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Kommentar zum Irak-Krieg

Kurzkommentar für Freie Radios

Ernst Lohoff

Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Krieg steht vor der Tür. Nicht dass die Bevölkerung Europas und der USA sich im Kriegstaumel befände; nicht dass die Bush-Administration die UN geschweige denn die Weltöffentlichkeit von der Notwendigkeit, das Regime Saddam Husseins in den nächsten Wochen gewaltsam zu beseitigen, überzeugt hätte; der Krieg ist unvermeidbar, weil ihn die US-Führung für unvermeidlich erklärt hat.

Keine Frage: Der Militärapparat der letzten und über den Verlust aller Gegenspieler autistisch gewordenen Großmacht ist in der Lage den Irak und dessen Bevölkerung in Grund und Boden zu bomben. Militärisch hat der Bagdader Diktator dem Pentagon nichts entgegenzusetzen. Nicht so klar ist allerdings, was sich Bush und Co von diesem Feldzug versprechen. Im Dunkeln liegt erst recht, was auf den von außen erzwungenen Abgang Saddam Husseins folgen wird.

Die Friedensbewegung in den USA und Europa meint, sie wisse, um was es gehe. Der “Kampf gegen den Terror” sei nur ein Vorwand. In Wirklichkeit heißt das Ziel, Kontrolle der strategischen Ölreserven der Golfregion.

So viel ist richtig: Das Hussein Regime wäre nie ins Visier Amerikas geraten, läge der Irak in einer ölfreien Weltregion. Der Ölmann aus Texas hat nicht vergessen, wer ihm den Weg ins Weiße Haus freigekauft hat. Im Zweifelsfall ist das Geschäft mit Iraks Öl allemal das natürliche Recht von Bushs Finanziers. Wer deswegen den Irakfeldzug gleich als Teil eines wohldurchdachten Gesamtkonzepts imperialer Landnahme entlarven will, der ist allerdings falsch gewickelt. Das Interessenkalkül der Öl-Lobby ist nur ein Randmotiv, der Kern des Konflikts ist anderswo zu suchen.

Natürlich ist Al Quaida in Hamburg besser verankert als in Bagdad; selbstverständlich sind die angeblichen Erkenntnisse amerikanischer Geheimdienste über Verbindungen zwischen Bin Laden und Saddam Hussein reine Propaganda. Dennoch lügen Powell und Bush keineswegs, wenn sie das Vorgehen gegen Bagdad zur Antwort auf den auf den 11. September erklären – solange man Antwort mit Ersatzantwort übersetzt.

Der Anschlag auf das World Trade Center hat das Selbstbewusstsein der verbliebenen Supermacht bis ins Mark erschüttert. Angesichts dieser tief sitzenden Demütigung muss ein militärischer Erfolg her, der demonstriert, die USA sei in der Lage überall auf der Welt ihrer Ordnung Geltung zu verschaffen. Der eigentlichen Herausforderung, transnationalen Terror-Netzwerken, kommt der überzüchtete us-amerikanische High Tech-Vernichtungsapparat nicht bei; ein für den erfolgreichen Einsatz lasergesteuerten Bomben und Cruisemissiles geeignetes Angriffsziel muss her. Der Prozess der Globalisierung hat nicht nur die Weltökonomie radikal verändert, sondern genauso die Welt von Krieg und Gewalt. Die bewaffneten Konflikte der Gegenwart und erst recht der Zukunft funktionieren nach einer anderen Logik als der alten zwischenstaatlicher Kriege. Mit dem Konstrukt des Schurkenstaates halluziniert sich die US-Führung vertraute Konfliktszenarien zurecht, in denen sie mit ihrem High-Tech-Militärapparat als Macht der Mächte noch glänzen kann.

Es gibt wahrlich keinen Grund dem Regime Saddam Husseins eine Träne nachzuweinen. Rechte Freude über dessen Sturz will angesichts der Personage, in deren Hände der eroberte Irak fallen dürfte, allerdings nicht aufkommen. Bislang war der Irak die Beute einer großen Warlord- und Kleptokraten-Clique; bomben die USA dem Land die westlichen Werte ein, dann droht ihm nach afghanischen Vorbild die Aufteilung in die Claims konkurrierender us-gesponserter Kriegsunternehmer.

Imperialistische Mächte haben schon immer hässliche Realitäten hinter schönen Parolen verborgen. Diesmal allerdings entspringt die Diskrepanz allerdings weniger zynischem Kalkül. Sie spiegelt den durch und durch irrationalen Charakter des ganzen Irakunternehmens wider. Die US-Führung schwadroniert von einer Neuordnung des Iraks im Zeichen von Marktwirtschaft und Demokratie. Diese Vorstellung ist schlicht absurd. Wie die gesamte Dritte Welt hat der Irak seine Modernisierung und Verwestlichung schon hinter sich und genau für diesen gescheiterten Prozess steht der Name Saddam Hussein. Der demokratische Kreuzzug beschert am Ende der internationalen Gemeinschaft nur ein weiteres teueres UN-Protektorat.

Der Hauptfeind steht allemal im eigenen Land, so will es eine alte antiimperialistische Weisheit. Im Zeitalter der Globalisierung gilt diese Sentenz nicht mehr unbedingt. Der Imperialismus hat sich längst in einen funktionsteiligen Gesamtimperialismus verwandelt und gerade ihre militärische Übermacht prädestiniert die USA dazu, eine besonders unheilvolle Rolle zu spielen. Dem sogenannten alten Europa sind wahrlich keine edelherzigen Motive zu unterstellen; Schröder ist weder Mutter Theresa noch Mahatma Gandhi; trotzdem vertreten er und Chirac gegenüber der seltsamen Drang der US-Administration aus Sicherheitsgründen jeder verfügbare Zündschnur in Brand zu setzten, die imperialistische Restvernunft.

Und auch von einer anderen überkommen Vorstellungen müssen sich Antiimperialismus angesichts des Irak-Konflikts verabschieden: Nicht alles, was dem Imperialismus schadet, nutzt umgekehrt der Emanzipation. Vor ziemlich genau 50 Jahren forderte Ernesto Che Guevara “zwei, drei, viele Vietnam”. Mit ihren “wiederholten Schlägen” sollten diese Vietnams den Imperialismus zwingen, “sein Kräfte zu zersplittern” und dessen endgültige Niederwerfung vorbereiten. Bush Junior ist drauf und dran, Ches Programm auf seine Weise umzusetzen. Jedes Jahr schafft er ein neues Afghanistan, ein neues Protektorat, das auf Jahrzehnte hinaus internationale Truppen bindet. Mit jedem Feldzug gegen die islamistische Herausforderung sichert er seinem Gegner neuen Zulauf und ruiniert die amerikanische Staatsfinanzen weiter. Glänzende Zukunftsperspektive, wie sie Che sich erhoffte, eröffnet all das aber wahrlich nicht.


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