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Bombenlogik

Dez. 2004

von Franz Schandl

Dass in einer bis auf die Zähne bewaffneten Welt, alles und jedes, was sich Staat oder Bande schimpft, immer mehr aufrüsten will, liegt auf der Hand. Natürlich hat ein Minister einer Atommacht wie Indien recht, der zur Begründung heimischer Nuklearwaffen sinngemäß folgenden Vergleich anstellte: „Glauben Sie, Jugoslawien wäre bombardiert worden, hätte es über Atomwaffen verfügt“. Selbstverständlich nicht. Entsprechend dieser Bombenlogik wäre risikobereites Hochrüsten das Um und Auf der internationalen Sicherheit. So lautet auch Paragraph 1 dieser irren Weltordnung.

Ganz ähnlich scheint man auch im Iran zu denken, auf den die internationale Staatengemeinschaft zur Zeit ihren Druck konzentriert. Doch Paragraph 2 der Bombenlogik schränkt sogleich ein: Bomben sind lediglich für Gute gut, bei Bösen hingegen böse. Und da der Iran aktuell zur Achse der Bösen gehört, ist es nur allzu verständlich, dass er die Bombe nicht haben darf. Für Schurkenstaaten ist das nichts.

Wenn ein hoher westlicher Diplomat anlässlich der Wiener Verhandlungen der IAEO mit dem Iran laut Nachrichtenagentur Reuters meint: „Das ist wie mit der Mafia über den Fortbestand der Kriminalität zu verhandeln“, dann ist in dieser Einschätzung vieles richtig. Nur wurde der entscheidende Punkt ausgeblendet, denn, wer verhandelt da mit der Mafia? Doch niemand anderer als eine noch größere Mafia, und zwar die okzidentale Menschenrechtsbande, die sich anmaßt, alles und jedes auf diesem Planeten ob ihrer überlegenen Zivilisation beurteilen und behandeln, kurzum missionieren zu dürfen. Je nach Interesse werden dann diplomatische, ökonomische oder militärische Mittel eingesetzt. Wohlgemerkt und nicht vergessen: Nicht der Irak oder der Iran haben die USA überfallen oder ihnen mit Intervention gedroht.

Womit nun keineswegs gesagt ist, dass im Sinne staatlicher Souveränitätsrechte eine iranische Aufrüstung hinzunehmen sei. Im Gegenteil. Emanzipatorische Kritik muss die Bombenlogik dahingehend durchbrechen, dass sie fordert, alle Arsenale auf iranisches Niveau abzusenken. Also nicht: „Der Iran soll auch seine Bombe haben“, sondern „Niemand hat eine Bombe zu haben“. Wenn schon, denn schon, aber andersrum!

Indes sind solche Gedanken nach 1989 ziemlich aus der Mode gekommen. Die Anti-Atombewegung scheint Geschichte zu sein, obgleich ihre Notwendigkeit heute dringlicher ist als vor zwanzig Jahren. Nicht bloß die USA, sondern China, Russland, Frankreich, Großbritannien, Pakistan, Indien, Israel und Nordkorea sind von der Atombombe zu befreien. Illusorisch? Zweifellos, aber was sind die Alternativen? Das irre Aufrüsten oder gar die Zweiteilung der Welt in gute und schlechte Atommächte zu akzeptieren?

Zu erwachen ist auch aus der ideologischen Narkose, die die Generalkompetenz, über derlei Fragen zu entscheiden, stets bei den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten ortet. Zuwider-Handeln wird ja nach wie vor sanktioniert. In diese Richtung sind auch die eben bekannt gewordenen Bespitzelungen des Generaldirektors der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), Mohamed ElBaradei zu verstehen. Nun will die US-Administration den Mann einfach loswerden, wie die Waffeninspektoren, die sich weigerten Gefälligkeitsgutachten für den Pentagon zu erstellen, vor ihm.

Die Abschaffung atomarer Waffensysteme steht nach wie vor auf der Tagesordnung. Je mehr die Bombe besitzen, desto größer ist die Gefahr der Verwendung. Der absolute Horror freilich ist die Privatisierung atomaren Potenzials. Zündet nur einer die Bombe, dann ist ein Damm gebrochen und der Rückschlag wird ein furchtbarer sein. In vielfachem Sinne.


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