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Lenin als Farce. Zur Kritik an Sarah Wagenknechts Buch “Reichtum ohne Gier”

von Julian Bierwirth

Es mag zunächst verwundern, dass gerade Sarah Wagenknecht, die doch lange Zeit als Kopf der Kommunistischen Plattform in der Linkspartei und damit als Linksauslegerin und radikale Kritikerin der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung galt, in ihrem neuesten Buch Reichtum ohne Gier nun nicht nur das Lob auf ebendiese Ordnung anstimmt, sondern dafür auch noch von dem rechten Kampfblatt Deutsche Stimme einiges an Lob einheimsen kann.1 [1] Bei genauerem Hinsehen können wir jedoch feststellen, dass dies lediglich auf die innere Verwandtschaft des Marxismus-Leninismus mit der real existierenden kapitalistischen Produktionsweise verweist. Mit der Krise der einen, so hat es den Anschein, ist auch jener in die Krise geraten.

Der Ausgangspunkt von Wagenknechts Überlegungen ist der „Historische-Materialismus“: demnach ist der zeitgenössische Kapitalismus dadurch gekennzeichnet, dass Produktivkräfte (Technik und Wissen) sowie die Produktionsverhältnisse (die Eigentumsordnung) in einen Widerspruch zueinander treten, der die gesellschaftliche Entwicklung hemmt. Um diese Blockade aufzulösen, müsse der „Kapitalismus“ (den Wagenknecht als ein System bloßer Bereicherung jenseits von produktiver Leistung definiert) wieder zu einer „gesunden Marktwirtschaft“ (in der das Leistungsprinzip und der allgemeine Wettbewerb die zentralen gesellschaftlichen Prinzipien sind) umfunktioniert werden.

Sie versucht diese Konstellation zunächst am technischen Fortschritt deutlich zu machen. In den letzten Jahren, so die These, habe es in zentralen Industrien kaum eine nennenswerte Innovation gegeben. Diese würden vielmehr vom Kapital blockiert, weil die zu erwartenden Gewinne unterhalb der gewünschten Rendite blieben (S. 39 – 52). Dem stünden die zunehmend leistungslosen Spitzeneinkommen der gesellschaftlichen Elite gegenüber. Diese entstünden einfach dadurch, dass in weiten Bereichen der Wirtschaft oligopolistische bzw. monopolistische Tendenzen vorherrschten, mithin also kein Markt vorhanden sei und sich so die etablierten Kräfte weiterhin in einer hegemonialen Position halten könnten (S. 53 – 84). Die Tendenz des Kapitals zur Monopolisierung bringe eine Tendenz zur inneren Fäulnis mit sich, der, so Wagenknechts Thesen, ein wieder erstarkter Nationalstaat entgegentreten solle.

Die allgemeine Klage über den Monopolkapitalismus stammt dabei nicht von Rosa Luxemburg, mit der Wagenknecht gerne verglichen wird, sondern von Wladimir Iljitsch Lenin. Auch der argumentierte, die von ihm konstatierte Monopolisierung beinhalte „unvermeidlich die Tendenz zur Stagnation und Fäulnis“.2 [2] Das war schon damals falsch und ist es heute erst recht. Insofern kann Reichtum ohne Gier fast als Remake des leninistischen Klassikers gelesen werden – nur das sich die Tragödie auch hier als gleich doppelte Farce wiederholt. Denn wenn Wagenknecht ihre Klage über die Gier der Monopole mit der Trauer um die „verlorene Mitte“ verbindet, dann ist das noch nicht einmal biederer Reformismus (wie bei Hilferding, auf den sich Lenin bezogen hatte), sondern nimmt offen regressive Züge an.

Der Bezug auf den Nationalstaat ist dabei für Wagenknecht kein überflüssiger Schlenker, sondern zentrales Element ihrer Überlegungen. Bereits in der Einleitung fordert sie eine Re-Demokratisierung der Gesellschaft durch eine Stärkung des „historisch entstandene(n) Staat(es) mit seinen verschiedenen Ebenen, von den Städten und Gemeinden über die Regionen oder Bundesländer bis zu den nationalen Parlamenten und Regierungen.“ (S. 25) Die gezielte Schwächung dieser Institutionen sei Teil der neoliberalen Agenda, die seit Friedrich August von Hayek nichts anderes wolle als eine Entmachtung des Staates zugunsten mächtiger ökonomischer Akteure. Europa sei dementsprechend ein Projekt der Entdemokratisierung gegen die nationalen Bevölkerungen und für ein global agierendes Kapital (S. 25 – 28). Auch hier ähnelt ihre Argumentation eher der von Lenin als der von Luxemburg, die zum Nationalstaat eine deutliche distanziertere Haltung einnahm.3 [3]

Die im traditionellen Marxismus noch implizite und hinter revolutionärem Pathos versteckte Affirmation der kapitalistischen Modernisierung gerät bei Wagenknecht zu einer offenen Huldigung des Arbeitsfetischs, der positiven Besetzung von Leistung und Konkurrenz, der unreflektierten Fortschrittsidealismus sowie dem autoritären Bezug auf einen starken, „das Volk“ schützenden Staat. Alles weitere, insbesondere die von Marx im Kapital entwickelte Kritik der Politischen Ökonomie, wurde umstandslos entsorgt und durch einen wilden Vokabelsalat aus den Lehrbüchern der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre ersetzt. Hier und da gebraucht sie noch die ein oder anderen Begriffe, die uns auch bei Marx begegnen (etwa den des „Geldes“, des „Kapitals“, des „Profits“ oder des „Zinses“) – gebraucht diese aber in einem völlig anderen Kontext und zumeist ohne eine transparente Distanzierung vom Marx’schen Verständnis dieser Kategorien, geradeso, wie es passt.

Dass die Überwindung der herrschenden Gesellschaftsordnung bei Wagenknecht nicht mehr als Ziel auftaucht, könnte oberflächlich betrachtet man als Ausdruck von „Reformismus“ bezeichnen. Ihre politischen Forderungen bewegen sich auf der Ebene einer Reform des Geld- und Bankwesens (S. 183 – 239) sowie einer Reform der Unternehmensformen (S. 241 – 287). Durch mehr Beteiligung der Belegschaften und staatliche Mitspracherechte soll so der Einfluss des „Volkes“ auf die weiterhin in der Marktkonkurrenz agierenden Unternehmen gesichert werden. Doch da der Reformismus im Krisenzeitalter des globalisierten Kapitalismus keinen historischen Entwicklungshorizont mehr besitzt und ein zurück in die “goldenen 60er Jahre” nicht zu haben ist, hängen diese Vorstellungen politisch gesehen völlig in der Luft. Ideologisch aber bedient Wagenknecht damit die Nostalgie nach einem „gesunden Kapitalismus“ und das Ressentiment gegen das Finanzkapital, das auf Kosten des „ehrlich arbeitenden Volkes“ Profite scheffle. Die absurde Entgegensetzung von „Marktwirtschaft“ und „Kapitalismus“ erinnert fatal an die von „schaffendem“ und “raffendem Kapital“. Das, was sie als „Kapitalismus“ bezeichnet, soll im wesentlichen identisch mit den unangenehmen Seiten der warenproduzierenden Gesellschaftsordnung sein. Würden diese beseitigt, so die Vorstellung, könnte der Markt wieder seine ihm ursprünglich zugedachten Funktionen übernehmen und die Menschen wären endlich in der Lage, vom Produkt ihrer Arbeit zu leben. Dass die Einzelnen in der Konkurrenz zueinander die Ellenbogen ausfahren müssen, gilt Wagenknecht als selbstverständlicher Mechanismus zur Steigerung der Produktivität – und nicht etwa als Grundproblem einer auf allseitigem Gegeneinander aufgebauten Gesellschaftsformation. Während die stetigen Fortschrittsbemühungen im Historischen Materialismus aber zumindest abstrakt auf eine Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise zielten, erklärt Wagenknecht die „Marktwirtschaft“ zur vernünftigen Ordnung und den Nationalstaat zu deren unhinterfragtem Garanten. Statt eines „Absterbens“ staatlicher Herrschaft (wie es Lenin immerhin noch für eine ferne Zukunft angedacht hatte) steht dabei ihre autoritäre Verfestigung auf dem Programm.

Dazu passt es dann, das Wagenknecht am Ende ihrer Ausführungen zu einer vermeintlich neuen Form von Eigentum bei den Ideen des großen bürgerlichen Eigentumstheoretikers John Locke landet. Der hatte bereits im ausgehenden 17. Jhd. die Legitimität von Eigentum aus der Arbeit begründet. Daran (faktisch) anknüpfend, schreibt Wagenknecht, ihr „Modell einer modernen Wirtschaftsordnung würde den Weg zu einer Ökonomie eröffnen, in der Eigentum tatsächlich nur noch durch eigene Arbeit entstehen kann und in der feudale Strukturen und leistungslose Einkommen der Vergangenheit angehören“ (S. 286). In Zeiten John Lockes hatte dieses Lob der Arbeit allerdings noch eine revolutionäre Spitze gegen die Feudalherrschaft; im traditionellen Marxismus war es immerhin noch das Vehikel für den Kampf um die Anerkennung der Arbeitskraftverkäufer im Universum der bürgerlichen Gesellschaft. In einer Zeit jedoch, in der der Kapitalismus selbst die wertproduktive Arbeit zunehmend verdrängt und die Verkäufer*innen der Ware Arbeitskraft ihrer zentralen Stellung innerhalb der kapitalistischen Ordnung beraubt ist die Fiktion, es könne ein Zurück in eine auf Massenarbeit beruhende „marktwirtschaftliche Ordnung“ geben, nur noch regressiv. Sie bedient die Sehnsüchte breiter gesellschaftlicher Schichten, die sich angesichts der brutalen Wirklichkeit in eine idyllisierte Vergangenheit zurückwünschen und landet folgerichtig bei der Anrufung des „Volkes“ und der Nation – was immer auch die Konstruktion von „Volksfeinden“ einschließt. Es kann also nicht wirklich erstaunen, dass die Deutsche Stimme Gefallen an Wagenknechts Ausführungen findet.

Sahra Wagenknecht: Reichtum ohne Gier. Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten. Campus Verlag : Frankfurt / New York 2015, 292 Seiten

Fußnoten:

1 [4]Vgl. https://deutsche-stimme.de/2016/08/24/rezension-auch-in-ihrem-neuen-buch-reichtum-ohne-gier-erweist-sich-sahra-wagenknecht-als-echte-querdenkerin/

2 [5]Wladimir Iljitsch Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus
http://www.mlwerke.de/le/le22/le22_280.htm

3 [6]Vgl. Olaf Kistenmacher: Selbstbestimmung als Phrase. Die antinationale Marxistin Rosa Luxemburg
http://jungle-world.com/artikel/2014/01/49096.html


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