12.05.2021 

Geld als Selbstzweck. Rezension von Eske Bockelmanns Buch “Das Geld”

Julian Bierwirth

Rezension zu: Eske Bockelmann
Das Geld. Was es ist, das uns beherrscht
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2020
367 Seiten

Bereits im Jahr 2004 hat Eske Bockelmann mit Im Takt des Geldes ein umfangreiches Grundlagenwerk zum Geld vorgelegt. Damals untersuchte er die Herausbildung der modernen Geldwirtschaft und versuchte, das Geld sowohl in Beziehung zum modernen wissenschaftlichen Denken als auch, wie der Titel schon sagt, zur Rhythmus-Wahrnehmung in der Musik zu setzen. Die Bezugnahme auf einen Zusammenhang von gesellschaftlichen Denkformen mit der Durchsetzung des Geldes fehlt dagegen in seinem neuen Buch, das einfach nur mit Das Geld betitelt ist. Dementsprechend euphorisch wurde das neue Werk erwartet, versprach es doch neue Argumente in Bezug auf die Frage, was den Kapitalismus als Gesellschaftsform ausmacht.

Diese ist im Wesentlichen identisch mit der Frage, was den Kapitalismus in seinem Kern ausmacht. Wir finden in der Debatte um die Spezifik der kapitalistischen Gesellschaftsform, wie sie in den 1970er und 1980er Jahren in einigen Ausläufern der Kritischen Theorie und des Marxismus geführt wurde, zwei unterschiedliche Perspektiven vor, die das theoretische Feld gewissermaßen idealtypisch kartografieren. Um besser verstehen zu können, in welchem Umfeld das Buch von Bockelmann angesiedelt ist, möchte ich dieses theoretische Feld kurz skizzieren.

Kapitalismus als Gesellschaftsform

Bei dem Projekt, den Kapitalismus als Gesellschaftsform zu bestimmen, geht es wie bereits angedeutet um den Versuch, seine Spezifik und seine innere Dynamik im Unterschied zu vorkapitalistischen Gesellschaften zu bestimmen. Insofern wird hier der Kapitalismus als eine Gesellschaftsform verstanden, in der eine bestimmte Reichtumsform (die Warenform), eine bestimmte Zeitform (die linear verlaufende, abstrakte Zeitvorstellung) und eine bestimmte Denkform (die sich unter anderem in den modernen, abstrakt-mathematischen Naturwissenschaften niederschlagen) miteinander verbunden sind. Die Frage, wie genau diese Verbindung aussieht, war Anlass für umfangreiche Debatten. Auf einer allgemeinen Ebene haben sich dabei zwei verschiedene Argumentationslinien bzw. Perspektiven herausgebildet.

Die erste ist eng mit Alfred Sohn-Rethel (1899 – 1990) verknüpft. Dieser hat das Theoriefeld als solches markiert, indem er einen Zusammenhang der Warenform kapitalistischer Produkte und der Denkform der modernen Wissenschaften proklamierte. In diesem Sinne versucht er, die Kapitalismuskritik von Marx mit der Erkenntniskritik von Immanuel Kant zu verbinden und sie in einer materialistischen Erkenntniskritik zusammenzuführen. Sohn-Rethel interpretiert Marx allerdings vom Standpunkt einer eng am traditionellen Marxismus orientierten Lesart des Kapital. Dabei versteht er die marxsche Analyse der einfachen Warenproduktion als Schilderung einer historischen Phase vor der Durchsetzung des Kapitalismus, verortet die Ursprünge der modernen Denkformen bereits in der griechischen Antike und bringt sie mit der zeitgleichen Durchsetzung des Münzwesens in Verbindung.

Die zweite Perspektive wird von Moishe Postone (1942-2018) vertreten. Postone geht völlig anders vor, indem er aus einer kategorialen Analyse der marxschen Kategorien der Kritik der Politischen Ökonomie die Vorstellung vom Kapitalismus als einer historisch spezifischen Gesellschaftsform entwickelt, die erst im Moment ihrer Durchsetzung ihre eigenen spezifische Denkformen hervorbringt. Während Sohn-Rethel die allmähliche, prozesshafte Herausbildung der modernen Formen betont, fokussiert Postone auf einen abrupten Bruch, der mit der Durchsetzung des Kapitalismus einhergeht.1 Diese Lesart ist auch für die seit den 1980er-Jahren entstandene Wertkritik von zentraler Bedeutung. Auch hier wird die historische Spezifik der kapitalistischen Gesellschaftsformation zur zentralen Voraussetzung nicht nur für das Verständnis der ihr immanenten Dynamik, sondern auch für die Parameter ihrer Überwindung.

Obwohl sich Eske Bockelmann in keinem seiner Bücher auf eine dieser Positionen (und auch nicht auf Marx) bezieht, hat er mit seiner historischen Darstellung zur Genese des Geldes einen Punkt berührt, der für die Frage nach dem Verständnis der kapitalistischen Gesellschaft und damit auch nach dem Verständnis von moderner, nichtpersonaler Herrschaft zentral ist. Entsprechend enthusiastisch wurde das frühere Buch Im Takt des Geldes seinerzeit auch besprochen.2 Dabei wurde insbesondere die formkritische, auf die Spezifik der kapitalistischen Form fokussierende Darstellung begrüßt, die unter anderem die weit verbreitete Auffassung einer Jahrtausende umfassenden Geldgeschichte ablehnt.

Auch das neue Buch leistet eine Kritik an der verbreiteten Vorstellung, es gäbe eine die Epochen überschreitende Logik des Geldes. Es weist allerdings deutliche Leerstellen auf, sobald die Funktionsweise des modernen Geldes kategorial dargestellt werden soll.3 Auf beide Aspekte möchte ich im Folgenden eingehen.

Die historische Darstellung: Wann ist das Geld wirklich Geld?

Bockelmann zeigt auf, dass das Geldverständnis, das bei der Betrachtung vormoderner Gesellschaften angewandt wird, an einen verdinglichten Fehlschluss leidet. Geld wird dann nicht als das gesellschaftliche Verhältnis wahrgenommen, das es in Wirklichkeit ist, sondern fälschlicher Weise als ein Ding. Das hat zur Folge, dass Münzen sobald sie irgendwo auftauchen, umstandslos als Geld interpretiert werden. Dabei werden ihnen Funktionen unterstellt, die das Geld tatsächlich nur in der modernen Gesellschaft hat.

Bockelmann macht diesen Fehlschluss an der bis heute in der modernen Volkswirtschaftslehre gängigen Vorstellungen von einer dem Geld vorgängigen Tauschgesellschaft deutlich. In dieser angeblichen Urgesellschaft, in der die Menschen dann beispielsweise Brote gegen Felle getauscht hätten, sei ihnen der direkte Tauschhandel auf die Dauer als zu schwierig erschienen und so hätten sie dann ein allgemeines Tauschmittel, das Geld, erfunden. Diese Vorstellung, die sich bereits bei Adam Smith finden lässt, ist jedoch eine reine Rückprojektion der entwickelten Kapitalverhältnisse in die Vergangenheit. Sie setzt, wie Bockelmann aufzeigt, die geldvermittelte Gesellschaft gedanklich bereits voraus. In der unterstellten Urgesellschaft fehlt es den Menschen angeblich nur noch am Geld als technischem Ding, aber es wird so getan, als verfügten sie bereits über einen Grad an Arbeitsteilung sowie an Austausch- und Produktionsbedingungen, die tatsächlich erst viele Jahrhunderte später von der geldvermittelten (Waren-)Ökonomie hervorgebracht wurden (S. 21ff.).

Um zu zeigen, dass es sich in früheren Gesellschaftsformen ganz anders verhielt, beschreibt Bockelmann die Bedeutung, die Mitbringseln, Gaben und Geschenken noch in unserer modernen Geldökonomie zukommen (S. 31ff.). Er sieht in ihnen die letzten Relikte einer vergangenen, nicht auf Tauschlogik und eine Vermittlung über die Arbeit basierenden Form der Güterverteilung. Ferner spürt er den Ursprüngen der vom Geld unterschiedenen Formen der Güterverteilung bei den Māori (S. 35ff.), in Mesopotamien (S. 81ff.), im antiken Griechenland (S. 48ff.), im alten Rom (S. 39ff.), im westafrikanischen Königreich Dahomey (S. 99) und im europäischen Mittelalter (S. 113) nach.

In diesem Zusammenhang verweist Bockelmann auch auf die grundlegende Unterscheidung von Münze und Geld (S. 91ff.). Erstere gab es bereits recht früh, ihr kam jedoch stets eine ganz spezifische gesellschaftliche Bedeutung zu, die sich von der des heutigen Geldes fundamental unterscheidet. Die präzisen Beschreibungen der Einschränkungen und Prämissen, die etwa mit der Nutzung von Münzen im späten Mittelalter verbunden sind, die von Bockelmann im ersten Abschnitt seines Buches vorgetragen werden, sind überaus anregend. Sehr scharfsinnig zeigt er eine Reihe von Differenzen, die etwa den spätmittelalterlichen Sold oder die mittelalterlichen Märkte vom modernen Geld und von der modernen Marktwirtschaft unterscheiden.

Er folgt dabei allerdings – zumindest implizit – der Argumentationsstrategie von Karl Polanyi. Dieser betont in seinem Buch The Great Transformation die Verschiedenheit der modernen Marktwirtschaften im Vergleich zu dem Geschehen auf vormodernen Marktplätzen, hatte dabei aber dennoch an einem angeblich überhistorischen Charakter „der Wirtschaft“ festgehalten. Polanyi unterscheidet Gesellschaften danach, inwiefern die Wirtschaft in ihnen als Selbstzweck wirkt oder durch gesellschaftliche Rahmensetzungen eingehegt wird. Dadurch legt Polanyi den Gedanken nahe, die Wirtschaft sei in vormodernen Gesellschaften als gesellschaftliches Phänomen zwar vorhanden gewesen, aber von quasi-staatlichen Institutionen eingehegt worden.4 Auch das ist eine Rückprojektion. Bockelmann übernimmt diese Strategie und versteht so die königlichen Preisfestsetzungen im antiken Königreich Mesopotamien als Beleg dafür, das Geld seinerzeit keine Rolle gespielt haben kann, weil die Preise ja nicht durch Angebot und Nachfrage, sondern durch hoheitliches Edikt entstanden seien. Auf diese Weise wird seine Argumentation unsauber, da die Preise der Nahrungsmittel ja zumindest insoweit von Bedeutung gewesen zu sein schienen, als der König es für notwendig hielt, sich mit ihrer Regulierung zu beschäftigen.5

Auf diese Weise verunklart Bockelmann seine Argumentation. Er liefert uns zwar einerseits eine ganze Reihe von Anhaltspunkten, warum es für ein Verständnis des modernen Geldwesens notwendig ist, es von vormodernen Austauschpraktiken – und dabei auch von den bei ihnen bisweilen eingesetzten Münzen – zu unterscheiden. Eine explizite, kategorial klare und inhaltlich überzeugende Differenzierung zwischen diesen Epochen findet sich bei ihm jedoch nicht.

Im zweiten von den insgesamt drei Teilen des Textes betrachtet der Autor die Neuzeit und damit jene historische Epoche, in der sich das Geld als Geld herausbildet. Die Darstellung in dieser Passage bleibt jedoch sehr kursorisch und recht oberflächlich. Zwar benennt er mit der Herausbildung von Städten und Marktplätzen einen zentralen Motor der Durchsetzung des Geldwesens, doch die Darstellung bleibt weitgehend auf binnenökonomische Fragen zentriert. Bockelmann lässt sowohl die Frage nach der Bedeutung globaler Handelsbeziehungen (Stichwort Kolonialismus) im Frühkapitalismus als auch die nach der Bedeutung der Gewalt bei der Durchsetzung der modernen Geldgesellschaft außen vor. Auch die Frage, inwiefern die Geldökonomie nicht nur neuartige Denkformen hervorbringt, sondern auch ihrerseits auf ideologischen Neuerungen (etwa den Protestantismus) aufbaut, wird in diesem Teil der Darstellung ausgeblendet.

Das Geld als Erfindung, die nur existiert, weil Menschen sie denken

Faktisch entnimmt Bockelmann die Existenz des Geldes aus dessen historischer Genese. Nachdem er die beiden Teile des Buchs zur Vor- und Entstehungsgeschichte des Geldes hinter sich gelassen hat, ist das Geld gesellschaftliche Realität und soll nun, im dritten Teil, in seiner Funktionsweise verstanden werden. Insofern behandelt er das Auseinandertreten von besonderer Ware und allgemeiner Ware (Geld) als historische Fundsache, die er nicht weiter logisch-kategorial entwickelt.

Die dahinterliegende Frage, wie es eigentlich dazu gekommen ist, dass die Individuen heute nicht nur kaufen können, sondern auch kaufen müssen, berührt er hingegen nicht. Dass die Menschen nun von feudalen Verpflichtungen entbunden sind und als „vereinzelte Einzelne“ keine direkten Beziehungen mehr zueinander haben; dass sie ihre Beziehungen nun vielmehr äußerlich, durch den Kauf und Verkauf von Waren bewerkstelligen müssen; dass sie hierzu eines verallgemeinerten Tauschmittels bedürfen, das sie im Geld als ausgesonderter, allgemeiner Ware schließlich finden – alle diese von Marx in die Waagschale geworfenen Aspekte des Problems lässt Bockelmann unter den Tisch fallen. Dadurch erscheint ihm die warenproduzierende Gesellschaft als reine Geldgesellschaft und das Geld als das unhinterfragte a priori dieser Gesellschaft.

Als der Folge dieser Darstellung kann Bockelmann das Geld als Urgrund aller Probleme in der kapitalistischen Gesellschaft behandeln. Das spiegelt sich beispielsweise in der Passage, in der er den Begriff des Eigentums diskutiert. Als spezifische Kategorie der Geldgesellschaft führt er das „geldförmige Eigentum“ (S. 303) ein. Dieses entsteht, weil die „geldvermittelte Gesellschaft“ es benötigt. Das von Bockelmann präsentierte „geldförmige Eigentum“ verfügt über die ausschließliche und ausschließende Verfügung, die dem Privateigentum eigentümlich ist. Bockelmann behandelt es jedoch an keiner Stelle als Privateigentum (und damit als Folge der Vergesellschaftung von privatisierten Individuen), sondern als Folge der Geldwirtschaft: „Geld zwingt alle durch den Ausschluss jeweils aller anderen zu einer Gesellschaft von Geldeigentümern zusammen“ (ebd.).

Dabei entgeht ihm zwangsläufig ein ganz zentraler Aspekt der in private Eigentümer*innen aufgeteilten kapitalistischen Gesellschaft. Denn die allseitige gesellschaftliche Vermittlung über das Geld setzt eine vollständige Verfügung über die jeweiligen Eigentumsrechte des vom Geld vermittelten Warenreichtums ebenso voraus wie den vollständigen Ausschluss aller anderen potentiellen Eigentümer*innen von jedem Nutzungsrecht.

Im Buch findet sich keine Stelle, in der Bockelmann die vereinzelten Einzelnen systematisch beleuchtet oder (historisch oder logisch) herleitet. Stattdessen meint er scheinbar, im Geld die Wurzel allen Übels schlechthin ausgemacht zu haben. Auch der Wert ist für Bockelmann nur deshalb in den Waren, weil diese durch das Geld gleichgesetzt werden. Durch diese Gleichsetzung, so argumentiert er, setzen wir mit dem bezahlten (bzw. erhaltenen) Preis den Wert der Ware fest. Bockelmann begründet diese Ansicht damit, dass erst durch die Gleichsetzung im Zahlungsakt bestimmt werde, was Wert überhaupt sein soll (S. 251ff.).6

Dass die Dinge nicht von sich aus einen Wert haben, ist ja durchaus richtig. Doch Bockelmann hebt nicht (wie noch Marx) auf die gesellschaftlichen Verhältnisse ab, durch die die Warenproduktion zur gesellschaftlichen Realität und damit der Wert zu einer realen Abstraktion wird. Für Bockelmann ist der Wert vielmehr eine rein gedankliche Konstruktion: Die Menschen denken das Geld einfach, und allein dadurch entstehen Notwendigkeiten, die ihnen dann als Herrschaft des Geldes gegenübertreten. Damit beschönigt Bockelmann die Verhältnisse in nicht zu unterschätzendem Maße: Er tut so, als wäre alles einzig und allein eine Frage der Denkweise.7

Das Geld als Struktur, die alles Handeln determiniert

Neben der Erklärung des Geldes aus den geldbezogenen Handlungen der Warensubjekte gibt es bei Bockelmann noch eine zweite Dimension des Geldes. Denn das einmal erdachte Geld wird bei ihm zu einer Art selbstständigen Struktur, die die Menschen unabhängig von ihrem Willen und Wollen beherrscht. Dabei bleibt der Zusammenhang von Handlung und Struktur jedoch notorisch unterbelichtet. Im weiteren Verlauf seiner Argumentation pendelt er dann zwischen einem von allen Handlungen losgelösten Strukturalismus und einer unbegründeten Gleichsetzung von individuellen Handlungen und gesellschaftlichen Strukturfolgen dieser Handlungen.

Einmal in der Welt, dominiert das Geld alles, was da kreucht und fleucht. Geld wird auf diese Weise im Grunde nicht als gesellschaftliches Verhältnis aufgefasst, sondern vielmehr als ein Ding außerhalb der sozialen Beziehungen, das einfach da ist; nur das es im Unterschied zu den anderen Dingen der Welt erst mit der kapitalistischen Moderne in die Welt tritt. Diese Vorannahme ist bei Bockelmann notwendig, denn er braucht sie, um seine am Beginn des Kapitels zur Geldtheorie der Moderne angesiedelte Suche nach dem reinen Geld bzw. dem Geld als reinem Tauschmittel überhaupt führen zu können.8 Einmal notwendig geworden und erdacht, beherrscht das Geld das Handeln und das Denken. „Geld zwingt uns Wert in die Waren hineinzusehen, ihnen einen Wert zuzuschreiben, den sie eben nicht von sich aus aufweisen“ (S. 216), schreibt Bockelmann. Er setzt damit das Geld als Ausgangspunkt der Kritik und leitet daraus die Existenz der Menschen als Geldsubjekte ab. „Geld, das als Tauschfunktion in nichts Realem besteht, muss in jemand Realem seinen Eigentümer haben, sonst ist es nicht. […] Das Geld braucht sein Geldsubjekt“ (S. 300).

Das Verhältnis von Geld und Geldsubjekt denkt Bockelmann dementsprechend konsequent als Verhältnis, in dem das Geld (als Struktur) selbst zum Handlungsträger wird. Das Geld „saugt Waren an“ (S. 262) und „erfordert […] eine unendliche […] Menge an Waren“ (S. 262) es „fordert noch mehr“ (S. 263), woraus sich dann ein Gesetz ergibt, welches „Gewinn unbedingt erfordert“ (S. 263).

Er diskutiert, was passiert, wenn Geld fortgegeben oder erworben wird und welche Konsequenzen das für die Geldsubjekte hat (etwa S. 256f.). Aus diesen Überlegungen auf der individuellen Handlungsebene leitet er unmittelbar Aussagen über das Wesen des Geldes auf der gesellschaftlichen Ebene ab. Er liefert allerdings keinen Hinweis darauf, warum dieser Schluss eigentlich gültig sein sollte. Vielmehr scheint er zu unterstellen, dass die gesellschaftlichen Formbestimmungen ganz in den individuellen Handlungsakten aufgehen.

Wird der unendliche Warenstrom unterbrochen, so argumentiert Bockelmann auf S. 258 oben, verliere das Geld seine Funktion als Geld. Das ist zwar richtig, verrät uns aber noch nicht viel über die gesellschaftlichen Verhältnisse. Im Unterschied zum Versuch, gesellschaftliche Formbestimmungen festzuhalten, versucht Bockelmann aus den Handlungen der Geldakteur*innen die Entstehung einer Struktur zu konstruieren: Der Warenverkäufer „muss ihren Preis und Wert […] ansetzen“. Gleichsam verweist er aber auch auf die Wirkung von Geld als einer Struktur, die aus sich heraus Handlungen hervorruft (s. o.). Diese Struktur besteht für ihn in dem Wertgesetz, nach dem der Verkauf aller Waren insgesamt mehr Geld bringen müsse als zu ihrer Beschaffung (bzw. Herstellung) ausgegeben wurde (S. 264). Damit reduziert er das Wertgesetz freilich auf ein reines Mehrwertgesetz und drückt sich gerade um die Frage der spezifischen Qualität, die die sozialen Beziehungen im Kapitalismus auszeichnet. Dass zur Realisierung dieser Prozess auch Arbeit in spezifischen gesellschaftlichen Verhältnissen verausgabt werden muss, gerät dabei für den Autor völlig aus dem Blick.

Bockelmann postuliert dieses Wertgesetz vielmehr als Geldgesetz und behauptet von ihm, es würde irgendwie herrschen und das gleichsam durch Bestimmungen der Geldsubjekte entstehen und durch sie gesetzt werden. Wie genau das möglich sein soll, bleibt unklar. Um an dieser Stelle Klarheit zu schaffen, müsste er auf die spezifische Struktur der kapitalistischen Moderne eingehen, die gerade in der Vereinzelung der Individuen besteht und deren Abhängigkeit vom Geld auf die Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Vermittlung über ihre Arbeitsprodukte verweist.

Insofern ist sein Vorgehen aus mindestens zwei bereits genannten Gründen problematisch: Einerseits, weil er eine Identität von Mikro- und Makroebene unterstellt, deren Verhältnis bei ihm unklar ist. Und andererseits, weil er die Vereinzelung als eine Formbestimmung, aus der sich die Notwendigkeit zum beständigen Geldverkehr überhaupt erst ergibt, nicht systematisch theoretisiert, sondern diese – wenn überhaupt – nur nebenbei als Folge des Geldverkehrs einfließen lässt.

Ideologiekritische Nebenwirkungen

Bockelmann versucht, die Spezifik des Kapitalismus auf eine Art zu erklären, in der er gerade die wesentlichen Elemente, wie sie sich in der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie finden, systematisch übergeht. Damit entsorgt er freilich auch die erkenntnistheoretischen Besonderheiten der marxschen Argumentation. Marx hatte die Ware bekanntlich in ihrem Doppelcharakter bestimmt: einerseits als Trägerin von konkretem Gebrauchswert, andererseits aber auch als Trägerin von Wert, welcher auf die abstrakte Form der Vergesellschaftung über die Arbeitsprodukte der vereinzelten Einzelnen verweist. Dieser Doppelcharakter stellt sich laut Marx dann dar in der Aufteilung der Waren in die besondere Ware (das, was gekauft werden soll) einerseits und die allgemeine Ware (das Geld) andererseits. Deshalb, so argumentiert Marx, könne dann der Eindruck entstehen, die mit der Warenproduktion verbundene Verselbstständigung der Verhältnisse gegenüber den Menschen habe ihre Ursache nicht in ihrer Konstitution als vereinzelte Einzelne und der sich daraus notwendig ergebenden warenproduzierenden Ordnung, sondern alleine im Geld, in das dann alle negativen Eigenschaften dieser Ordnung projiziert werden können.

Bockelmann verfällt dem von Marx aufgezeigten ideologischen Kurzschluss insofern, als er tatsächlich das Geld in eine selbstständige Struktur verwandelt, die er den besonderen Waren gegenüberstellt. Allerdings ist er dabei weit davon entfernt, mit antisemitischen Stereotypen zu arbeiten und er legt auch an keiner Stelle irgendwelche Fährten, die in diese Richtung führen könnten. Mit anderen Worten: Bockelmann hält die Vorstellung vom Geld als einer Struktur derart konsequent durch, dass er auf jedwede Personalisierung verzichten kann. Dennoch setzt seine Trennung von realen Waren und irrealem, nur erdachten Geld genau an jener Stelle ein, die Marx als zentralen Fetischismus innerhalb der Warengesellschaft markiert. Dies ist nicht nur insofern problematisch, als sie einen potentiellen Anknüpfungspunkt für antisemitische Stereotype bildet (die Bockelmann selbst nicht anbietet und sicherlich auch nicht intendiert).

Bockelmanns Kritik am Geld hat darüber hinaus auch zur Folge, dass die Sphäre der Produktion systematisch unterbelichtet bleibt. Das hat den Effekt, dass seine Argumentation auf einer oberfächlich beschreibenden Ebene verharren muss. Wenn er etwa an „Brot für die Welt“ kritisiert, dass da ja gar kein Brot, sondern Geld gesammelt würde, es dementsprechend auch nicht an Lebensmitteln fehlen würde (denn die lassen sich von dem Geld ja kaufen), sondern eben nur am Geld, dann wird aus einer globalen (post-)kolonialen Arbeits- und Machtverteilung ein reines Verteilungsproblem, das sich ohne Geld flugs lösen ließe (S. 304). Dieser blinde Fleck hat seine Ursache in der Ausblendung der Konstitutionsbedingungen der Warengesellschaft sowie der mit ihr einhergehenden Zwänge, aus denen dann unvermeidbar Externalisierungen und Exklusionen erfolgen, die nicht einfach dem Vorhandensein von Geld geschuldet sind.

Nun möchte ich dem Autor gar nicht unterstellen, dass ihm die angesprochen Phänomene gleichgültig wären. Das Problem ist nur: Sie lassen sich mit seinen Kategorien nicht fassen. Mehr noch: Das von Bockelmann vorgestellte Kategoriensystem legt es sogar nahe, die entsprechenden Problemdimensionen für irrelevant zu halten. Aber faktisch ist es eben nicht das Geld, das die Menschen „von dem scheidet, was sie zum Leben brauchen.“ Das tut bereits die Warengesellschaft per se. Vieles von dem, was Bockelmann schreibt, ist ja nicht falsch. Nur ist der Begriffsapparat, mit dem er es betrachtet, unzureichend.

1 Etliche Autor*innen haben im Anschluss an diese Ansätze Untersuchungen zur Spezifik der kapitalistischen Formen vorgelegt. Hier sei etwa auf Eberhard Bolay und Bernhard Trieb (Verkehrte Subjektivität. Kritik der individuellen Ich-Identität, 1988), Rudolf W. Müller (Geld und Geist, 1981), Bodo von Greiff (Gesellschaftsform und Erkenntnisform, 1977), Isolde Demel (Abstraktes Denken und Entwicklung, 1988), Elvira Scheich (Naturbeherrschung und Weiblichkeit, 1993) und Peter Dudek (Naturwissenschaften und Gesellschaftsformation, 1979) verwiesen.

2 Siehe: Claus-Peter Ortlieb: Rhythmus des Absoluten https://www.math.uni-hamburg.de/home/ortlieb/ZuBockelmann.html, Claus-Peter Ortlieb: „Im Takt des Geldes“, 2. Durchgang http://www.exit-online.org/link.php?tabelle=autoren&posnr=221 ,Franz Schandl: Bockelmann! https://www.streifzuege.org/2005/bockelmann/, Franz Schandl: Wozu Geld? Einsichten eines Philologen https://www.diepresse.com/5826734/wozu-geld-einsichten-eines-philologen

3 Zentrale Kritikpunkte ist bereits in der lesenwerten Besprechung von Wilfried Jannack dargestellt.
Vgl. Wilfried Jannack: Eske Bockelmann: Das Geld. https://keimform.de/2020/eske-bockelmann-das-geld/

4 So spricht Polanyi z. B. in Bezug auf Naturabgaben von Steuern, was den Gedanken an Staatlichkeit nicht ausdrücklich impliziert, aber zumindest nahelegt.

5 Indem er die moderne Wirtschaft als Geldökonomie begreift und diese mit dem Markt gleichsetzt, gerät ihm zudem die Verwandtschaft der Planwirtschaft (wie sie etwa für Gesellschaften sowjetischen Typs üblich war) mit der Marktökonomie (die ihrerseits ja auch nicht auf staatliche Absicherungen verzichten kann) aus dem Blick (S. 106ff.).

6  Diese Argumentation ähnelt auf einer allgemeinen Ebene der von den Vertreter*innen der Monetären Werttheorie (Michael Heinrich, Ingo Stützle u.a.) vorgetragenen Position.

7 Tatsächlich steht doch hinter der Vereinzelung der Warensubjekte ein Apparat von staatlicher und moralischer (d.h. psychischer) Gewalt, der die Subjekte auf Spur hält. Wer sich Waren nimmt, die zum Privateigentum anderer gehören, wird davon abgehalten bzw. dafür bestraft. Wer deshalb verhungert, verhungert halt. Wer nicht genug Leistung bringt, dem wird eingeredet, nicht leistungsfähig und überhaupt unwürdig zu sein. Diese Abstraktion von gesellschaftlichen Zwangsverhältnissen spiegelt sich übrigens auch in Bockelmanns historischer Darstellung des Spätmittelalters bzw. der frühen Neuzeit im zweiten Teil des Buches, die bei ihm vergleichsweise harmonisch ausfällt. Von der Gewalt und Brutalität der personalen Herrschaftsverhältnisse, die dieser Epoche innewohnen, findet sich bei ihm kaum ein Wort.

8 Er weist im Zuge seiner Erörterungen die Vorstellung vom Bar- oder Vollgeld als richtigem Geld ganz in diesem Sinne auch zurück. Aber nur, um gleichzeitig, nicht weniger verdinglichend, dem reinen Geld, das in seiner bloßen Vermittlungsfunktion aufgeht, die Rolle des Wesens dieses reinen Tauschmittels zuzuschreiben.