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Schnäppchen für das Kapital

Kleine Politische Ökonomie des Praktikumsbooms

Aus: Jungle World vom 19.10.2005

von Ernst Lohoff

Seit den Tagen Adam Smiths gilt die freie Lohnarbeit gemeinhin als einzig adäquate Form abhängiger Beschäftigung in der kapitalistischen Produktionsweise. Doch im Zeitalter der Krise der Arbeit zeigt sich das Kapital in dieser Hinsicht immer undogmatischer. Zum einen machen sich im globalisierten Kapitalismus des 21. Jahrhunderts innovative Formen der Sklaven- und Leibeigenenarbeit breit, die als unproduktiv aus der Mode gekommenen waren. Zum anderen gehen ganze Branchen dazu über, die Vernutzung freier Lohnarbeit durch die Vernutzung kostenloser oder symbolisch bezahlter Arbeit zu ersetzen – und das nicht zuletzt bei qualifizierten Tätigkeiten. Eine der beliebtesten Formen dafür ist die Beschäftigung von Praktikanten.

Die Institution des Praktikums entstand ursprünglich als Ergänzung der schulischen und universitären Qualifizierung. Sie war ein Teil des Bildungssektors, nicht des Arbeitsmarktes. Auch wenn das Etikett geblieben ist, hat die Zahl der Praktikanten nur deshalb immens zugenommen, weil dieses Etikett inzwischen auf einem gründlich veränderten Inhalt klebt. Aus einer Einrichtung, die der Vorbereitung auf den Beruf dienen sollte, wird eine Form, in der ein Beruf ausgeübt wird. Man kann sich bereits ausmalen, wann die erste Architektin oder der erste Werbetexter nach einem erfüllten Arbeitsleben das Vorruhestandsalter erreicht, ohne jemals über den Pratikantenstatus hinausgekommen zu sein.

Die Beziehung, in der die Akteure auf dem regulären Arbeitsmarkt zur Arbeitskraft jeweils stehen, hat bereits Marx im „Kapital“ politikökonomiekritisch durchleuchtet. Grundsätzlich gilt, dass die Veräußerung der Ware Arbeitskraft nach denselben Prinzipien erfolgt wie der Tausch einer beliebigen anderen Ware. Dem Verkäufer geht es um die Realisation des Wertes der Ware, dem Käufer dagegen um deren Gebrauchswert. Doch die Ware Arbeitskraft zeichnet sich durch einen spezifischen Gebrauchswert aus, die wundersame Potenz nämlich, Wert schaffen zu können, der über ihren eigenen Wert hinausgeht. Aufgrund dieser besonderen Eigenschaft hat die Ware Arbeitskraft für den Verkäufer einen grundsätzlichen anderen kategorialen Charakter als für seinen Tauschpartner. Der ursprüngliche Besitzer hat an ihr nichts als eine Ware. Indem der Käufer den Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft nutzt, mutiert sie für ihn dagegen von einer simplen Ware zu (variablen) Kapital.

Verliert die Arbeitskraft für ihren Käufer ihren besonderen Gebrauchswert, Wert in mehr Wert zu verwandeln, dann fällt zusammen mit der Verwandlung von Arbeitskraft in Kapital auch der Tauschakt aus. Der Arbeitskraftbesitzer bleibt auf seiner Ware sitzen, er kann deren Wert nicht realisieren, sie ist entwertet. Für den Kapitalisten ist die Arbeitskraft kein Kapital und für den Arbeiter keine Ware.

Entwertete Arbeitskaft war bis dato außer Kurs gesetzte Arbeitskraft. Als unverkäufliche Ware blieb sie ungenutzt am Wegesrand liegen, bis sie endgültig verrottet war oder doch noch einen Anwender fand. Die Entstehung von Arbeitskraftkostnixläden bricht mit dieser Regel und führt entwertete Arbeitskraft der einzelbetrieblichen Vernutzung zu.

Was sich damit auf der Kapitalistenseite politikökonomiekritisch gesehen gegenüber dem von Marx analysierten Verhältnis kategorial verändert, erschließt sich unschwer. Der Einsatz kostenloser Arbeitskraft vermindert den Kapitaleinsatz qua Aneignung eines von der gesamten Gesellschaft unterhaltenen Gutes. Betriebswirtschaftlich war es schon immer vernünftiger, die Luft als Müllhalde zu benutzen, als in teure Filteranlagen zu investieren. Im Zeitalter der just in time-Produktion lagern Unternehmen im großen Stil ihre Lagerhaltung auf die öffentlichen Straßen aus. Die Krise der Arbeit bietet die einmalige Chance, neben dem fixen Kapital auch die Kosten der Arbeitskraft mit neuen Methode zu externalisieren.

Die Aufhebung der Lohnarbeit in der Form der Abschaffung des Lohns verändert nicht nur für den Nutzer den Charakter der Ware Arbeitskraft, sondern auch für den Umsonstarbeiter. Aber in welche Richtung? Die Propaganda der Marktwirtschaft liefert eine originelle Antwort und entschädigt Praktikant & Co. für den Lohnverzicht dadurch, indem er sie zum Kapitalisten und Investor adelt. Wer arbeitet, ohne sich dafür bezahlen zu lassen, tut demnach nichts geringeres, als in sein »Humankapital« zu investieren.

Politökonomiekritisch ist das natürlich Unfug. Als Kapital fungiert die Ware Arbeitskraft immer nur für den Käufer und Anwender, nie für ihren Träger. Statt zum Kapital des Umsonstarbeiters aufzusteigen, sinkt die Ware Arbeitskraft zur bloß virtuellen Ware herab, wenn sich das Kapital die Bezahlung sparen kann. Praktikant & Co. werden nicht mit dem Wert ihrer Arbeitskraft bezahlt, sondern mit einem Versprechen: Wenn sie heute ihre Arbeitskraft vernutzen lassen, bringt sie es vielleicht später einmal bis zum Warenstatus.

Die Umdefinition der Arbeitskraft zum »Humankapital« ihres Trägers ist pure Ideologie und verweist dennoch auf drastische, reale Veränderungen. Die Krise der Arbeit versetzt die Betriebe in die glückliche Lage, jene Aufgaben abzuwälzen, die bis dato mit der Kapitalfunktion verbunden waren. Traditionell fiel es nämlich in den Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Unternehmens, die berufliche Qualifizierung zu gewährleisten und die Kosten dafür im Wesentlichen zu tragen.

Das Schlagwort »vom lebenslangen Lernen« kündet von einer unglaublichen Beschleunigung der Umqualifizierung. Der ergänzende Ausdruck employability (Beschäftigungsfähigkeit) verdeutlicht die Rahmenbedingungen der Unterwerfung unter den permanenten Zwang zur Umqualifizierung. Der Arbeitskraftbesitzer und seine staatlichen Bewährungshelfer müssen dafür sorgen, dass die Arbeitskraft dem Kapital von vornherein mundgerecht zugeschnitten in den Rachen springt.

Neben der Medienbranche sowie dem Sozial- und Kulturbereich nahm der Praktikumsboom in den Avantgardesektoren der New Economy seinen Ausgang und trieb dort seine buntesten Blüten. Ganz zufällig war das nicht. Was die Kapitalbeschaffung angeht, ist das Gebäude der IT-Branche auf meist ungedeckten Zukunftserwartungen errichtet worden. Warum dieses Mittel nicht auch beim Arbeitskrafteinsatz anwenden? Zum anderen unterliegt in keinem anderen Bereich die Arbeitskraft einem vergleichbar rasanten »moralischen Verschleiß« (Marx) Arbeitskraft, die keinen Anwender findet, ist im Handumdrehen nicht nur vorübergehend, sondern ein für allemal entwertet

Lassen sich in der Welt der Finanzspekulation Gewinnerwartungen in aktuell vorhandenes Geld verwandeln, funktioniert dies mit der vagen Aussicht auf künftige reguläre Arbeitskraftveräußerung nur schwer, allen Geschwätz vom »Humankapital« zum Trotz. Auch wenn Menschen sich nicht mehr über ihre Arbeit reproduzieren können, müssen sie sich selber reproduzieren, um arbeiten zu können. Wer seine Arbeitskraft im Lieblings-Kostnixladen des Kapitals abliefert, braucht irgendein laufendes Einkommen, also Geld von dritter Seite. Neben den leiblichen Eltern springt Papa Staat, dem Gedanken der employability verpflichtet, in die Bresche. »Lieber Beschäftigung finanzieren als Arbeitslosigkeit«, lautet sein Motto.

Den einzelnen Betrieben, die entwertete Arbeit nutzen, tut er damit selbstredend einen Gefallen. Dem kapitalistischen Gesamtbetrieb kommt die Lohnsubstituierung dagegen nur sehr bedingt zu gute, und für die staatliche Finanzlage ist sie kontraproduktiv. Für jeden aus den Sozialkassen unterhaltenen Umsonstarbeiter fliegt ein Steuer- und Beitragszahler auf die Straße.


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