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Präsident Wirtschaft

Köhler soll Bundespräsident werden

erschienen in: Jungle World vom 10.3.2004

von Ernst Lohoff

Alice Schwarzer zeigte sich von der Kandidatenwahl verständlicherweise enttäuscht. Sie hatte gehofft, dass endlich eine Frau das höchste Staatsamt übernimmt, und sei es nur aus Verlegenheit. »Und dann regeln die Jungs das doch wieder unter sich.« Business as usual also? Die meisten Kommentatoren sehen das ein bisschen anders. No business as usual, but business.

Horst Köhler wäre der erste Präsident in der Geschichte der Bundesrepublik, der seine Karriere nicht in der Politik, sondern in der Wirtschaft gemacht hat. Zuletzt war er geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Vertreter der deutschen Wirtschaft wissen die Signalwirkung zu würdigen, die davon ausgeht, dass einer der Ihren die Nachfolge Johannes Raus antreten soll. Hans Dietmar Sauer, der Präsident des Verbandes öffentlicher Banken und Vorstandsvorsitzende der Landesbank Baden-Württemberg, jubelt: »Es ist erfrischend, dass da einer kommt aus einer anderen Region (als der Politik), einer, der etwas von der Welt von außen versteht. Es ist erfrischend, dass so etwas in Deutschland noch möglich ist.«

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, sieht in Köhler genau den richtigen Mann für die anstehenden Aufgaben: »Wir brauchen an der Spitze unseres Landes eine Persönlichkeit, die uns nach außen als weltoffenes Land repräsentiert und nach innen mit den zum Teil unangenehmen, aber nötigen Reformen versöhnt. Horst Köhler bringt mit seiner ökonomischen und nachgewiesenen sozialen Kompetenz die richtigen Voraussetzungen mit.«

Ökonomische und soziale Kompetenz im Sinne des BDI kann man Horst Köhler in der Tat nicht absprechen. In einem Interview im Juni 2003 sagte er: »Die deutschen Renten- und Gesundheitsversicherungen müssen dringend von unbezahlbaren Ansprüchen befreit werden.« Asien pries er in diesem Zusammenhang als Vorbild. Als einen »Anfang« würdigte Köhler die Agenda 2010. »Die Reformen müssen aber viel weiter gehen.«

Köhler verstand es glänzend, das global operierende Abrissunternehmen IWF stur auf Plattmacherkurs zu halten und gleichzeitig gegenüber den handzahmen Kritikern Dialogbereitschaft zu simulieren. Auch in Deutschland steht ein groß angelegter Verarmungsschub zur Rettung der kapitalistischen Reichtumsform an; der Sozialstaat wird gerade wegreformiert, und aus allgemeinen gesellschaftlichen Reproduktionsvoraussetzungen wie Gesundheit und Bildung sollen Waren werden.

Die lautlose Hinnahme sozialer Zumutungen gilt dabei als erste Bürgerpflicht. Da kommt ein Staatsoberhaupt gerade recht, das auch noch die größte Ungeheuerlichkeit in aller Gemütsruhe als höhere Notwendigkeit des Standortwettbewerbs verkaufen kann. Was liegt näher, als einen Mann für die Besetzung des höchsten Staatsamts zu reimportieren, der die reibungslose Abwicklung des großen Verarmungsprogramms in der weiten Welt des Trikonts und in Osteuropa mitgeleitet hat?

Die Parole »Arbeit, Arbeit, Arbeit«, mit der die SPD einst hausieren ging, hat sich längst in die Allparteienparole »Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft« verwandelt. Kaum jemand könnte dieses Programm besser repräsentieren als der künftige Insasse des Schlosses Bellevue in Berlin.


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