Ernst Lohoff
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Zusammenfassung
Die USA gelten als das Mutterland der modernen Demokratie. Nach dem Überfall auf Pearl Harbor erklärte Präsident Roosevelt sein Land zum „Arsenal der Demokratie“. Im Kalten Krieg übernahmen die USA die Rolle der Schutz- und Führungsmacht, um die sich die „westliche Wertegemeinschaft“ scharte. Doch jetzt wird unter der Präsidentschaft Trumps die liberale Demokratie in ihrem Mutterland im Eiltempo zerstört. Die MAGA-Bewegung und ihr Repräsentant im Weißen Haus führen einen regelrechten Feldzug gegen die Gewaltenteilung, das Rechtsstaatsprinzip, die Wissenschaftsfreiheit sowie die regierungskritischen Massenmedien. Damit erreicht der globale Vormarsch des Autoritarismus eine neue Qualität. Beim Versuch, diese bedrohliche Entwicklung zu begreifen, orientieren sich viele Liberale, aber auch große Teile der Linken an historischen Konstellationen aus der Vergangenheit. Mal ist von einer Rückkehr der USA zum Isolationismus die Rede, mal von einem Rückfall in den Imperialismus. Der US-amerikanische Philosoph Jason Stanley und viele andere meinen wiederum, die USA entwickelten sich klar in Richtung Faschismus. Das alte Etikett Faschismus verdeckt aber das grundlegend Neue an der heutigen historischen Situation.
Selbstverständlich erinnert das manichäische Weltbild der MAGA-Bewegung fatal an den italienischen Faschismus und den deutschen Nationalsozialismus. Während Politik in der liberalen Demokratie darin besteht, zwischen konkurrierenden Interessen zu vermitteln, ist Politik für den Trumpismus, genauso wie einst für den Faschismus, ihrem Wesen nach ein Freund-Feind-Verhältnis. Dieses hochgradig destruktive Politikverständnis steht im Krisenkapitalismus unserer Tage allerdings in einem ganz anderen sozialen Kontext als vor 1945: Im Faschismus und im Nationalsozialismus waren Antisemitismus und aggressiver Nationalismus mit der Idee des „totalen Staates“ (Carl Schmitt) verschwistert. Dessen Aufgabe war die Herstellung und Sicherung der „Volksgemeinschaft“. Dazu gehörte wesentlich, allen dem Regime loyalen „Arbeitern der Stirn und Faust“ und ihren gebärfreudigen Frauen soziale Wohltaten zuteilwerden zu lassen. Die Aggression nach außen und die soziale Integration sowie die nationalökonomische Formierung nach innen bildeten also zwei Seiten derselben Medaille. Beim Trumpismus ist die Feindschaft gegenüber illegalisierten Migranten, „Wokeness“ und „liberalen Eliten“ dagegen ein Ersatz für die reale Integration der Gesellschaft. Zugleich verleiht sie dem allgemeinen gesellschaftlichen Zerfallsprozess eine neue Qualität. In der Ideologie schlägt sich das vor allem darin nieder, dass sich das Verhältnis zum Staat im Vergleich zu den faschistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts umkehrt. Für diese war der allmächtige „totale Staat“ eine positive Utopie, die es zu verwirklichen galt. In der Vorstellungswelt der MAGA-Bewegung existiert der „totale Staat“ hingegen längst, und zwar in Form des „Deep State“, der angeblich auf die Auslöschung individueller Freiheit aus ist. Dieser stellt, um die Formel von Carl Schmitt aufzugreifen, so etwas wie den „absoluten Feind“ dar. Der Kampf gegen den imaginären „Deep State“ dient dabei als Rechtfertigung für ein Projekt zur Zerschlagung des realen Staates. Dieser verliert zusehends seine Fähigkeit, die kapitalistische Gesellschaft zusammenzuhalten.
Der Trumpismus steht für neuen Wein in alten Schläuchen. Die offene Verachtung für demokratische Spielregeln und deren gezielte Übertretung erinnern ebenso wie die in der MAGA-Bewegung populären Denkmuster an die dunkelsten Kapitel des 20. Jahrhunderts. Die großen gesellschaftlichen Veränderungen, die er herbeiführt, sind jedoch nur im Kontext des heutigen Entwicklungsstadiums des warenproduzierenden Weltsystems zu verstehen. Die Vorstellung, Trumps Programm führe zur Wiederkehr vergangener Verhältnisse, ist nur plausibel, solange man bei reiner Ideologiekritik stehen bleibt und auf eine Realanalyse verzichtet.
Auch hinter der an die isolationistische Tradition anknüpfenden „America-First“-Rhetorik verbirgt sich ein Programm, das sich zur Zielsetzung des historischen Isolationismus verhält wie Feuer und Wasser. Der historische Isolationismus war die Begleitideologie einer autozentrierten Entwicklung. Von ihrer Gründung bis zum Zweiten Weltkrieg verfolgten die USA das Ziel, eine weitgehend autarke Nationalökonomie aufzubauen, die den gesamten amerikanischen Doppelkontinent beherrschen und von imperialer Konkurrenz unabhängig sein sollte. Die „Trumponomics“ stehen dagegen für den Traum, die USA könnten alle Vorteile, die ihnen aus dem Globalisierungsprozess erwachsen, weiterhin genießen, während sie alle Folgelasten ihren ehemaligen Partnern aufhalsen. Das Weltmarktmonopol der US-amerikanischen IT-Branche soll weiter ausgebaut werden, und die Steuersenkungspolitik steigert die Abhängigkeit der USA von ausländischen Kapitalzuflüssen zusätzlich. Gleichzeitig soll die andere Seite der transnationalen Arbeitsteilung, die Deindustrialisierung der USA durch die Zollpolitik rückgängig gemacht werden. Der Hegemon ist zum Erpresser mutiert, der wegen kurzfristiger Konkurrenzvorteile die Grundlagen des kapitalistischen Weltsystems zerschlägt.
So destruktiv diese Politik auch ist, sie ist auf ihre Weise zeitgemäß. Nicht der Kurs der US-Regierung ist anachronistisch, sondern das Paradigma, dass Wirtschaftsliberalismus und politische Freiheit zwei Seiten derselben Medaille seien. Wer versucht, beide zusammen zu verteidigen, kann letztlich nur scheitern. In einer weiteren Hinsicht ist der Autoritarismus à la Trump den Verteidigern der liberalen Demokratie zudem weit voraus. Das liberale Lager spricht zwar schon seit Jahrzehnten von der Notwendigkeit einer „Weltinnenpolitik“, doch damit war nie mehr gemeint als die Stärkung internationaler Organisationen und die Forderung nach engerer Kooperation der Staaten. Dabei wurden die klassische Trennung von Außen- und Innenpolitik sowie das Konzept staatlicher Souveränität nicht infrage gestellt, sondern vorausgesetzt. Der US-Präsident und seine Kollegen in Russland und China werfen beides über den Haufen und betreiben im Wortsinn „Weltinnenpolitik“. Es ist höchste Zeit, dem eine emanzipative Weltinnenpolitik entgegenzusetzen, statt die „liberale Demokratie“ retten zu wollen. Diese ist ein historisches Auslaufmodell.

