitätsbeanstandungen niedrigere Weltmarktpreise erzielten. Daher kamen vorrangig hochwertige Erzeugnisse in den Export, während minderwertige Produkte im Inland angeboten wurden, was der Bevölkerung auf Dauer natürlich nicht verborgen blieb.

Mehrere Kampagnen zur Erhöhung der Qualität der Produktionserzeugnisse verebbten jeweils nach kurzer Zeit, denn an die Ursachen des Phänomens konnte nicht gerührt werden. Da im Realsozialismus die für die Warenökonomie charakteristische Trennung von Produzenten und Konsumenten aufrechterhalten und lediglich einer staatlichen Verwaltung unterworfen wurde, handelte ein und derselbe DDR-Bürger durchaus systemisch konsequent, wenn er einerseits mit möglichst geringem Arbeitsaufwand Schrott produzierte und sich andererseits nach Feierabend beim Einkauf über die schlechte Qualität der angebotenen Waren ereiferte.

10 [10])

Der Aufbau einer klassenlosen Gesellschaft als Fernziel des Realsozialismus beruhte von Anfang an auf dem unkritischen Glauben an die Allmacht und die uneingeschränkten Entwicklungsmöglichkeiten von Wissenschaft und Technik als Ausdruck der zunehmenden Beherrschung der Natur durch den Menschen. Da sich unter kapitalistischen Bedingungen infolge der Profitgier einer Minderheit die Wissenschaft nicht uneingeschränkt entfalten könne, wäre es nur eine Frage der Zeit, wann der siegreiche Sozialismus die kapitalistischen Staaten wirtschaftlich überholen und seinen weltweiten Siegeszug antreten würde. Der Weg in die erhoffte kommunistische Zukunft stellte sich damit als eine endlose Kette technischer Modernisierungen dar.

Daß dieses Modernisierungsprojekt nur in der Anfangsphase griff, liegt in der Struktur der realsozialistischen Wirtschaft begründet. Vorhandene beziehungsweise neu aufgebaute Produktionsanlagen waren rein statisch ausgerichtet. Produktionsabläufe wurden festgeschrieben, und alles weitere Bestreben ging dahin, mögliche oder bereits vorhandene Fehlerquellen zu beseitigen. Da die Betriebe nicht der Marktkonkurrenz unterlagen, bestand für die Leitung kein unmittelbarer Zwang zur intensiven Nutzung der industriellen Kapazität oder gar zur Anpassung an das Weltmarktniveau. Entsprechende Aktivitäten waren im Gegenteil nur mit zusätzlicher Arbeit, aufreibenden Auseinandersetzungen und vielleicht auch einem Karriereknick verbunden. Da bei volkswirtschaftlichen Umstrukturierungen das Personalkarussell rotierte, fürchtete jeder staatliche Leiter zunächst um seinen Stuhl, wenn sich Neuerungen ankündigten.

Im Gegensatz zu Westdeutschland kam eine Verinnerlichung des Modernisierungsprojektes bei der Mehrzahl der DDR-Bevölkerung so gar nicht oder allenfalls oberflächlich und kurzfristig zustande.

Um die wissenschaftlich-technische Modernisierung der Volkswirtschaft voranzutreiben, war nach dem Willen der realsozialistischen Ideologen die Arbeiterklasse gefragt. Das auf seiten der technischen Nomenklatura kaum vorhandene Interesse, auch nur die schlichteste Rationalisierung nach westlich-kapitalistischem Vorbild durchzusetzen, sollte durch ständige wissenschaftlich-technische Neuerervorschläge der Beschäftigten ausgeglichen werden. Die Beteiligung war mäßig. Die technischen Leitungen der Betriebe waren in der Regel wenig davon angetan, sich von Produktionsarbeitern in ihr Ressort hineinreden zu lassen. Und diese spürten von sich aus auch nicht den geringsten Antrieb, ihren Vorgesetzten das Denken abzunehmen.

Die volkseigenen Betriebe erhielten daraufhin Planauflagen über die Anzahl der Neuerervorschläge einschließlich des dadurch zu erwirtschaftenden Nutzens. Als materieller Anreiz für die Neuerer winkte eine prozentuale Beteiligung am innerhalb eines Kalenderjahres erreichten volkswirtschaftlichen Gewinn. Doch vor der Rationalisierung stand die Aufblähung des bürokratischen Wasserkopfes: In den Betrieben wurden Abteilungen gebildet, die sich ausschließlich mit der Prüfung und Nutzenermittlung von Neuerervorschlägen, dem Abschluß von Neuerervereinbarungen und der Führung der geforderten Statistik und Organisation einer »Messe der Meister von Morgen« beschäftigten.

Langfristig gesehen, erwies sich dies Projekt als einer der absurdesten Versuche, betriebswirtschaftliche Rentabilität per Ukas zu erzwingen. Der erwirtschaftete Gewinn ging oft gegen Null, da die Nutzenermittlung auf rein fiktiven Berechnungen beruhte. Bei anderen »Neuerungen« wurden Weisungen der Leitung kurzerhand zu Vorschlägen des Arbeitskollektivs erklärt. Die Beschäftigten spielten das Spiel gern mit, da mit Abschluß einer Neuerervereinbarung eine (teilweise recht hohe) Prämie zu erwarten war.

Gegen Ende der DDR hatten sich in verschiedenen Betrieben regelrechte Strukturen zur Abschöpfung von Neuererprämien herausgebildet. Beispielsweise bauten Arbeitsvorbereiter absichtlich Fehler in die Abläufe ein, damit die ausführenden Arbeiter den (vorher abgesprochenen) Neuerervorschlag einreichen konnten. Die Prämie wurde dann unter den Beteiligten aufgeteilt. Dieses Spiel wurde zwar häufig durchschaut, doch die staatliche Leitung hatte keinerlei Interesse an der Aufdekkung, da ja die Planvorgabe »Nutzen aus Neuererleistung« zu erfüllen war.

11 [11])

An die Stelle der Konkurrenz zwischen Marktindividuen sollte nach dem Willen der Staatsführung ein Miteinander der Beschäftigten treten – im Interesse einer höheren Effizienz der gesamten Volkswirtschaft. Die konkrete Organisationsform dieses Miteinanders waren die »Kollektive der Sozialistischen Arbeit«.

12 [12])

13 [13])

Dieses System war zwar »von oben« vorgegeben, doch innerhalb des gesetzten Rahmens konnte sich in vielen Kollektiven ein Arbeitsklima entwickeln, wie es unter den Bedingungen »normalen« kapitalistischen Konkurrenzkampfes zumindest sehr selten anzutreffen ist. Persönliche Freundschaften unter Arbeitskollegen waren sehr häufig, »Mobbing« war praktisch unbekannt. Zahlreiche »Kollektivveranstaltungen« (Geburtstagsfeiern, Brigadefahrten u. ä.) fanden innerhalb der regulären Arbeitszeit statt, was von den Beteiligten als willkommene Pause begrüßt wurde. Beschwerden (z. B. über unzumutbare Arbeitsbedingungen), die über die »Vertreter des Arbeitskollektivs« weitergeleitet wurden, hatten zudem eine wesentlich höhere Chance, tatsächlich bearbeitet zu werden, als individuelle Eingaben.

Ungeachtet all dessen brach das System »Sozialistischer Arbeitskollektive« mangels Beteiligung Mitte der 80er Jahre in weiten Teilen der Volkswirtschaft zusammen beziehungsweise existierte nur auf dem Papier weiter. Aufgrund der immer deutlicher werdenden Krisenerscheinungen flüchteten viele Leute ins Private und schotteten sich gegenüber der Gesellschaft ab.

14 [14])

Gemäß den Vorgaben der realsozialistischen Ideologie sollte in der Volkswirtschaft die »kapitalistische Arbeitshetze« durch eine freiwillige und bewußte Unterordnung der Beschäftigten unter die Notwendigkeiten der Produktionsmaschinerie ersetzt werden. Verschiedene äußere Merkmale – zum Beispiel Stechuhren an den Fabriktoren – wurden Anfang der 50er Jahre abgeschafft (Mitte der 80er Jahre sollten sie dann als »Eingangskontrollanlagen« erneut installiert werden). Die im FDGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften erhielten zahlreiche Rechte. Ohne ihre Zustimmung wurde keine Disziplinarmaßnahme oder gar Kündigung rechtswirksam. Zusammen mit den geringen (weil staatlich subventionierten) Lebenshaltungskosten und einer Arbeitslosigkeit von praktisch null Prozent wurde ein Maß an sozialer Sicherheit erreicht, wie es unter westlich-kapitalistischen Bedingungen unvorstellbar ist.

Voraussetzung für das Funktionieren dieses Systems war, daß alle Beteiligten sich willig hineinfügten. Doch von der übergroßen Mehrheit der Beschäftigten wurde zu Recht die Arbeit nach wie vor als Zwang wahrgenommen, dem man sich so weit als möglich entziehen sollte. Die soziale Sicherheit bewirkte bei der arbeitenden Bevölkerung demzufolge keinen Motivationsschub, sondern zunehmende Leistungsverweigerung. Statt Höchstleistungsschichten zum Wohle des Sozialismus zu erbringen, kamen die edlen Werktätigen volltrunken zur Arbeit; oder sie beschäftigten sich tagelang nur damit, Material für den Datschenbau zu besorgen. Die Betriebsleitungen waren gegenüber diesem Phänomen hilflos. Sogar gerichtliche Verurteilungen wegen Arbeitsbummelei endeten in der Regel damit, daß der oder die Betreffende nach Verbüßung der Strafe »zur Erziehung« wieder in derselben Firma landete.

Eine Entlassung in die Arbeitslosigkeit gab es praktisch nicht. (Erst ab Mitte der 80er Jahre traf dies einige Hundert Aktive des politischen Untergrunds.) Und selbst die wenigen tatsächlich durchgepeitschten Entlassungen hatten kaum Bedeutung für die plötzlich Beschäftigungslosen – fast an jeder Straßenecke verkündeten volkseigene Betriebe, daß sie Arbeitskräfte suchten. Die Planbürokratie reagierte ab Mitte der 80er Jahre mit der Verhängung eines Einstellungsstopps über große Teile der Volkswirtschaft, um so einen künstlichen Arbeitskräfteüberschuß zu erzeugen. Sogar ein »Amt für Arbeit« gab es plötzlich, das freiwerdende Arbeitskräfte vermitteln sollte.

Als es im Jahre 1989/90 plötzlich ums Sein oder Nichtsein der volkseigenen Betriebe ging, verfielen die meisten eben noch »sozialistischen« Leiter und frischgebackenen Manager in einen wilden Machtrausch und warfen alle Leute hinaus, auf die sie meinten, irgendwie verzichten zu können. Den wirtschaftlichen Zusammenbruch ihrer Betriebe hielt dies in der Mehrzahl der Fälle natürlich nicht auf.

15 [15])

Der Mangel an Arbeitskräften war während der gesamten Existenz der DDR akut – wenn auch aus höchst unterschiedlichen Gründen. Da war einmal bis 1961 der ständige Bevölkerungsverlust durch Abwanderung in den Westen. Dann die extensiv betriebene Erweiterung der Volkswirtschaft, als vor allem in den 60er Jahren ganze Industriezentren aus dem Boden gestampft wurden. Und schließlich in der Ära Honecker die gigantische Aufblähung der Bürokratie und des Sicherheitsapparates.

Sämtlichen Phasen der DDR-Geschichte war jedoch gemein, daß in der Volkswirtschaft Rationalisierung kaum griff und jede Erweiterung oder auch nur Umstellung der Produktion nur durch mehr Arbeitskräfte realisierbar schien.

16 [16]) Kosten und Gewinn galten als zweitrangig. Für Betriebsleiter war es demzufolge bequemer, sich um zusätzliche Arbeitskräfte zu bemühen, als die vorhandenen zur intensiveren Arbeit zu zwingen. Die Zwangsmittel der Betriebsleitungen waren zudem – wie schon ausgeführt – begrenzt. Im Gegenteil – mit zunehmendem Arbeitskräftedefizit war das vorhandene Personal bald in einer Position, Forderungen zu stellen und durchzusetzen: »Was, keine Frühstückspause mehr? Ich kündige!« – »Nicht doch, beruhige dich! So war’s doch nicht gemeint … « Da stand die Machtfrage! Und der Anspruch, ein »Arbeiter- und Bauernstaat« zu sein, wurde auf absurde Weise für weite Teile der DDR-Volkswirtschaft Wirklichkeit – freilich nicht so, wie von den Erfindern dieses Begriffes gewünscht.

Als eigentliche Arbeit wurde bald die Tätigkeit in der Freizeit angesehen – entweder der Datschenbau oder hochbezahlte Schwarzarbeit, die zeitweilig sogar in Gestalt von »Feierabendbrigaden« legalisiert wurde. In den Betrieb ging man nur noch zur Erholung und um sich die benötigten Materialien und Geräte »heranzuorganisieren«. Statt sich mit den volkswirtschaftlichen Aufgabenstellungen der Partei der Arbeiterklasse zu identifizieren, saß das Proletariat in seiner Nische.

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18 [18]) nur mittels des ständigen Einsatzes von Häftlingen aus dem Strafvollzug überhaupt aufrechterhalten werden.

Einziger Ausweg schien wieder der Weg der extensiven Erweiterung des vorhandenen Arbeitskräftepotentials: Gegen Ende der 70er Jahre ging die DDR-Regierung dazu über, ausländische Arbeitskräfte ins Land zu holen. Nach dem Einsatz algerischer Arbeiter folgten entsprechende Regierungsverträge mit Polen, Angola, Mosambik und schließlich Vietnam. Gegenüber der Bevölkerung wurde diese Maßnahme damit begründet, daß die ausländischen Arbeitskräfte ausgebildet und als Facharbeiter zurück in die Heimat geschickt würden – was anfangs für einen Teil durchaus zutraf.

Von volkswirtschaftlichem Nutzen des Einsatzes konnte durchaus nicht immer die Rede sein. Die Eingliederung der Vertragsarbeiter in die jeweiligen Bereiche der Produktion gelang nur bedingt. Dafür brachte dieser Arbeitskräfteimport nicht vorgesehene Nebenwirkungen mit sich: Vor allem durch den »kleinen Grenzverkehr« zu Polen erlebte der Schwarzmarkt eine Blütezeit; gleichzeitig kam die Planbürokratie mit dem veränderten Konsumverhalten der Bevölkerung nicht mehr mit.

Rassistische Stimmungen machten sich in größeren Teilen der Bevölkerung breit, die durch den Zusammenbruch 1990/91 und die Angste, die er auslöste, noch angeheizt wurden. Für die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock wurde schon damals ein Samen gelegt.

19 [19])

20 [20]) schienen die Versprechungen der Parteiführung auf eine maßgebliche Verbesserung der Lebensverhältnisse in greifbare Nähe gerückt. Das »Entwicklungstempo der sozialistischen Produktion« hielt jedoch mit den von der Parteiführung verkündeten sozialpolitischen Maßnahmen keineswegs Schritt. Das »Wirtschaftswunder« auf DDR-Boden erwies sich bald als ein Wunder auf Pump, finanziert von Krediten des »Klassenfeindes«,

21 [21]) war das Stichwort, mit dem plötzlich auch das Unmöglichste möglich wurde.

Abgesehen von der sich ausbreitenden Korruption ging es auch aus objektiven Gründen mit der Volkswirtschaft bergab. Da zwecks Schuldenbegleichung alles, was nicht niet- und nagelfest war, zu Dumpingpreisen in den Westen verschleudert wurde, funktionierte in großen Teilen der Wirtschaft bald die einfache Reproduktion nicht mehr – man fuhr nur noch auf Verschleiß. Infolge eines hoffnungslos veralteten Maschinenparks und fehlender Ersatzteile verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen rapide. Bald ließ sich die Produktion nur noch unter ständigen Verstößen gegen Arbeitsschutzbestimmungen und Umweltgesetzgebung aufrechterhalten.

Von der in den 80er Jahren heranwachsenden Generation ging kaum noch jemand freiwillig in die Produktion. Wer irgendwie konnte, suchte sich ein warmes Plätzchen in der Verwaltung oder im Sicherheitsapparat. Mehr und mehr Menschen sahen in der niedergehenden DDR gar keine Zukunft mehr und versuchten, dem untergehenden Staat zu entkommen.

Im Sommer 1989 lag das politische System der DDR in Agonie. Die ungarische Grenze war offen, die BRD-Botschaft in Prag besetzt. Jeder der Fortgegangenen hinterließ eine Lücke, von der die Hiergebliebenen wußten, daß sie nicht mehr zu füllen war. Nach Schließung der Grenze zur CSSR kochte bei der nun endgültig »eingemauerten« Bevölkerung der Unmut über. Die Palastrevolte innerhalb des Politbüros konnte die Entwicklung nicht aufhalten. Wenige Tage später war die Mauer offen und das Ende der DDR besiegelt.

Der Zusammenbruch der DDR hinterließ die verworrensten biographischen Brüche. »Sozialistische Einzelleiter« mutierten binnen weniger Tage zu wild gewordenen Manchesterkapitalisten, Politoffiziere der NVA bettelten um Aufnahme in die Armee des »Klassenfeindes«, FDJ-Funktionäre wendeten sich zu Versicherungsvertretern, willige Mitläufer und notorische Denunzianten erklärten sich plötzlich zu Opfern des Systems. Und hochdekorierte Bestarbeiter fanden sich von einem Tag auf den anderen als hoffnungslos unvermittelbare Dauerarbeitslose wieder.

Widerstand gegen das Plattmachen einer ganzen Gesellschaft samt Eingliederung ihrer Reste in einen gnadenlosen Verwertungsprozeß gab es jedoch kaum. Die wirtschaftliche Basis der im Niedergang befindlichen DDR hatte seit langem Kurs auf die Wiederherstellung »normaler Verhältnisse« der kapitalistischen Warenproduktion genommen. Nach dem Wegfall der politischen Barriere wurde nun allgemein ein »Wirtschaftswunder« erwartet.

Daß das System der Warenproduktion auch im goldenen Westen schon längst seinen Zenit überschritten und man sich auf das Deck eines leckgeschlagenen Schiffes gerettet hatte, wollte von der einheitsbesoffenen Bevölkerung anno 1990 kaum jemand wahrhaben – die wenigen warnenden Stimmen wurden niedergebrüllt. Auf den Freudenrausch folgte der Katzenjammer. Der Großteil der für ein Butterbrot aufgekauften DDR-Betriebe wurde von der westeuropäischen Konkurrenz nicht weiterbetrieben, sondern dichtgemacht. Andere gerieten sehr schnell in die Pleite, da ihnen mit der Währungsreform Handelspartner und Vertriebssystem weggebrochen waren. Der ostdeutschen Arbeiterschaft gingen so in kürzester Zeit die Arbeitsplätze auf ewig verloren. Die DDR-Intelligenzia erwies sich den aus Westdeutschland herbeiströmenden Heerscharen von abgehalfterten Politikern, notorischen Hochstaplern und einschlägig bekannten Wirtschaftskriminellen als nicht gewachsen.

Für normale DDR-Bürger war die eigene Arbeit entweder Sinn und Zweck des Lebens überhaupt gewesen, oder sie hatten sich zumindest (wenn auch notgedrungen) einigermaßen angenehm in den vorhandenen Freiräumen des Arbeitsalltags einrichten können. Für die einen brach nun eine Welt zusammen, als sie selbst als »nicht mehr verwertbar« und damit als überflüssig galten. Den anderen wurde es sauer, als leistungswütige West-Manager von einem Tag zum anderen Arbeit einführten, wie sie deren Begriff entspricht: höchste Verdichtung, brutale Durchrationalisierung, unerbittlicher Zeittakt und Austreibung aller Reste von Gemächlichkeit und »dysfunktionaler« sozialer Beziehungen.

Das rabiate Überstülpen des ökonomischen und politischen Systems der alten Bundesrepublik über die angeschlossene OstRegion, die bewußt betriebene Entwertung zahlloser Biographien sowie die täglichen Zumutungen einer Gesellschaft, in der der Mensch nichts, sein Kontostand jedoch alles bedeutet, verkehrten den besoffenen Einheitstaumel des Jahres 1990 bald in sein Gegenteil – bis hin zur Verklärung des vierzigjährigen Versuchs, auf nicht-kapitalistische Art zu wirtschaften. Der vielerorts schwelende Unmut hat sich bisher lediglich in Wählerstimmen für eine ostdeutsche Regionalpartei mit sozialistischem Image niedergeschlagen oder gar rechtsradikale Einstellungen und Gewalt gefördert – aber auch zu einer (bewußten oder unbewußten) Verweigerungshaltung vieler DDR-geprägter Menschen gegenüber Konkurrenzdenken und den Normen betriebswirtschaftlicher Rentabilität geführt. Ob sich diese Verweigerungshaltung bei maßgeblichen Bevölkerungsteilen im inzwischen hoffnungslos verarmten Ostdeutschland irgendwann einmal in Formen des Wirtschaftens jenseits von Staat und Markt niederschlägt oder ob die Region in einer barbarischen Gemengelage mafiöser Strukturen und faschistischer Gruppierungen versinkt, das wird die Zukunft zeigen.

Fußnoten

1 [22]) Ich beschränke mich bei den nachfolgenden Ausführungen zur Funktionsweise der DDR-Gesellschaft weitgehend auf persönliche Erinnerungen sowie auf Mitteilungen mir nahestehender Menschen.

2 [23]) Kleines Politisches Wörterbuch, Berlin 1973

3 [24]) Liedgut der Freien Deutschen Jugend (FDJ)

4 [25]) So zum Beispiel Nikolai Ostrowskis »Wie der Stahl gehärtet wurde« (ein Roman, der Revolution, Bürgerkrieg und Wiederaufbau in Sowjetrußland zum Thema hatte) oder der FDJ-Roman »Der Sonne Glut«.

5 [26]) Kampflosung der Partei derArbeiterklasse

6 [27]) Daraus resultierte beispielsweise ein eigenartiges Phänomen der DDR-Wirtschaft, daß Industriearbeiter in der Regel keinerlei Interesse zeigten, in der Betriebshierarchie aufzusteigen, da sie als Meister oder Ingenieur eine zum Teil wesentlich geringere Entlohnung zu erwarten hatten.

7 [28]) Kampflosung der Partei der Arbeiterklasse

8 [29]) Dies schloß nicht aus, daß in Ausnahmefällen tatsächlich kritische Diskussionen in den Arbeitskollektiven stattfanden und ihr Ergebnis von der Planbürokratie auch zur Kenntnis genommen wurde- Voraussetzung dafür war die Rükkendeckung durch den jeweils zuständigen Funktionär. Solche Funktionäre wurden jedoch mit dem biologisch bedingten Aussterben von Parteisoldaten der »alten Garde« selten. Die später in den Apparat strebenden jungen Leute waren fast ausnahmslos anpassungswillige Karrieristen.

9 [30]) Kampflosung der Partei der Arbeiterklasse

10 [31]) Wörterbuch der Ökonomie – Sozialismus, Berlin 1973

11 [32]) Wörterbuch der Ökonomie – Sozialismus, Berlin 1973

12 [33]) Im wesentlichen waren dies die SED, der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) und die FDJ (Freie Deutsche Jugend – Kampfreserve der Partei der Arbeiterklasse). Eine geringere Rolle spielten Organisationen mit spezialisierter Aufgabenstellung, wie die DSF (Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft), die GST (Gesellschaft für Sport und Technik – verantwortlich für die vormilitärische Ausbildung von Jugendlichen), das Deutsche Rote Kreuz u. a. Die »Blockparteien« (CDU, LDPD, NDPD, DBD, DFD) waren dagegen nicht in Betrieben, sondern auf kommunaler Ebene organisiert.

13 [34]) Da sich in der DDR die meisten Ferienobjekte in der Hand der Gewerkschaft bzw. des jeweiligen Betriebes befanden (FDGB-Ferienheime u. ä.), war es für Nichtorganisierte ziemlich aussichtslos, einen kostengünstigen Urlaubsplatz zu bekommen. Bei der Vergabe kam es übrigens gelegentlich zu willkürlichen Entscheidungen einzelner Funktionäre bis hin zu Vetternwirtschaft und Bestechung. Die FDJ war auch ganz flott und vergab zusätzlich »Jugendtouristreisen«, zunehmend auch ins »nichtsozialistische Ausland« – während SED-Funktionäre gegen Ende der DDR sogar aus dem Ausland importierte Pkw in den Betrieben verteilten.

14 [35]) Wörterbuch der Ökonomie – Sozialismus, Berlin 1973

15 [15]) Bekannter DDR-Witz

16 [36]) Bis gegen Ende der 80er Jahre, als die Bruttoproduktion als Hauptkennziffer vom Nettogewinn abgelöst wurde, was jedoch infolge des rapiden Zusammenbruchs der DDR nicht mehr zum Tragen kam.

17 [37]) Daher drängten sich viele Leute auch nicht, in der Betriebshierachie aufzusteigen. Das Einkommen wurde kaum höher, Arbeit und Streß wurden dafür um so größer.

18 [38]) Z.B. das Weichenwerk Brandenburg oder das Betonwerk Rüdersdorf

19 [39]) Zitat E- Honecker aus dem Jahr 1989

20 [40]) Langfristiges Programm zur »weiteren Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion, der Erhöhung der Effektivität des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität«

21 [41]) Spitzname für den blauen 100-DM-Schein


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