31.12.2006 

Eine „Theorie zur Verletzbarkeit von Herrschaft“?

Bemerkungen zu John Holloway

von Karl-Heinz Lewed

Der Ausgangspunkt für Holloways viel beachtetes Buch „Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen“ ähnelt stark dem Ansatz der Wertkritik: Unterdrückung und Herrschaft nehmen im Kapitalismus die Form der Verdinglichung und Objektivierung an. Diese versachlichten gesellschaftlichen Verhältnisse erscheinen den Einzelnen als „schiefe“, „fehlerhafte Welt“, „die in einer ganz grundlegenden Weise falsch ist“ (S. 11).[1] Die verschiedenen Formen von Gewalt und Verelendung seien indes keineswegs „isolierte Phänomene“, sondern müssen als zusammenhängende Momente eines Gesamtsystems interpretiert werden (ebd.). Für den positivistischen Verstand hingegen ist das innere gesellschaftliche Band aufgelöst und die Wirklichkeit zerfällt in einzelne, voneinander unabhängig gedachte Tatsachen. Schon diese ersten Formulierungen weisen auf die Richtung hin, die Holloway in seiner Untersuchung verfolgt: die an Marx orientierte Kritik des Kapitalismus als gesellschaftlicher Fetischzusammenhang. „Der Fetischismus steht im Mittelpunkt von Marx’ Diskussion der Macht und ist für jede Diskussion über die Veränderung der Welt von zentraler Bedeutung. Der Begriff steht im Zentrum der Argumentation des Buches (,Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen‘, K. L.)“ (S. 59). Es gibt wohl nur wenige Autoren linker Provenience, die ihrem Grundverständnis nach so explizit an die marxsche Fetischkritik anschließen. Die traditionelle marxistische Theorie hatte sich bekanntlich zumeist ignorant gegenüber diesem Kern der marxschen Kritik gezeigt und sich stattdessen weitgehend affirmativ auf die Kategorien der Warengesellschaft bezogen. Gerade auch angesichts einer gewissen Renaissance des Klassenkampfdenkens, mit den entsprechenden Verkürzungen und Ausblendungen, ist es besonders hervorzuheben, wenn die Analyse der modernen Fetischkonstitution in den Mittelpunkt emanzipativer Kritik gestellt wird. Deshalb soll im Folgenden der Ansatz John Holloways eingehender diskutiert werden.[2]

Die Kritik der Warenform

Ausgehend von der Erfahrung einer verselbständigten und verobjektivierten Welt ist es das unmittelbare und existentielle Leiden an diesen Verhältnisse, das einen Impuls gegen die schlechte Wirklichkeit erzeugt. Diesen Impuls kennzeichnet Holloway als „unseren Schrei“:[3] „Im Anfang ist der Schrei“ (S. 10), so der erste Satz des Buches. „Wir schreien nicht, weil wir unbeteiligt im Sessel sitzen, sondern weil wir die Klippe hinunterfallen“ (S. 15).[4] In Anlehnung an die Fetischkritik wird die Ursache für Herrschaft und Unterdrückung aber nicht in traditioneller Weise im antagonistischen Verhältnis von Klassensubjekten verortet, sondern als gesellschaftlich hergestellte Struktur beschrieben: „Wie Fliegen gefangen in einem Netz gesellschaftlicher Verhältnisse, über die wir keine Kontrolle haben, können wir uns nur dadurch zu befreien versuchen, dass wir uns aus den Fesseln lösen, die uns gefangen halten… Die Fliege spielt keine Rolle beim Spinnen des Netzes, während wir jedoch die Einzigen sind, die dieses System erschaffen, das uns gefangen nimmt“ (S. 15).

Dieses Verständnis fasst den sozialen Zusammenhang als eine verobjektivierte Struktur auf, die die Gesellschaft selbst hervorbringt und von der sie sich deshalb auch befreien kann. Es grenzt sich aber nicht nur von der marxistischen Tradition ab, der es in erster Linie um die Übernahme der Macht ging und die damit die herrschaftlichen Formen gerade fortschrieb. Auch der (Post-)Strukturalismus, so Holloway, erklärt es für unmöglich, über die immanenten Kategorien dieser Gesellschaft hinauszukommen. Im Strukturalismus bzw. der Systemtheorie ist das Gefüge gesellschaftlicher Strukturen ontologisiert und damit als unüberwindbar gesetzt. Damit sind Machtstrukturen prinzipiell nicht aufzuheben, allenfalls kann die Position in der jeweiligen Kräftekonstellation, in den „Dispositiven der Macht“ (Foucault), verschoben werden. Insofern ist Holloways Kritik völlig zutreffend, wenn er im Gegensatz zum Poststrukturalismus nach der grundsätzlichen „Verletzbarkeit von Herrschaft“ (S. 56) fragt. „Die Betonung des Verständnisses von Macht als ‚Vielfältigkeit von Kraftverhältnissen‘ verschafft uns keine Grundlage für diese Frage (der grundlegenden Überwindung von Herrschaft; K. L.), sondern führt im Gegenteil dazu, diese Frage auszublenden, denn, während Widerstand in Foucaults Werk … ein zentraler Begriff ist, wird doch die Vorstellung von Emanzipation als absurd ausgeschlossen, da sie, wie Foucault richtig hervorhebt, von der Annahme der Einheit der Machtbeziehungen ausgeht“ (S. 56). Die Machtbeziehungen im Kapitalismus und ihre verschiedenen „Dispositive“ sind aber keineswegs eine überhistorisch gültige Grundlage sozialen Handelns. In der Moderne wird vielmehr erst eine spezifische „Einheit“-lichkeit von Herrschaftsstrukturen erzeugt. Dieses einheitliche Prinzip blendet der Poststrukturalismus völlig aus, oder verlegt es in überhistorische Formen, beispielsweise der Sprache.

Ein wichtiger und zugleich problematischer Aspekt dieser Ontologie der Macht besteht darin, dass sie der immanenten Logik auf einer bestimmten Ebene geradewegs in die Arme läuft: Die Reduktion auf die bloße Verschiebung innerhalb der stets vorausgesetzten Machtdispositive arbeitet der ohnehin allseitig wirkenden Verflüssigung identitärer Beziehungen zu. Die an sich richtige Kritik an der Fixierung von Identitäten bleibt auf diese Weise völlig systemkompatibel, oder wie Holloway konstatiert: „Wird die Vielzahl von Identitäten in den Mittelpunkt gestellt, ohne nach dem Identifikationsprozess, der sie entstehen lässt, zu fragen, kommt es unweigerlich zur Reproduktion dieser Identitäten, d.h. man ist aktiv an dem Prozess der Identifikation beteiligt“ (S. 93).

Gegen eine enthistorisierte Auffassung von Strukturen und Systemen verweist er völlig zutreffend auf deren historische Genese: „Der Begriff Form ist von zentraler Bedeutung für Marx’ Diskussion im ‚Kapital‘. Er spricht von der ‚Geldform‘, der ‚Warenform‘, der ‚Kapitalform‘… Es (Geld, Ware, Kapital) sind geronnene oder erstarrte Existenzweisen von Verhältnissen zwischen Menschen. ‚Form‘ ist also das Echo des Schreis, eine hoffnungsvolle Nachricht. Wir schreien an gegen die Dinge, wie sie sind: Ja, ertönt das Echo, aber die-Dinge-wie-sie-sind[5] sind nicht ewig, es sind nur die historisch geronnenen Formen gesellschaftlicher Verhältnisse“ (S. 66). Umgekehrt trifft die Kritik einer Enthistorisierung nicht nur den (Post-)Strukturalismus, sondern bürgerliche Denkformen überhaupt. Holloway stellt ganz zutreffend heraus: „Bürgerliches (fetischistisches) Denken ist gegenüber der Frage der Form blind. Die Frage der Form (Wert, Geld oder Kapital als Formen gesellschaftlicher Verhältnisse) entsteht nur, wenn man sich der Geschichtlichkeit bürgerlicher gesellschaftlicher Verhältnisse bewusst ist, d.h. der Tatsache, dass der Kapitalismus nur eine besondere historische Form der Organisation gesellschaftlicher Verhältnisse der Menschen ist“ (ebd.).

Die Historisierung der sozialen Beziehungen hat für die Kritik eine radikale Öffnung der Perspektive zur Folge: Eine emanzipative Bewegung muss sich ihrem Grundverständnis nach gegen die in einem unbewussten Prozess hergestellten Herrschaftsformen stellen. Und auch Holloway fordert mit seinem Ansatz konsequent den nötigen Bruch mit den Verhältnissen und eine Perspektive eines „radikalen Andersseins“ (S. 16). Auch oder vielmehr gerade wegen der verallgemeinerten Verobjektivierung und Verselbstständigung gesellschaftlicher Verhältnisse kann nur die Kenntlichmachung der „besonderen historischen Form“ überhaupt noch einen Standpunkt der Emanzipation angeben: „Vom Fetischismus sprechen wir …, um zu zeigen, dass die scheinbar unüberwindliche Starrheit der gesellschaftlichen Verhältnisse untergraben werden kann, und zwar indem gezeigt wird, dass diese Verfestigungen (Geld, Staat und so weiter) bloß historisch spezifische Formen gesellschaftlicher Verhältnisse sind, also Produkte gesellschaftlichen Tuns, die wiederum durch gesellschaftliches Tun veränderbar sind“ (S. 98).

Die Historisierung der realen Verhältnisse impliziert aber auch die Kritik der theoretischen Enthistorisierung von gesellschaftlichen Formen. Holloway kritisiert völlig zu Recht in diesem Zusammenhang den Ansatz der Regulationstheorie als unhistorisch. Diese begreift zwar die herrschenden kapitalistischen Beziehungen als geschichtlich entstanden, doch einmal installiert, bewegt sich das Kapital nach dieser Auffassung stets auf seiner eigenen, angeblich stabilen Grundlage. Dem Kapital und seinen widersprüchlichen Prozessen wird so eine völlig unangemessene Stabilität zugeordnet. Das „Regulationsmodell“ (Hirsch) war aber tatsächlich nur während einer kurzen Periode, im Hochfordismus, eine zutreffende Beschreibung gesellschaftlicher Realität und hat darüber hinaus wenig bis keine Gültigkeit.[6] Holloway hält solch einer Theorie entgegen: „Es wird davon ausgegangen, dass, sobald einmal der Übergang (vom Feudalismus zum Kapitalismus) stattgefunden hat, der Wert eine stabile Form gesellschaftlicher Verhältnisse ist… Ebenso verhält es sich mit allen anderen Kategorien: Wird auch die Verdinglichung von Gesellschaftsverhältnissen als stabil aufgefasst, dann werden alle Erscheinungsformen dieser Gesellschaftsverhältnisse … und deren Entwicklung als Entfaltung einer geschlossenen Logik verstanden werden“ (S. 98). Es gibt in diesem Paradigma keine basalen Widersprüche und damit auch keine Krisendynamik auf der Ebene der gesellschaftlichen Form, sondern nur einen Wechsel von „Regulationsmodellen“. „In der Zukunft wird es einen radikalen Bruch geben, aber in der Zwischenzeit können wir den Kapitalismus so behandeln, als wäre er eine sich selbst reproduzierende Gesellschaft“ (S. 157). Holloway belegt diesen Standpunkt der Kritik mit dem Begriff des „starren Fetischismus“ (S. 97), der selbst die Logik der Identität hypostasiert, indem er die Kategorien der verdinglichten Beziehungen als „‚geschlossene‘ Kategorien“ (S. 98) auffasst. „Instabilität (des Kapitalismus; K. L.) wird implizit in die Außenbezirke des Kapitalismus, die zeitlichen, räumlichen und gesellschaftlichen Ränder verbannt“ (S. 99).

Bemerkenswert an dieser Kritik eines „starren Fetischismus“ ist, dass sie nicht nur die Regulationstheorie trifft, sondern in gewissen Aspekten auch auf den Ansatz der Wertkritik bezogen werden kann, wie er in den 80er und 90er Jahren in der krisis formuliert wurde.[7] Denn die Entdeckung und Reformulierung der Fetischkritik von Marx seitens der krisis-Autoren bewegte sich zunächst selbst noch im theoretischen Horizont einer objektivierten Totalität. Der Wert wurde – um es in Holloways Worten auszudrücken – als „Entfaltung einer geschlossenen gesellschaftlichen Logik“ (S. 98) analysiert, in der die Praxis der Einzelnen auf die bloße Erscheinung bzw. eine Exekutionsfunktion des alles übergreifenden Systemzusammenhangs reduziert ist. Nach diesem Verständnis sind die den kapitalistischen Gesetzen unterworfenen Menschen reine instinktgesteuerte Naturwesen des Werts[8], womit im Grunde die totalisierende Logik des Werts theoretisch noch übersteigert wird, insofern alle Phänomene dem Zugriff des einheitlichen Prinzips unterliegen sollen. Dem entsprach, dass zwar mit der Krisentheorie die Reproduktionsfähigkeit des kapitalistischen Systems grundsätzlich infrage gestellt wurde; doch blieb die Vorstellung einer Aufhebung der Warengesellschaft weitgehend im Horizont der traditionellen Auffassung über den an sich fortschrittlichen und naturwüchsig positiven Charakter der Entwicklung der Produktivkräfte befangen.[9]

Eine Dimension dieser objektivierenden theoretischen Perspektive betrifft das Selbstverständnis des eigenen Standpunkts. Angesichts der Totalisierung des Fetischzusammenhangs ist es die besondere und hervorgehobene Rolle des Theoretikers, diesen sichtbar machen zu können. Dem traditionellen Fortschrittsdenken nicht unähnlich gerät eine solche Perspektive in die Nähe einer negativ gewendeten hegelischen Selbstreflexion der geschichtlichen Entwicklung. Wie die Partei wäre so der Theoretiker in der Lage, den fortgeschrittenen Stand der historischen Entfaltung zu reflektieren.[10] Holloway stellt gegen eine solche Perspektive zutreffend fest: „Die Auffassung des starren Fetischismus impliziert, das wir etwas Besonderes sind, dass wir gegenüber dem Rest der Gesellschaft einen Vorteil haben. Sie sind entfremdet, fetischisiert, verdinglicht, leiden an falschem Bewusstsein, wir sind in der Lage, die Welt vom Standpunkt der Totalität oder des wahren Bewusstseins … zu betrachten… Dies impliziert, dass wir eine intellektuelle Elite, eine bestimmte Avantgarde sind“ (S. 99f.). Der herausgehobene Standpunkt eines fortgeschrittenen, systemtranszendierenden Bewusstseins, wie er für den Traditionsmarxismus typisch war, reproduziert sich hier also mit umgekehrten Vorzeichen. Natürlich geht es einer objektiven Wertkritik von der Grundtendenz her nicht um die Fortschreibung der immanenten Formen, sondern um deren Aufhebung. Das Verständnis jedoch über die Voraussetzungen für einen Bruch mit den Gesetzen der Warengesellschaft wird weiterhin im Horizont einer Entwicklung im Zeichen des zivilisatorischen Fortschritts und der „notwendigen“ Durchsetzungsgeschichte gesellschaftlicher Formationen bestimmt.

Demgegenüber hat sich in den letzten Jahren der theoretische Fokus der Wertkritik erweitert und im Zuge dessen wurde gerade die theoretische Hypostasierung der Totalität der kapitalistischen Verhältnisse kritisiert bzw. versucht diese zu überwinden. Mit dieser Weiterung verändert sich aber auch die Einschätzung über den Stellenwert gesellschaftlicher Widersprüche bzw. Kämpfe. Wird in der objektiven Wertkritik jedes Phänomen zur bloßen Erscheinung des gesellschaftlichen Prozesses oder gar für nichtig erklärt, so ist es gerade das Verständnis über die Gebrochenheit der totalisierenden Logik, das Ansatzpunkte für emanzipative Interventionen bietet. Holloway stellt der hegelianisierenden Sichtweise einer objektiven Totalität die grundsätzliche Widersprüchlichkeit der Verhältnisse entgegen, die in sich schon eine weitertreibende Kraft bergen: „Die Kategorien werden als geschlossene Kategorien verstanden, anstatt sie als Kategorien aufzufassen, die unter der explosiven Kraft ihrer eigenen Widersprüche aufzubrechen drohen, Kategorien, die das Unbeherrschbare beherrschen sollen“ (S. 158).

In Abstoßung von einem „starren Fetischismus“, der jeden Widerspruch objektiviert und letztlich als Funktion des Systemzusammenhangs darstellt, wäre indes umgekehrt an Holloways Analyse ebenso kritisch die Frage zu richten, welchen Stellenwert und welche Qualität diese Widersprüche in seiner Analyse haben. Dass der Kapitalismus zuhauf Widersprüchlichkeiten produziert, darüber könnte man auch mit einer objektivistischen Sichtweise Übereinstimmung erzielen. Zentral für eine Perspektive, die sich von der Herrschaft der Warenform befreien will, ist es aber, diese in einen angemessenen theoretischen Rahmen zu stellen. Eine essentiellere Aufgabe dürfte es für eine kritische Theorie wohl gar nicht geben. Holloways Intention ist jedenfalls eindeutig die Befreiung von den fetischistischen Strukturen des Kapitalismus. Handelt es sich bei seinem Ansatz also lediglich um eine terminologische Variation von Wertkritik, die mit anderen Begriffen operiert, deren Perspektive sich aber weitgehend mit der Warenkritik deckt? Der Vorspann hat tatsächlich eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten mit Holloway gezeigt. Die weiteren Ausführungen werden allerdings ergeben, dass seine Vorstellung von einer veränderten Welt auf Prämissen beruht, die selbst noch integraler Bestandteil warenförmiger Wirklichkeit sind.

Sein Begriff des „starren Fetischismus“ weist schon auf eine Auffassung über den Charakter kapitalistischer Verhältnisse hin, die diesen nicht angemessen ist. Dabei ist es weniger problematisch, dass der Begriff im Grunde tautologisch ist. Denn die „Starrheit“ gesellschaftlicher Verhältnisse, d.h. die in der Ware sich ausdrückende Versachlichung gesellschaftlicher Beziehungen, ist ein notwendiges Moment des modernen Fetischismus und muss deswegen nicht gesondert hervorgehoben werden. Problematisch wird die Sache allerdings, wenn Holloway annimmt, dass die Warengesellschaft erst durch eine positive Subjektivität, durch eine „explosive Kraft“ des „Unbeherrschbaren“ (S. 158) überhaupt eine prozessierende Dynamik jenseits der „Starrheit“ erlangt. Der Fetischismus nach Holloways Lesart wird insofern nicht als eine gesellschaftliche Struktur begriffen, die in ihrer verselbständigten Entwicklung immerfort die gesellschaftlichen Verhältnisse (bis zur Systemgrenze) umwälzt und auf diese Weise grundsätzliche und systemsprengende Widersprüche hervorbringt. Vielmehr resultiert nach seinem Verständnis die „Verflüssigung“ und das Aufbrechen erstarrter und verfestigter Fetischbeziehungen aus einer a priori positiv gedachten emanzipativen Macht oder vielmehr „Anti-Macht“. Es sind in erster Linie zwei Begriffe, mit deren Hilfe er diese per se als fortschrittlich und transzendierend angenommene Subjektivität auszuformulieren sucht: der Begriff des „Tuns“ und der der „Nicht-Identität“.

Der Begriff des Tuns

Für Holloway ist die verobjektivierte Struktur im Kapitalismus zugleich mit einer Trennung und Entkopplung gesellschaftlicher Beziehungen verbunden, die einen zentralen Ansatzpunkt für seine Kritik darstellen. Die gesellschaftlich integrative Kraft, die diese soziale Fragmentierung aufhebt, ist seiner Ansicht nach verknüpft mit dem materiellen Produzieren, das Holloway ganz allgemein als menschliches „Tun“ umschreibt: „Tun ist immer gesellschaftlich. Was immer ich tue, es ist Teil des gesellschaftlichen Flusses des Tuns… Es gibt eine Gemeinschaft des Tuns, ein Kollektiv von Tuenden, einen Fluss des Tuns durch Zeit und Raum… Sofern der kollektive Fluss des Tuns anerkannt wird, schließt die Verflechtung unserer Existenz, dieses kollektive Tun, die gegenseitige Anerkennung des Anderen als Tuenden, als aktives Subjekt ein“ (S. 39f.). „Tun“ ist „kreative Macht“ und als solche „immer gesellschaftliche Macht“ (S. 41). Um diesen produktiven Zusammenhang des „Tuns“ näher zu bestimmen, stellt er ihm explizit den marxschen Begriff der „toten Arbeit“ gegenüber, der für die Verdinglichung stehe: „Die Bewegung des Tuns ist eine Bewegung gegen die Negation seiner Gesellschaftlichkeit“, so Holloway und „der Kommunismus“ ist die „Bewegung des Lebendigen gegen die Arbeit“ (ebd.).

Diese Auffassung über den Charakter produktiver Tätigkeit unterscheidet sich indes in wesentlichen Aspekten von der Kritik, wie Marx sie formuliert hat. Die Arbeit hat nach Marx im Kapitalismus den Charakter eines verselbständigten Selbstzwecks, der sich als versachlichte Bewegung von „toter“ und „lebendiger Arbeit“ darstellt. Im Rückkopplungsprozess der Arbeit auf sich selbst muss die „tote Arbeit“ stets die Gestalt ihres eigenen Gegenteils, der „lebendigen Arbeit“, annehmen. Das Konkrete und „Lebendige“ ist so nur die notwendige Erscheinungsweise der wertförmigen Selbstvermittlung. In Holloways Analyse hingegen, soll die Kategorie der „lebendigen Arbeit“ den zentralen und emanzipativen Standpunkt der Kritik darstellen. In Abstoßung von der Starrheit der Abstraktion schlägt er sich unvermittelt auf die vermeintlich positive Seite des Konkreten und verkennt damit die wechselseitige Bedingtheit beider Momente im Gesamtzusammenhang der Verwertung des Werts. Zwar versucht Holloway terminologisch das „Tun“ von der Arbeit im Kapitalismus abzugrenzen, indem er diese als „entfremdetes Tun“ (S. 47) fasst. Doch wirkt nach seinem Verständnis die Entfremdung durch die Kapitalakkumulation nur äußerlich auf ein schon immer vorgängiges „Tun“ ein, das dadurch „zunehmend das Tun und den Tuenden (beherrscht)“ (S. 48). Letztere „werden zu objektivierten Subjekten. Sie verlieren auch ihre Kollektivität, ihr ,Wir-Sein‘… Von einem aktiven Tun wird ihr Tun zu einem passiven, erlittenen, fremden Tun. Tun wird zur Arbeit“ (S. 47).[11] Holloway unterstellt also stets einen sozialen Zusammenhang von ineinander greifenden Tätigkeiten[12], deren produktiver Gehalt erst durch die Herrschaft des Kapitals zerrissen wird. Auch wenn er den Terminus Arbeit durch den Ausdruck des „Tuns“ variiert, so bleibt doch der Inhalt, den er mit diesem Begriff zu bestimmen sucht, der gleiche. Das Konkret-Inhaltliche der Tätigkeiten ist bei ihm nicht die Erscheinungs- bzw. Bewegungsform der abstrakten Arbeit, sondern vielmehr Ausdruck einer urgründigen kreativen Macht. Dieses „Tun“ spinnt sich in eine an sich schon vorhandene Kollektivität ein, so dass die im Netz ihrer eigenen Verdinglichung scheinbar Gefangenen gewissermaßen im Untergrund immer schon ihren produktiven Zusammenhang herstellen. Demgegenüber muss festgehalten werden, dass die Kategorie der Arbeit als (immer verstanden als Einheit von „lebendiger“ und „toter Arbeit“) gesellschaftliche Synthesis und damit als Beziehungsform zwischen den Subjekten die soziale Negation, d.h. die Trennung in vereinzelte Einzelne, konstitutiv in sich trägt. Daran ändert sich selbstverständlich auch nichts, wenn Holloway den Begriff der „lebendigen Arbeit“ mystifizierend als kreative Potenz allgemein menschlichen „Tuns“ umformuliert.

Die Stilisierung der lebendigen Schaffenskraft kann selbst nur als ideologisierter Ausdruck der alle gesellschaftlichen Bereiche erfassenden Versachlichung und Abstraktifizierung interpretiert werden. Als solche schließt sie an eine Denktradition von Nietzsche und der Lebensphilosophie an, die gegen die Zumutungen der versachlichten Verhältnisse ein vermeintlich lebendiges Ganzes geltend macht, das hinter den oberflächlichen und verdinglichten Erscheinungen schon immer existent sein soll. Tatsächlich aber lässt die Versachlichung gesellschaftlicher Strukturen überhaupt erst das Bedürfnis entstehen, sich auf die scheinbar gute Seite der „lebendigen Arbeit“ zu schlagen. Die Formulierung des „Tuns“ als kreativer Fluss, als Produktivität und Produktionspotenz nimmt den Aspekt „lebendiger“ Vermittlung heraus und hypostasiert bzw. ideologisiert ihn: „Die einzige Antwort, die uns aus dem Kreis der Identität führen kann, ist diejenige, die zu einer Erschafferin führt, die nicht unwandelbar ist, eine Erschafferin, die sich selbst im Prozess der Erschaffung hervorbringt… Wir sind die einzigen Erschaffer, die einzigen Götter. Schuldige Götter, negierte Götter, beschädigte, schizophrene Götter, aber vor allem, sich selbst verändernde Götter“ (S. 129). Was Holloway jenseits der Verobjektivierung wähnt, Kreativität und Schöpfungskraft, ist im Grunde eine projektive Überhöhung des warengesellschaftlichen Produktivismus. Die abstrakte und sich selbst bewegende Form konstituiert nämlich als Selbstzweck erst eine unentwegte, nicht enden wollende Bewegung von Produktion und Produktivität. Der Zwang zur abstrakten Verausgabung von Energie kommt deshalb auch im Ansatz von Holloway deutlich zum Vorschein. Vormodernen Gesellschaften wäre die Emphase auf die produktive „Erzeugung“ in einem steten „Fluss des Tuns“ mehr als nur unverständlich geblieben und auch eine von verdinglichten Strukturen befreite Gesellschaft kann die auf die Erde herabgestiegene „Schöpfer“-Figur wohl kaum als ernsthafte Perspektive ansehen.

Unverkennbar verknüpft mit dieser Phantasie einer kreativen Schöpfungspotenz und Schöpfungssubjektivität ist die Frage des Geschlechterverhältnisses. Christina von Braun hat in ihrem Buch „NICHTICH“ die geschichtliche Durchsetzung der Logik des „Männlichen“ analysiert und dabei u.a. das Streben nach „männlicher Vollständigkeit“ herausgestellt.[13] Dieser Wunsch nach Vollständigkeit bedeutet, dass das männliche Subjekt das von sich selbst Abgespaltene und Ausgeschiedene wieder zu integrieren sucht. Es scheint überaus deutlich, dass sich in der Selbstzuschreibung einer gottgleichen Potenz von lebendiger Schöpfungskraft und Erzeugertum genau diese Sehnsucht nach „männlicher Vollständigkeit“ ausdrückt, die das Inhaltsleere der eigenen Form zu kompensieren sucht. In diesem blinden Fleck hollowayscher Subjektemphase könnte auch der tiefere Grund liegen, weswegen in seiner Analyse die Ebene der geschlechtlichen Machtstrukturen keinerlei Erwähnung findet, obwohl doch der Begriff der Macht darin zentral ist. Für eine (männliche) Subjektivität, die sich ihr abgespaltenes Gegenteil auch noch selbst zuordnet, ist die geschlechtliche Herrschaftsstruktur im Kapitalismus wohl gänzlich unsichtbar geworden.

Einerseits greift Holloway mit seiner Kategorie des produktiven Tätigseins über den immanenten Gehalt der „lebendigen Arbeit“ weit hinaus und ideologisiert diesen. Zum anderen aber ist seine Analyse hinsichtlich der zentralen Frage verkürzt, aus welchen Bedingungen überhaupt die gesellschaftliche Fragmentierung resultiert. Da die „lebendige Arbeit“ schon von je her den „gesellschaftlichen Fluss“ garantieren soll, kann die soziale Trennung und Entkopplung nur das Ergebnis einer ihr äußerlichen Logik sein. Der Hintergrund für das Zerbrechen des sozialen Zusammenhangs bildet laut Holloway einerseits die Orientierung auf die Marktproduktion und andererseits die private Verfügung über die jeweiligen Produkte. Diese zwei Momente sollen letztlich die Ursache sein für die Trennung der „Tuenden“ von ihrem Produkt und des „Tuns“ insgesamt vom „Getanen“: „Die Trennung des Getanen vom Tun bildet den Kern des Ganzen“ (S. 63). Die spezifischen Formen der Herrschaft im Kapitalismus ergeben sich laut Holloway aus der privaten Verfügung der „Herrschenden“ (S. 44) über das Getane, aus dem „Einfrieren vergangenen Tuns von Menschen in Eigentum“ (S. 44). Indem Holloway so die Marktproduktion und die private Verfügungsmacht über das „Getane“ zum Wesen kapitalistischer Herrschaft und Verdinglichung erklärt, reproduziert er die gängige Sichtweise des traditionellen Marxismus.[14] Wie dieser übersieht Holloway damit gerade den Kernpunkt der kapitalistischen Vermittlung: die Verselbständigung der gesellschaftlichen Synthesis im Selbstzweck der Arbeit und des Werts. Diese Auffassung über das verborgene und ontologische Wesen eines produktiven Zusammenhangs dementiert dabei aber die selbst erhobene Forderung, wonach die Fetischkritik die „Verfestigungen (Geld, Staat und so weiter) (als) … historisch spezifische Formen gesellschaftlicher Verhältnisse“ identifizieren müsste. Die an sich richtige Feststellung, dass „in der kapitalistischen Gesellschaft gesellschaftliche Verhältnisse als Verhältnisse zwischen Sachen (existieren)“ (S. 97), verkehrt sich durch die Ontologie des „Tuns“ gerade in ihr Gegenteil.

Marx’ Fetischismuskritik und die Frage von Sein und Schein

Fetischismus bedeutet die Herrschaft einer verobjektivierten Gesellschaftlichkeit, insofern der gesellschaftliche Zusammenhang über Arbeit vermittelt ist und dieser sich in Form der Ware darstellen muss. Die abstrakte Vermittlung durch die Ware bedeutet zugleich die Trennung in Wert und Gebrauchswert bzw. abstrakte und konkrete Arbeit und die Anwendung von konkreter Arbeit für den abstrakten Selbstzweck der Verwertung. Die Fetischkritik bei Marx bezieht sich auf diese gesellschaftliche Verkehrung, die aus der Vermittlung der Individuen über Arbeit resultiert. Gleichzeitig zielt diese Kritik auf die Entfremdung und die Verselbständigung der unkontrolliert prozessierenden Gesellschaftlichkeit. In der Wertformanalyse zeigt Marx, dass diese gesellschaftliche Form notwendigerweise nicht als solche erscheinen kann, sondern sich an der Oberfläche in den Formen von Ware, Geld, Preis, Zins usw. ausdrücken muss. Die Verkehrung der gesellschaftlichen Beziehungen drückt sich also in fertigen Formen aus, in Dingen, die ihren gesellschaftlichen Charakter als natürliche Eigenschaft erscheinen lassen und die das „verkehrte“ gesellschaftliche Verhältnis verhüllen. Arbeit scheint natürlicherweise Wert zu produzieren, Geld scheint es von Natur aus zu geben, und jede Ware hat selbstverständlich einen Preis.

Eine Perspektive, die das gesellschaftliche Verhältnis als im „Tun der Tuenden“ positiv schon voraussetzt, muss den Fetisch anders begreifen. Die Vermittlung der Einzelnen über ihre produktive Tätigkeit bedeutet für diese Sichtweise nicht den Inbegriff des Fetischismus, sondern ist umgekehrt der Standpunkt der Kritik. Die Herrschaft des kapitalistischen Fetischs wird nicht auf der Ebene der gesellschaftlichen Konstitution, d.h. der Vermittlung durch Arbeit analysiert, die sich dann in verhüllenden Formen an der Oberfläche darstellt. Vielmehr wird die Produktion, das „Tun der Tuenden“, von der Sphäre der Distribution bzw. Zirkulation getrennt. Tatsächlich aber ist diese nur Moment einer negativen Totalität der Arbeit. Das gesellschaftlich Trennende, das Holloway ursächlich diesem gesellschaftlichen Bereich zuordnet, konstituiert sich gerade dadurch, dass Arbeit in das Zentrum sozialer Synthesis rückt. Indem die Menschen ihren sozialen Zusammenhang über Arbeit herstellen, isolieren sich die „vereinzelten Einzelnen“ (Marx) gerade voneinander und von diesem Zusammenhang. In vormodernen Gesellschaften war die produktive Tätigkeit in andere Formen gesellschaftlicher Vermittlung eingelassen, die meist von einem religiösen Hintergrund dominiert war. Entgegen diesem vielfältigen Beziehungsgeflecht von Sitten und Gebräuchen, in denen es aber auch bewusste Absprachen, Reziprozität oder Redistribution gab, ist in der Warengesellschaft die Arbeit die einzig relevante Form gesellschaftlicher Vermittlung geworden. Damit wird aber die Sozialität gleichzeitig a-sozial. Aus dem hegemonialen Verhältnis der Arbeit resultiert die Trennung und Entkopplung der Menschen in isolierte Monadenwesen des „freien Willens“ (Kant), die ihren Zusammenhang nur in Form von Gegenständen, also vergegenständlicht, vermitteln können. Diese „ungesellschaftliche Gesellschaftlichkeit“ (Marx) konstituiert sich durch Arbeit, während der Marktmechanismus nur deren äußerliche Verlaufsform darstellt.

Für Holloway hingegen ist es gerade der Markt, der den „Fluss des Tuns zerreißt“ und „das Ding als vom Tun … getrennt erscheinen (lässt)“ (S. 62; Hervorheb. K. L.) Das Positivsetzen der produktiven Sphäre bestimmt also notwendigerweise auch das Verständnis des Fetischbegriffs. Bei Holloway erscheinen die Waren-Dinge nicht als das, was sie eigentlich sind, nämlich Produkte einer „verkehrten“ gesellschaftlichen Vermittlung, deren Formen sich verselbständigt haben. Sondern sie erscheinen als getrennt von der positiv gesetzten Tätigkeit. Die Trennung wird damit paradoxerweise nur eine Frage der Bewusstseinsform und nicht eine der realen Praxis der Vermittlung. Diese Paradoxie ist aber durchaus konsequent. Wenn man von der Voraussetzung eines real schon existierenden Zusammenhangs ausgeht, so ist die Schlussfolgerung, die Trennung sei nur scheinbar und durch die äußeren Formen bloß verhüllt, durchaus folgerichtig. Der Begriff des Fetischs wird damit nur auf die Ebene der Erscheinungen bezogen und das „Tun“ nicht schon als verkehrte Form der Gesellschaftlichkeit interpretiert. Über den „an sich“ vorhandenen Fluss des Tuns erhebt sich so eine falsche Form des Bewusstseins, die dieses Tun nur äußerlich als „getrennt erscheinen lässt“. „‚Das Kapital‘ ist eine Untersuchung der Selbst-Negation des Tuns. Von der Ware aus bewegt sich Marx weiter zu Wert, Geld, Kapital, Profit, Pacht, Zins – zu immer dunkleren Formen, die das Tun verbergen, zu immer entwickelteren Formen der Unterdrückung kreativer Macht. Das Tun (menschliche Aktivität) entschwindet zunehmend dem Blick. Die Dinge herrschen. In dieser Welt, in der die Dinge herrschen, in der das Novum der menschlichen Kreativität der Vermittlung zunehmend dem Blick entschwindet, in dieser ‚verzauberten, verkehrten und auf dem Kopf stehenden Welt‘ (Marx) wird es möglich von den ‚kapitalistischen Entwicklungstendenzen zu sprechen‘“ (S. 63).

Entgegen dieser Perspektive, die die erscheinenden Formen als Verhüllung eines wahren Wesens der Gesellschaft begreifen, wäre festzuhalten, dass sich der marxsche Fetischbegriff nicht auf die falsche Erscheinungsform bezieht.[15] Vielmehr geht es bei Marx darum, die verkehrte Form der Gesellschaftlichkeit zu analysieren, in der gerade die produktive Tätigkeit zur zentralen Instanz sozialer Vermittlung wird. Marx drückt dies dahingehend aus, dass die versachlichte Herrschaft der Ware eine durchaus zutreffende Erscheinung von verkehrten gesellschaftlichen Beziehungen ist: „Den letzteren (den Produzenten; K. L.) erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das, was sie sind, d.h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen ihrer Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen“ (MEW 23, S. 87; Hervorheb. K. L.). Die Beziehungen erscheinen „als das, was sie sind“. Die „sachlichen Verhältnisse der Personen“ werden also nicht erst durch eine äußerlich, auf die Produktion wirkende Marktvermittlung erzeugt, die somit die wirklichen Beziehungen der Menschen, den „Fluss ihres Tuns“, in immer „dunkleren Formen verbergen“. Sondern die Ware ist die Form, die die gesellschaftlichen Beziehungen im Kapitalismus notwendig annehmen, wenn die Arbeit in das Zentrum gesellschaftlicher Vermittlung tritt. Es zeugt also von einer unhistorischen Auffassung über den spezifischen Charakter der kapitalistischen Verhältnisse, wenn Holloway die Herrschaft der Ware und die Verdinglichung auf die Produktion für den Markt reduziert. Postone hat in seiner Kritik des traditionellen Marxismus sehr genau auf diesen Punkt hingewiesen: „Diese Kritik gegebener gesellschaftlicher Bedingungen (Ausbeutung) und Strukturen (Markt und Privateigentum) geht aus von der Grundlage dessen, was bereits gegeben ist (‚Arbeit‘ in der Form industrieller Produktion). Sie gibt vor, zu enthüllen, dass, allem Anschein zum Trotz, Arbeit ‚in Wirklichkeit‘ gesellschaftlich sei und nicht privat… Dies ist an ein Verständnis gesellschaftlicher Mystifikation gebunden, demzufolge keine innere Beziehung zwischen dem bestehe, was die wirkliche Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft ausmacht (nämlich ‚Arbeit‘), und den gesellschaftlichen Erscheinungsformen, die es verschleiern“ (Postone 2003, S. 110).

Dass Arbeit „in Wirklichkeit“ gesellschaftlich ist und die „gesellschaftlichen Erscheinungsformen“ in der Gestalt von Waren-Dingen diese „Wirklichkeit“ nur verschleiern, gehört zu den impliziten Voraussetzungen Holloways. Die Verwechslung der Ebene der Fetischkonstitution, d.h. die Reduktion des Fetischbegriffs auf die bloß falsche dingliche Erscheinung eines richtigen Wesens, führt zu einigen argumentativen Kapriolen darüber, was denn nun wirklich und was demgegenüber nur Schein sei. Angesichts der Unauffindbarkeit des positiven Wesens eines „an sich“ existierenden Zusammenhangs eines Tuns-Flusses, dafür aber des real existierenden Auseinanderfallens der Gesellschaft, lässt sich die Argumentation der bloß scheinbaren gesellschaftlichen Entkopplung schlecht ungebrochen aufrechterhalten. Deshalb nimmt Holloway sie auch schon mal zurück, um freilich, wie im folgenden Zitat, nach einer kurzen Schleife wieder bei der Mystifikation der Verdinglichung zum äußeren Schein zu enden: „Gesellschaftliche Verhältnisse sind nicht nur scheinbare Verhältnisse zwischen Dingen: Diese Erscheinung spiegelt vielmehr den wirklich vorhandenen Bruch zwischen Tun und Getanem, den wirklichen Bruch in der Gemeinschaft des Tuns, wider. Verhältnisse zwischen Tuenden sind wirklich durch Verhältnisse zwischen Dingen gebrochen… Diese Dinge sind die fetischisierten Formen der Verhältnisse zwischen den Produzenten, und als solche negieren sie ihren Charakter als gesellschaftliche Verhältnisse. Waren, Wert, Geld verschleiern den gesellschaftlichen Charakter der Privatarbeiten und daher die gesellschaftlichen Verhältnisse der Privatarbeiter …, statt sie zu offenbaren“ (S. 64, Hervorheb. K. L.). Wir haben hier keinen Bruch des „Tuns“ vor uns, sondern einen argumentativen Bruch. Denn der „Fluss des Tuns“ ist bei Holloway ja als realer Zusammenhang der „Tuenden“ schon immer gesetzt und der Bruch soll nach dieser Argumentation gerade darin bestehen, dass die entwickelten Formen das wahre Wesen des „Tuns“ nur verhüllen. Es ist aber schon einigermaßen unsinnig, zu behaupten, ein Bruch der Verhältnisse würde durch eine Verhüllung real erzeugt. Nichts anderes drückt aber der Satz aus, dass die Dinge als fetischisierte, d.h. verhüllende Formen der Verhältnisse, ihren gesellschaftlichen Charakter negieren. Da Holloway aber nicht ernsthaft behaupten kann, die kapitalistischen Verhältnisse seien nur „scheinbare Verhältnisse zwischen Dingen“ muss der reduktionistische Fetischbegriff der bloß verkehrten Erscheinungsform nach rückwärts gewendet und unterstellt werden, dass das „Tun“ auch „wirklich, wirklich“ gebrochen ist.

Doch auch eine mehrfache Wiederholung macht die Sache nicht besser. Von seiner Grundannahme her setzt Holloway den „Fluss des Tuns“ als gesellschaftlichen Zusammenhang schon immer voraus, so dass der Bruch immer nur ein äußerlicher sein kann, auch wenn er nachträglich den Status der Wirklichkeit oder Wirksamkeit zugesprochen bekommt. Es ist zwar zutreffend, dass die Verhältnisse zwischen den (Waren-)Dingen den vorhandenen Bruch in der „Gemeinschaft des Tuns“ (S. 39) widerspiegeln. Aber dieser Bruch liegt paradoxerweise gerade in dieser „Gemeinschaft“ selbst begründet. Die gesellschaftliche Vermittlung durch Arbeit ist identisch mit dem Auseinanderfallen der gesellschaftlichen Beziehungen, die sich dinglich an der Ware darstellen müssen. Holloways Verständnis von Arbeit und ihren „verhüllenden Äußerungsformen“ (Ware, Geld usw.) bleibt insofern der traditionell marxistischen Auffassung über gesellschaftliche Konstitution verhaftet: „Demnach werde gesellschaftliche Totalität durch ‚Arbeit‘ konstituiert, aber in verschleierter, scheinbar fragmentierter Weise und durch die kapitalistischen Verhältnisse daran gehindert sich selbst zu verwirklichen“ (Postone 2003, S. 133).

Der Schein verstimmt das Bewusstsein

 Da die Ontologie der „lebendigen“ Arbeit wesentlicher Bestandteil traditionell marxistischer Theoriebildung ist, kommt sie über einen reduktionistischen und letztlich äußerlichen Fetischbegriff nie hinaus – soweit sie überhaupt bis zur Fetischkritik vordringt. Es ist deshalb auch alles andere als Zufall, wenn wir die gleiche Auffassung wie bei Holloway schon in Georg Lukács’ zentralem Essay „Die Verdinglichung und das Bewusstsein des Proletariats“ finden. Lukács hypostasierte bekanntlich das Proletariat als metaphysisches Subjekt-Objekt der Geschichte, das Kraft seines universellen Charakters in der Lage wäre, alle Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft aufzuheben. In Anlehnung an den hegelschen Weltgeist sprach er dem Proletariat die Mission zu, die von Hegel schon intendierte „Versöhnung“ von Subjekt und Objekt zu bewerkstelligen. Das Problem der idealistischen Philosophie, die Subjekt-Objekt-Trennung, sollte materialistisch gewendet und in der „konkreten Totalität der Wirklichkeit“ (Lukács 1967, S. 152) – und das hieß: in der Arbeit – eine Lösung finden. Im Gegensatz dazu sei die bürgerliche Gesellschaft und damit auch die bürgerliche Wissenschaft in den Widersprüchen des in sich zerstückelten kapitalistischen Systems gefangen. Der „gesellschaftlich vernichtete, zerstückelte, zwischen Teilsystemen verteilte Mensch“ ist der Mensch der bürgerlichen Gesellschaft (Lukács 1967, S. 153). Das Subjekt-Objekt der Geschichte soll bei ihm die abstrakten Formen moderner Rationalität umfassen und damit in sich aufheben. Dieses Subjekt-Objekt – ein anderer Terminus dafür ist das „konkret-totale Subjekt“ – bringt in einem großen Schöpfungsakt die konkrete Totalität erst hervor. „Um aber dieses Auseinanderfallen des Subjekts in selbständig gewordene Teile … zu überwinden, gibt es keinen anderen Weg, als dieses Zerrissensein, dieses Auseinanderfallen aus einem konkret-totalen Subjekt zu erzeugen“ (ebd., S. 155). In dem „dialektischen Prozess“ wird das „starre Gegenüberstehen starrer Formen wesentlich zwischen Subjekt und Objekt“ aufgelöst und zu einem „Fließendmachen zwischen Subjekt und Objekt selbst“ (ebd., S. 157). In Abstoßung von der bürgerlich-rationalen Erkenntnis vermeinte Lukacs „über den formalen Rationalismus konkret hinauszukommen und … die gedachte Welt als vollendetes konkretes, sinnvolles, von uns ‚erzeugtes‘, in uns zum Selbstbewusstsein gelangtes System zu setzen “ (ebd., S. 152). Hier wird schon deutlich, dass Lukács dem bürgerlichen Horizont den Status des bloß Äußerlichen und Oberflächlichen zuordnet, hinter dessen „gedachter Welt“ die substantielle Wirklichkeit des konkret-totalen Subjekts verortet ist. Dieser gewissermaßen Unwirklichkeit des bloß verhüllenden Scheins der bürgerlichen Perspektive stellt er das konkrete Sein als von der Arbeit erzeugtes gegenüber. Das Gegenteil dieser schlechten, weil zerteilten und zerstückelten Wirklichkeit ist nach ihm aber keine andere Form der Praxis. Sondern das „Hinausgehen über die Unmittelbarkeit der Empirie“ (ebd., S. 178) besteht im „Offenbarwerden ihrer eigentlichen, objektiven, gegenständlichen Struktur selbst. Diese kann aber erst infolge des Aufgebens der falschen Einstellung des bürgerlichen Denkens an den Gegenständen zum Vorschein kommen und ins Bewusstsein gehoben werden. Die Vermittlung wäre unmöglich, wenn nicht bereits das empirische Dasein der Gegenstände selbst ein unvermitteltes wäre (sic!), das nur darum und insofern den Schein der Unmittelbarkeit erhält, als einerseits das Bewusstsein der Vermittlung fehlt, andererseits die Gegenstände (eben deshalb) aus dem Komplex ihrer wirklichen Bestimmungen gerissen und in eine künstliche Isolation gebracht worden sind“ (ebd., S. 178f.; Hervorheb. im Original). Hier begegnen wir exakt dem Argumentationsgang Holloways über den Zusammenhang von Sein und Schein. Durch den Markt bzw. das Privateigentum werden die Produkte des Tuns und damit die produktiven Tätigkeiten und deren Gegenstände „aus dem Komplex ihrer wirklichen Bestimmungen“, oder wie Holloway es ausdrückt, aus dem „Fluss des Tuns“, gerissen. Die Vermittlung über den Markt löse den an sich existierenden Zusammenhang der Produktion auf: Das „Getane“ herrscht über das „Tun“, das Privateigentum über die Arbeit. Es wird also in Anlehnung an Lukács nicht die Verselbständigung und Selbstvermittlung der Arbeit kritisiert, sondern im Gegenteil das „Tun der Tuenden“ zu einer wahren Totalität gesellschaftlichen Zusammenhangs hypostasiert. Der bürgerlich-positivistische Verstand würde indes nur das positive Wesen des je schon vermittelten produktiven Seins verkennen und die „künstliche Isolation“ als die „Unmittelbarkeit“ des Dasein schlechthin ansehen. Lukács wie Holloway stellen diesem Denken ein Bewusstsein entgegen, das über die Beschränkungen des bürgerlichen Denkhorizonts hinausgeht und dadurch „die richtige Erkenntnis die falschen Trennungen der Gegenstände … aufhebt“ (ebd., S. 179). Demgegenüber muss festgehalten werden, dass hinter der fragmentierten und verdinglichten Wirklichkeit keine positive Totalität der Arbeit oder des „Tuns“ schlummert und die Annahme einer solchen zur bloßen metaphysischen Setzung wird. Die Wahrnehmung der Verdinglichung ist die Erscheinungsform einer zerrissenen Praxis, sonst nichts.

Von der falschen Dualität des einheitlichen Verhältnisses

Diese Vorstellung des traditionellen Marxismus über die schon an sich vermittelte Totalität der Arbeit reißt zwei zusammengehörige Momente der kapitalistischen Dialektik auseinander: die produktive Tätigkeit und die gesellschaftliche Fragmentierung. Die erstere soll wegen ihrem synthetisierenden, konkret erzeugenden Charakter über die kapitalistischen Verhältnisse hinausweisen und nur durch das abstraktifizierende und trennende Moment daran gehindert werden, ihre an sich transzendierende Mission zu erfüllen. Das den gesellschaftlichen Zusammenhang Zerreißende, die Abstraktion, konstituiert sich durch die Mechanismen des Marktes und der Eigentumsverhältnisse. In den vulgären, subjektivistisch gewendeten Versionen des traditionellen Marxismus ist es die Kapitalistenklasse, die die konkret schon vorhandene Vermittlung – in ihrem Interesse versteht sich – entkoppelt. Die in einem unbewussten Prozess erzeugte gesellschaftliche Form wird durch diese verkürzte Sichtweise in rein subjektive Kategorien übersetzt. Holloway folgt auf dieser Ebene dem Subjektivismus des Arbeiterstandpunktes nicht. Er beschreibt vielmehr die Entkopplung und gesellschaftliche Trennung, zwar beschränkt auf die Zirkulation, aber dort als objektivierten Prozess mit der daraus resultierenden versachlichten Herrschaft.[16] Da er sich zugleich von der traditionellen Klassenkategorie verabschiedet, verwandelt sich der Standpunkt der Arbeit in einen allgemein menschlichen Standpunkt, womit zutreffend reflektiert wird, dass es sich um ein verallgemeinertes gesellschaftliches Verhältnis handelt, das alle Gesellschaftsmitglieder umfasst.[17] Was allerdings die vermeintlich konkrete Seite der Vermittlung über Arbeit angeht, der gesellschaftliche Zusammenhang im „Fluss des kreativen Tuns“, steht Holloway ziemlich ungebrochen in der Tradition von Georg Lukács. Dieser hatte, wie gesehen, dem Subjekt-Objekt der Geschichte den objektiven Charakter des Erzeugers aller Inhalte, alles Konkreten zugeschrieben. Das „geschichtliche Werden“ ist ein Prozess des „ununterbrochene(n) Entstehen(s) des qualitativ Neuen“ (Lukács 1967, S. 159). „Die Wiederherstellung der Einheit des Subjekts, die gedankliche Rettung des Menschen, geht bewusst den Weg über die Zerrissenheit und Zerstückelung. Die Gestalten der Zerstückelung werden als notwendige Etappen zum wiederhergestellten Menschen festgehalten und lösen sich zugleich ins Nichts der Wesenlosigkeit auf, indem sie in ihre richtige Beziehung zur erfassten Totalität geraten, indem sie dialektisch werden“ (ebd., S. 156). Mit Hegel spricht Lukács auch von der „Totalität“ als der „höchsten Lebendigkeit“ (ebd.). Weg von der Beschränktheit der fragmentierten bürgerlichen Vernunft, ausgedrückt im kantschen Ding-an-sich-Problem, soll der Weg des „konkreten und totalen Geschichtsprozess(es)“ (ebd., S. 160) zur Einheit der Einzelmomente führen. Es ist alles andere als Zufall, wenn Holloway seinem „Kollektiv von Tuenden“ ganz ähnliche Attribute verleiht, wie Lukács seinem Subjekt-Objekt der Geschichte: Hier heißt es „höchste Lebendigkeit“ dort „Bewegung des Lebendigen“, bei Lukács erzeugt ein „konkret-totales Subjekt“ die Wirklichkeit, Holloway nennt es „Erschafferin, die sich selbst im Prozess der Erschaffung hervorbringt“. Die Gemeinsamkeit in der Terminologie verweist auf eine gemeinsame theoretische Grundlage: die Annahme einer a priorischen Subjektivität, die als Wesen den Erscheinungen schon je zugrunde liegt. Lukács war es in den 1920er Jahren noch möglich, sich völlig ungebrochen positiv auf die Kategorie der Arbeit und damit den Standpunkt des Proletariats zu beziehen. Sein positiver Fortschrittsglaube hatte durch die Massenmobilisierung von Arbeitskraft in der anlaufenden fordistischen Massenproduktion und dem soziokulturellen Milieu der Arbeiterbewegung eine entsprechende Grundlage. Holloway muss seine „Tuns“-Gemeinschaft schon in zweifacher Weise modifizieren, um nicht jede empirische Anschaulichkeit zu verlieren. Einerseits hebt er mit seiner Schöpfer-Figur auf die Erscheinungen postmoderner Individualisierung in den Metropolen ab.[18] Andererseits wird die a priorische Subjektivität der Arbeiterklasse transformiert in eine verallgemeinerte Universalklasse, die nicht weniger als die gesamte Menschheit umfasst und die als Ziel nichts anderes im Sinne hat, als immerfort und unentwegt kreativ und schöpferisch tätig zu sein.[19]

Nicht-Identität als Anti-Macht

 Dieser Standpunkt einer positiven Subjektivität, die a priori schon durch den „Fluss kreativen Tuns“ verbunden ist, äußert sich bei Holloway auch in der Art und Weise, wie er die Begriffe der Kritischen Theorie interpretiert. In seiner Analyse ist es neben Lukács vor allem Adorno auf den er sich in zentralen Aspekten bezieht. Der von Adorno geprägte Begriff des Nichtidentischen soll nach Holloway an sich schon eine emanzipative Perspektive eröffnen: „Es gibt Identität, aber sie existiert in einem Spannungsbogen in Bezug auf Nicht-Identität… Vom Schrei auszugehen bedeutet einfach nur auf der Zentralität der Dialektik zu bestehen, die nichts anderes als das ‚konsequente Bewusstsein von Nichtidentität‘ (Adorno 1992, S. 17) ist“ (S. 17f.). Das Widerspruchsmoment des Nichtidentischen transformiert Holloway zu einer An-sich-Subjektivität, die den Begriff Adornos, gelinde gesagt, sehr einseitig wiedergibt. Zur näheren Erklärung sei hier kurz dessen Perspektive umrissen. Mit dem Begriff des Nichtidentischen hat Adorno den prinzipiellen Bruch in der modernen Vernunft kenntlich zu machen versucht. Gerade der „unvollständige“ Charakter der Allgemeinheit (der gesellschaftlichen Beziehung) wird im Begriff der Nichtidentität festgehalten. Nach Adorno ist mit der Totalität der modernen Form nicht nur die Tendenz verbunden, das Besondere in seiner Eigenqualität zu reduzieren bzw. auszulöschen. Vielmehr lässt die auf Einheitlichkeit gerichtete Vernunft das Einzelne und damit „Differenzierte“ erst als „divergent, dissonant, negativ“ (Adorno 1992, S. 17) usw. erscheinen. D.h. die Vernunft bringt diesen ausgeschlossenen Bereich selbst erst in dieser Form hervor. Adorno beschreibt also durch den Begriff des Nichtidentischen die Dialektik des Ausschlusses von nicht kompatiblen Inhalten, die durch die Identitätslogik erst hergestellt werden. Er weist mit diesem Begriff auf die „als kontingent zur ‚quantite negligeable‘ degradierten Qualitäten“ (ebd.) hin, die als Rückseite aus der Sphäre allgemeiner Vernunft ausgeschlossen sind und die das traditionelle Verständnis der Dialektik entweder gar nicht wahrnimmt oder für unwesentlich erklärt. Im Ganzen gesehen verbleibt aber auch Adorno in der hegelschen Tradition der Vermittlung von Allgemeinem und Besonderem.[20] Die negativ gewendete Dialektik geht zwar nicht länger von einer zu allgemeiner „Versöhnung“ und „Harmonie“ führenden Vermittlungsbewegung aus, wie es sich Hegel im Aufstieg der bürgerlichen Gesellschaft noch imaginiert hatte. Der Anspruch an die Dialektik bleibt aber bestehen, nunmehr die degradierte bzw. ausgeschlossene Nichtidentität noch mit der Vernunft zu vermitteln. Somit ist das „konsequente Bewusstsein von Nichtidentität“ (ebd.), wie Adorno dialektisches Denken auch bestimmt, immer in Vermittlung zum Allgemeinen konstruiert. Die Nichtidentität ist stets rückgebunden an den allgemeinen Charakter der Vernunft, sofern diese das Ausgeschiedene mitreflektiere.[21] Für Adorno bleibt der Standpunkt der Vernunft, eingedenk eines „Hinzutretenden“, also der Standpunkt der Kritik. Ganz im Gegensatz zu dieser Perspektive, die das Besondere mit der Allgemeinheit vermitteln soll, steht Holloways Verständnis von Nicht-Identität und Dialektik. Keineswegs geht es dabei um irgendeine Form der Vermittlung von widersprüchlichen Momenten, sondern darum, die Nicht-Identität zum positiven Standpunkt der Emanzipation zu (v)erklären. Ihr wird das Identifikationsprinzip bzw. die Kategorie der Macht diametral als anderer Pol entgegengesetzt: „Allgegenwärtige Macht bedeutet allgegenwärtigen Widerstand… Wir müssen nach der Kraft dessen, was in der Form des Negiertseins existiert, nach Hoffnung suchen. Das ist der Stoff dialektischen Denkens: Dialektik ist das ‚konsequente Verständnis der Nicht-Identität‘ (Zitat Adorno; K. L.), das Verständnis der explosiven Kraft dessen, was negiert wird“ (S. 96). Holloway verknüpft also – auf theoretisch fragwürdige Weise – die schon bekannte „explosive Kraft“ einer Subjektivität a priori mit der Kategorie des Nichtidentischen bei Adorno. Sollte bei diesem der Begriff der Nichtidentität das aus der totalisierenden Allgemeinheit Ausgeschlossene, Begriffslose kenntlich machen, so setzt Holloway das Nichtidentische kurzerhand mit der (Schein-)Konkretheit seiner „Tuns-Gemeinschaft“ gleich. Das im Kapitalismus scheinbar Negierte (die konkrete Arbeit) wird somit zum an sich positiven Standpunkt umdefiniert und mit dem Adorno-Label der Nichtidentität versehen. Dieser implizite Polwechsel, von der abstrakten Form der Arbeit zur ihrem vermeintlichen Gegenteil, zum handgreiflichen und konkreten Tun, ist indes ein altbekanntes Muster traditionell linker Theoriebildung.

Befreiung und Widerstand

Holloways theoretischer Rahmen, in den er die aktuellen Phänomene der kapitalistischen Wirklichkeit stellt, bleibt im Ganzen gesehen der Perspektive eines Subjekts a priori verhaftet. Dennoch enthält seine Kritik der Verdinglichung, soweit sie sich auf der Ebene der Phänomene bewegt, eine ganze Reihe von Elementen, die auf eine Aufhebung der warengesellschaftlichen Strukturen zielen. So hält er beispielsweise angesichts der Krise der Arbeitsgesellschaft den illusionären neo-keynesianischen Vorstellungen eine Perspektive entgegen, die auf ein Jenseits des repressiven Systems der Erwerbsarbeit zielt.[22] Auch den Zerfall nationaler Souveränität und staatlichen Handelns beantwortet er nicht mit einem nutzlosen Appell an eine andere und vermeintlich bessere Politik, sondern durch die Forderung einer dem Staat prinzipiell entgegenstehenden Selbstorganisierung gesellschaftlicher Zusammenhänge. Entgegen immanenter Pseudoantworten auf den Krisenprozess der Warengesellschaft begreift er diese Widersprüche als grundlegenden „Riss“ im Gebäude bürgerlicher Verhältnisse: „So wie die Erwerbslosigkeit ein Riss in der Herrschaft-durch-Lohnarbeit ist, ist die Krise der (staatlichen; K. L.) Repräsentation ein Riss in der Herrschaft-durch-den-Staat“ (Holloway 2005, S. 129). Man kann Holloway nur zustimmen, wenn er eine Perspektive formuliert, die die Widersprüche der Warengesellschaft nicht nur wieder übertünchen will, sondern vielmehr aktiv das Zerbrechen der sich in der Krise befindlichen verobjektivierten Strukturen anpeilt: „Los, stürzen wir uns darauf, dies ist ein Riss, eine Hoffnung, lasst uns alles tun, um ihn zu erweitern, lasst uns alles tun, um uns die Welt im Licht, das durch den Riss scheint, neu vorzustellen“ (ebd., S. 127). Bei dem Licht, das Holloway aus dem Jenseits wahrnimmt, beginnt es allerdings problematisch zu werden. Wie wir gesehen haben, tritt dieses Jenseits bei ihm schon sehr deutlich als Diesseits der „lebendigen Arbeit“ und der kreativen Macht hervor. Die „Gemeinschaft des Tuns“ ist aber nicht der Riss im Gebäude der Warengesellschaft, sondern vielmehr die Crux der Verhältnisse. Holloway läuft in die abgestandenen Gewässer des Traditionsmarxismus ein, wenn er den Riss gerade in der Abhängigkeit des „Tuns“ von den „Tuenden“ erkennen will: „Das Tun ist vom Tuenden abhängig, Kapital von Arbeit. Das ist der entscheidende Lichtspalt, der Hoffnungsfunken, der Wendepunkt der Argumentation. Die Erkenntnis, dass die Mächtigen von den ‚Machtlosen‘ abhängig sind, verwandelt den Schrei von einem Schrei der Wut in einen Schrei der Hoffnung, zu einem zuversichtlichen Schrei der Anti-Macht“ (S. 55). Mal ganz abgesehen von dem hier formulierten diffusen Klassengegensatz (Mächtige vs. Machtlose), wäre festzuhalten, dass die Menschen die verdinglichten Beziehungen zwar selbst hervorbringen, dass aber in diesem Tun nicht schon gleichzeitig die Lösung für die Aufhebung bereit liegt. Ein „Wendepunkt der Argumentation“ (S. 55), wie Holloway seine Perspektive gegenüber dem (Post-)Strukturalismus charakterisiert, wird daraus nur im Hinblick auf die grundsätzliche Aufhebbarkeit kapitalistischer Herrschaftsstrukturen. Die Feststellung der gesellschaftlichen Konstitution der Verhältnisse impliziert die Möglichkeit der Befreiung, nicht aber schon eine Subjektivität der Befreiung.

Eine Bewegung, die auf die Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse zielt, dürfte sich gerade nicht auf das materielle „Tun“ und Produzieren als gesellschaftliche Vermittlung stützen. Vielmehr müsste sie erst einen gesellschaftlichen Zusammenhang herstellen, in dem der Stoffwechsel mit der Natur nur ein Moment gesellschaftlichen Lebens darstellt. Emanzipation zielt nicht auf die Befreiung des konkreten Inhalts der produktiven Tätigkeiten, sondern auf die Befreiung von Arbeit als gesellschaftlich totalitärer Allgemeinheit. Die Ketten der Arbeit gilt es zu sprengen und damit gleichzeitig die verselbständigte produktive Tätigkeit in einen sozialen Zusammenhang zurückzuführen, aus dem ihr gesellschaftlich bestimmter Sinn und Bedeutung zuwachsen. Dies ist eine der wesentlichen Aufgaben einer Bewegung, die den Weg aus den verobjektivierten Strukturen der Warengesellschaft sucht. Marco Fernandes hat in seinem Beitrag in diesem Heft gezeigt, dass ein zentrales Problem sozialer Emanzipationsbewegungen die Aufhebung der gesellschaftlichen Isolierung und Fragmentierung darstellt (siehe Fernandes, S. XX). Welchen Grad von Zerrüttung menschlicher Beziehungen die Warengesellschaft erreicht hat, lässt sich nicht nur am barbarisierten Konkurrenzkampf der vereinzelten Einzelnen untereinander ablesen, sondern auch an der gegenteiligen Erfahrung sozialer Kooperation. Wie sehr hat das System gesellschaftlicher Entkopplung die menschlichen Beziehungen verarmen lassen und jeden Einzelnen auf eine abstrakte und isolierte Monade reduziert, wenn schon ein Gespräch oder der bloße Kontakt mit Nachbarn als derart befreiend empfunden werden, wie es Fernandes an einer Stelle schildert (ebd., S. XX)? Umso wichtiger sind die positiven Erfahrungen in selbst organisierten Zusammenhängen als Elemente in der Konstitution einer emanzipatorischen Bewegung.

Auch in Holloways Analyse ist der Aspekt der gesellschaftlichen Fragmentierung im Kapitalismus zentral. Ja, man kann das Herausstellen sozialer Trennung und Vereinzelung in der Warengesellschaft vielleicht als den entscheidenden Vorzug seines Ansatzes ansehen. Auch hier gilt wieder: Solange Holloway den Fokus nur auf die Phänomenologie der Entkopplung legt, kommt er zu treffenden Bestimmungen über den Charakter der gesellschaftlichen Beziehungen: „Die Trennung der Menschen vom gesellschaftlichen Gewebe des Tuns erschafft sie als freie Individuen. Diese sind nicht nur frei in dem von Marx beschriebenen doppelten Sinne, nämlich befreit von persönlicher Sklaverei und befreit vom Zugang zu den Mitteln des Überlebens, sondern auch befreit von der Verantwortung für die Gemeinschaft und befreit von einem Verständnis sinnvoller Teilnahme an der Kollektivität des Tuns. Je mehr die Unterordnung unter das Getane hingenommen wird, also desto befreiter erscheint das Subjekt. Je gründlicher Identifikation als etwas Unhinterfragbares, als etwas Undenkbares hingestellt wird, als desto befreiter erscheint die Gesellschaft. Je mehr sich unsere Unfreiheit verfestigt, desto befreiter scheinen wir zu sein. Die illusorische Freiheit des Bürgers ist das Gegenstück zur illusorischen Gemeinschaft des Staates…“ (S. 88).

Holloway drückt hier sehr zutreffend die Verkehrung von abstrakter Herrschaft und Unterdrückung in die illusorische Form bürgerlicher Freiheit aus, wie sie die Aufklärungsphilosophie beispielsweise mit Kant formuliert hat.[23] Dass der Trennung auch schon immer eine positive gesellschaftliche Verknüpfung zugrunde liegen soll, lenkt indes die Kritik in eine falsche Richtung. Es ginge gerade nicht um die „gegenseitige Anerkennung des Anderen als Tuenden, als aktives Subjekt“ (S. 40), sondern um die Delegitimierung der aktivistisch verselbständigten Praxis (männlicher) Subjekte. Das Knüpfen eines gesellschaftlichen Bandes ist etwas qualitativ Neues und eine Emanzipationsbewegung müsste sich in ihrem Kampf gerade gegen den sozialen Nicht-Zusammenhang von Arbeit bzw. „Tun“ wenden. Befreiung ist nicht das Aufgehen in einer „Gemeinschaft der Tuenden“ und es ist auch nicht das Beiseite-Räumen einer Hülle fragmentierten Bewusstseins, unter der die Fülle einer konkreten Totalität des „Tuns“ verborgen liegt. Gegen die warenförmige Subjektivität hilft kein von der Gans Mimi zugedachtes Kräutlein, um die hässliche Zwergnase-Gestalt loszuwerden und sein hinter der Verzauberung schlummerndes, wahres Wesen wieder zu erlangen. Das reduktionistische Fetischverständnis einer bloß äußerlich an den Individuen erscheinenden Fragmentierung zielt an der realen Entkopplung sozialer Verhältnisse vorbei. Deshalb kann sie auch die anstehende Aufgabe einer Aufhebung der sozialen Trennung und Fragmentierung und die damit verbundenen Anstrengungen nur unzureichend erfassen. Sicherlich hat die Warengesellschaft ein historisch unvergleichbares Niveau von Arbeitsteilung und stofflicher Vernetzung geschaffen. Doch der zentrale Widerspruch im Kapitalismus besteht eben gerade darin, dass sich der soziale Zusammenhang über das verselbständigte produktive Tätigsein herstellt und nicht bewusste Formen Grundlage gesellschaftlicher Kooperation sind. Aus der konkret-materiellen Verknüpfung in der Warengesellschaft folgt somit rein gar nichts für das Band gesellschaftlicher Beziehungen, außer deren Entkopplung. Die Herstellung von kollektiven Strukturen hat nicht eine An-sich-Kollektivität im Rücken, sondern den Wind der Totalfragmentierung sozialer Verhältnisse vor und gegen sich. Für eine soziale Bewegung, die auf die Überwindung der kapitalistischen Formen zielt, ist es aber zentral, sich ihrer eigenen Ausgangsbedingungen sowie der Hindernisse und Hürden im Kampf für eine Emanzipation sehr genau bewusst zu sein.

Dies betrifft auch einen anderen, verwandten Aspekt. Holloways Einschätzung der Qualität sozialen Widerstandes greift auch deshalb zu kurz, weil er das Gegeneinander von Macht und Anti-Macht, von Identität und Nicht-Identität ontologisiert. Wenn er soziale Kämpfe stets im Spannungsfeld eines Kampfes zwischen Macht und Anti-Macht stellt, so muss er, will er konsequent bleiben, jeder Form von Protest letztendlich etwas positiv Widerständiges zuschreiben. In dieser Hinsicht kann man ihm mangelnde Konsequenz jedenfalls nicht vorwerfen. Er geht sogar soweit, gewalttätigen Hooligans noch ein rebellisches und widerständiges Moment zuzurechnen, auch wenn ihm diese Form der „Anti-Macht“ wohl selbst nicht ganz geheuer ist und er sie deshalb zu relativieren sucht.[24] Hier wird deutlich, wie überaus unangemessen die Annahme einer a priori schon existierenden „explosiven Kraft“ zur Beschreibung gesellschaftlicher Kämpfe und Auseinandersetzungen ist. In den gewalttätigen Exzessen von Hooligans agiert sich allenfalls die losgelassene Logik der kapitalistischen männlichen Konkurrenzsubjektivität aus. In Holloways Konzept dagegen gibt es schlichtweg keine Kämpfe, die sich nur auf der Ebene kapitalistischer Immanenz bewegen. Der widersprüchliche Prozess der Unterwerfung unter die verselbstständigten Gesetzmäßigkeiten des Werts bedeutet aber keineswegs, dass sich darin schon je ein emanzipatives Potenzial ausdrücken würde. Die Kämpfe entlang der Herrschaft der verselbständigten Gesetze können herrschaftsfreie Momente enthalten, sie können aber auch nur immanenter Ausdruck eben dieser Herrschaft sein. Diese Differenz überhaupt sichtbar zu machen, wäre eine der wichtigsten Aufgaben kritischer Theorie. Nur dann könnte sie ihrem Anspruch konsequent gerecht werden, nicht eine „Theorie von Herrschaft“, sondern eine „Theorie der Verletzbarkeit von Herrschaft“ (S. 56) zu sein.

 


Fußnoten

[1] Zitatnachweise ohne Quellenangabe beziehen sich immer auf Holloway 2002.

[2] Norbert Trenkle hat in der letzten Nummer der krisis eine erste Auseinandersetzung mit Holloway formuliert (in: krisis 29, S. 143-159).

[3] John Holloway benützt in seinem Buch eine bisweilen befremdlich, weil existenzialistisch anmutende Diktion.

[4] In einem erst unlängst erschienenen Essay hat Holloway die Logik der Warengesellschaft anhand einer anderen Metapher veranschaulicht: Das kapitalistische System wird als Raum beschrieben, in dem sich die Wände nach einem Automatismus unweigerlich auf die Bewohner zu bewegen und somit die Lebensbedingungen in diesem klaustrophobischen Gehäuse immer prekärer werden. Die Insassen genauso wie die Funktionselite des Raumes haben indes jeden Blick für diesen verhängnisvollen Prozess verloren. Sie sind ausschließlich mit der Neuanordnung und dem Umstellen der Inneneinrichtung beschäftigt (siehe Holloway 2005).

[5] Eine stilistische Eigenart Holloways ist die Neigung zu überlangen Wortverknüpfungen (siehe auch die Anmerkung des Übersetzers auf S. 41).

[6] Siehe dazu: Trenkle 1998, S. 26-31.

[7] Siehe dazu auch den Diskussionsbeitrag von Ernst Lohoff „Kategorie ohne Eigenschaften“ in dieser Nummer.

[8] Der ehedem für die Subjektkritik in der krisis relativ zentrale Beitrag „Subjektlose Herrschaft“ von Robert Kurz in krisis 13 (wieder veröffentlicht in einem Aufsatzband von 2004), ist noch in dieser Perspektive formuliert. Das (männliche) Subjekt wird als reine „Marionette“ der eigenen gesellschaftlichen Form bestimmt: „In der bis heute andauernden ‚Vorgeschichte‘ war die Entkopplung von der Instinktsteuerung der Tiere erkauft durch die Herausbildung einer sekundären, nicht weniger bewusstlosen Instinktsteuerung über die symbolischen Codes der zweiten Natur“ (Kurz 1993, S. 90). Die Praxis der (männlichen) Subjekte wird völlig in das Marionettensystem der gesellschaftlichen Form aufgelöst, womit die Vermittlungen zwischen diesen Subjekten und ihrem verobjektivierten Gesellschaftszusammenhang und die darin enthaltenen Widersprüche und möglichen Brüche eingeebnet werden.

[9] Belege dafür finden sich in vielen Artikeln der krisis bis in die Mitte der 90er Jahre. So schreibt beispielsweise Ernst Lohoff in krisis 10: „Die fortschreitende stoffliche Vergesellschaftung schiebt die Figur des unmittelbaren Produzenten … zusehends in den Hintergrund und macht sie schließlich obsolet. Damit steuert das Kapital nicht nur zielsicher in seine Krise, es setzt parallel dazu Fermente transbürgerlicher Subjektivität frei“ (Lohoff 1991, S. 78). Noch deutlicher wird diese Fortschrittsemphase in folgender Formulierung von Robert Kurz in dem schon zitierten Aufsatz: „Demzufolge (vorher ist von einer tierähnlichen, ,kruden Einheit‘ des vormodernen ,Lebensprozesses‘ die Rede; K. L.) ist zu begreifen, dass die Emanzipation der Menschheit durch die abstrakte Arbeit hindurch musste, dass erst die Trennung der Arbeit von der Totalität des Lebensprozesses nötig war, um dessen Einheit auf der höheren Ebene von Bedürfnisreichtum wiederherstellen zu können“ (Kurz 1991, S. 18). Zur Kritik an dieser Fortschrittsgläubigkeit vgl. auch den Artikel von Christian Höner, „Zur Kritik von Dialektik, Geschichtsteleologie und Fortschrittsglaube“ in krisis 28.

[10] Kurz: „Erst die Moderne hat diese Verhältnisse (die über ,dem biologisch-tierischem Substrat‘ liegenden Fetischformen von ,einigen hunderttausend Jahren‘) soweit säkularisiert und vereinfacht, dass sie durchsichtig werden und das zugrundliegende Prinzip erkennbar wird. Auf allen Ebenen von Gesellschaftstheorie, Erkenntnistheorie, Bewusstseinstheorie, Sexual- und Psychotheorie kann jetzt die Reise rückwärts durch die menschliche Formationsgeschichte angetreten werden, und eine neue Historisierung erscheint als möglich; die Voraussetzung dafür ist freilich die Erkenntnis und Kritik unserer eigenen Formation… Erst auf dieser Meta-Ebene kann die Wiedervereinigung von Praxis und Geschichte sich vollziehen“ (Kurz 1993, S. 67f.). Der Theoretiker ist also dann derjenige, der kraft seiner theoretischen Durchleuchtung „aller Ebenen“ und aller „Formationen“ die Jahrhunderttausende währende Entfremdung menschlicher Praxis in den Prozess der Geschichte aufhebt.

[11] In seinem Buch „Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen“ verwendet Holloway in der Regel den Begriff des „Tuns“ und nicht die marxschen Begrifflichkeiten von „konkreter“ und „abstrakter Arbeit“. Dass der „Tuns“-Begriff aber auf nichts anderes als den positiven Standpunkt „konkreter Arbeit“ zielt, macht er unmissverständlich in einem unlängst veröffentlichten Beitrag klar: „Um über die ‚wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt‘ (zitiert wird hier eine bekannte Stelle von Marx, siehe MEW Bd. 3, S. 35, K. L.), zu sprechen, müssen wir den Blick auf das andere Gesicht der Arbeit richten – ihre Existenz als nützliche und konkrete Arbeit. Die nützliche Arbeit existiert in der Form ihres Gegensatzes, der abstrakten Arbeit (genauso, wie der Gebrauchswert in der Form seines Gegensatzes, des Wertes, existiert.) Dort, im Konflikt zwischen der nützlichen und der abstrakten Arbeit liegt der fundamentale Widerspruch des Kaptialismus… Hier liegt der Schlüssel für das Verständnis der Gesellschaft im Allgemeinen, und hier liegt der Kern des Klassenkampfes“ (Holloway 2006).

[12] Siehe dazu S. 39ff.

[13] Siehe v. Braun 1999; und den Beitrag von Ernst Lohoff „Die Verzauberung der Welt“, in: krisis 29.

[14] Vgl. dazu Postone 2003.

[15] Christian Höner hat in seiner Kritik an Rakowitz/Behre die gleichen Eigentümlichkeiten einer reduktionistischen Fetischkritik entdeckt und kritisiert (vgl. Höner 2004b). Diese Verwechslung von Sein und Schein ist keineswegs singulär und alles andere als zufällig: Wie sich im Folgenden noch deutlicher zeigen wird, reichen die theoretischen Wurzeln für ein solches Verständnis bis zum Stammvater affirmativ gewendeter Verdinglichungskritik, Georg Lukács, zurück. Eine speziellere Verknüpfung zur meiner hier verfolgten Untersuchung herrscht freilich bei Rakowitz/Behre, die an zentralen Stellen genau jenen Werner Bonefeld zitieren, mit dem John Holloway eine langjährige publizistische Freundschaft verbindet.

[16] „In der kapitalistischen Gesellschaft ist der Kapitalist nicht das Subjekt. Nicht er trifft die Entscheidungen. Es ist der Wert. Es ist das Kapital, akkumulierter Wert… Nur in dem Maße, wie sie loyale Diener des Kapitals sind, sind sie Kapitalisten“ (S. 48).

[17] Diese Wendung, weg vom strikten Klassenstandpunkt, hat John Holloway nicht gerade Bonuspunkte bei der Abteilung orthodoxer Klassenkampf der Linken eingebracht. Der Vorwurf: unzulässige Anthropologisierung der Klasse. Ein völlig in Subjektivismus aufgelöstes Denken will oder vielmehr kann die Analyse von Objektivierungen, also von verselbstständigten Mechanismen, die die Menschen hervorbringen und die sie beherrschen, keinesfalls akzeptieren. Dies gilt schon für Holloways Analyse der Verdinglichung aufgrund von Marktproduktion, viel mehr aber noch für die Feststellung, dass Arbeit selbst Inbegriff der Objektivität ist.

[18] Vielleicht mag sich ja die individualisierte Kreativkraft mit hohem emotionalen und kreativen Quotienten von der Zuschreibung eines gottähnlichen Charakters geschmeichelt zeigen. Im Hinblick auf die in einem anderen Zusammenhang angeführte Bäuerin aus der kapitalistischen Peripherie wirkt diese Charakterisierung völlig fremd und unpassend.

[19] Bräuchte es wirklich noch eines Nachweises, dass die Emphase der pausenlosen Kreativität vollständig kapitalistisch durchsetzt ist, so könnte man einen Blick auf die betriebliche Realität der Warenproduktion werfen. Der Begriff des „kreativen Imperativs“ ist bei Voith, einem erfolgreichen deutschen Maschinenbauunternehmen, mittlerweile fester Bestandteil der „Corporate Identity“, so dass jeder Maschinenschlosser in seiner Ausbildung einen „Grundlehrgang in Kreativität“ absolvieren muss.

[20] „Es ist v.a. die von Hegel betriebene Auflösung des Dualismus von Moralität und Realität (d.h. aber Vermittlung dieser Pole; K. L.), die Adorno aufnimmt. Er erkennt darin das Potential einer authentischen Aufhebung der moralphilosophischen Reflexion in verändernde gesellschaftliche Lebenspraxis…“ (Schweppenhäuser, S. 137).

[21] „Dringlich wird, für den Begriff, woran er nicht heranreicht, was sein Abstraktionsmechanismus ausscheidet, was nicht bereits Exemplar des Begriffs ist“ (Adorno, S. 20). „Dass der Begriff den Begriff, das Zurüstende und Abschneidende übersteigen und dadurch ans Begriffslose heranreichen könne, ist der Philosophie unabdingbar… Sonst muss sie kapitulieren und mit ihr aller Geist“ (ebd., S. 21). „Die Utopie der Erkenntnis wäre, das Begriffslose mit Begriffen aufzutun, ohne es ihnen gleichzumachen“ (ebd.).

[22] Siehe Holloway 2005.

[23] Siehe dazu den Beitrag in krisis 26 „Die Höllenfahrt des Selbst. Von Kants Todesform des sinn-losen Willens“.

[24] Siehe S. 236 bzw. S. 240.

 


Literatur

Adorno, Theodor W. (1951): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben; Frankfurt am Main.

Adorno, Theodor W. (1992): Negative Dialektik; Frankfurt am Main.

Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W. (1988): Dialektik der Aufklärung (DdA); Frankfurt am Main.

von Braun, Christina (1999): NICHTICH. Logik, Lüge, Libido; Frankfurt am Main.

Holloway, John (2002): Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen; Münster.

Holloway, John (2005): Zwei Risse; in: Exner, Andreas/Sauer, Judith/Pia, Lichtblau/Hangel, Nora/Schweiger, Veronika/Schneider, Stefan (Hg.) (2005): Losarbeiten – Arbeitslos? Globalisierungskritik und die Krise der Arbeitsgesellschaft; Münster.

Holloway, John (2006): Kommunismus heute; in: analyse & kritik. zeitung für linke debatte und praxis, Nr. 503, jahrgang 36.

Höner, Christian (2004a): Zur Kritik von Dialektik, Geschichtsteleologie und Fortschrittsglaube. Vorläufige Aspekte einer Kritik des historischen und dialektischen Materialismus; in: krisis 28; Münster.

Höner, Christian (2004b): Die Realität des automatischen Subjekts. Zur Kritik der Ideologisierung eines Zentralbegriffs der Gesellschaftskritik bei Nadja Rakowitz/Jürgen Behre; in: Exit! 1; Bad Honnef.

Kurz, Robert (1991): Die verlorene Ehre der Arbeit. Produzentensozialismus als logische Unmöglichkeit; in: krisis 10; Erlangen.

Kurz, Robert (1993): Subjektlose Herrschaft. Zur Aufhebung einer verkürzten Gesellschaftskritik; in: krisis 13; Bad Honnef.

Lohoff, Ernst (1991): Das Ende des Proletariats als Anfang der Revolution. Über den logischen Zusammenhang von Krisen und Revolutionstheorie; in: krisis 10; Erlangen.

Lukács, Georg (1967): Die Verdinglichung und das Bewusstsein des Proletariats, in: Geschichte und Klassenbewusstsein; Amsterdam.

Marx, Karl (1988): Das Kapital, Bd. I, (MEW 23); Berlin.

Postone, Moishe (2003): Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft. Eine neue Interpretation der kritischen Theorie von Marx; Freiburg.

Schweppenhäuser, Gerhard (1993): Ethik nach Auschwitz. Adornos negative Moralphilosophie; Hamburg.

Trenkle, Norbert (1998): Kein Anschluss unter dieser Nummer. Oder: Weshalb es nie ein postfordistisches Regulationsmodell geben wird; in: Weg und Ziel; Wien.

Trenkle, Norbert (2005): Die metaphysischen Mucken des Klassenkampfs. Über die stummen Voraussetzungen eines merkwürdigen Retro-Diskurses; in: krisis 29; Münster.

Wedel, Karl-Heinz (2003): Die Höllenfahrt des Selbst. Von Kants Todesform des sinn-losen Willens; in: krisis 26; Bad Honnef.