12.12.2025 

Beziehungsstörung Kapitalismus -Teil 2 (krisis 1 /2025)

Grundlinien einer kategorialen Kritik von Arbeit, kapitalistischer Naturbeziehung und männlicher Herrschaft.
Teil 2: Form, Stoff und das Andere der Vernunft

Karl-Heinz Lewed
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Zusammenfassung

Der zweite Teil meiner Untersuchung Beziehungsstörung Kapitalismus verfolgt, ebenso wie der erste Teil (Lewed 2021), einen Ansatz, der die soziale Beziehungsform im Kapitalismus in den Mittelpunkt rückt.

Während sich Teil 1 im Wesentlichen mit der abstrakten Dimension der Vermittlung über Arbeit befasste und einen adäquaten Begriff der gesellschaftlichen Substanz formulierte, untersucht Teil 2 die moderne Naturauffassung, in der sich die kapitalistische Beziehungsform auf spezifische Weise als homogene Stofflichkeit ausdrückt. Die Arbeiten sind homogen sowohl in ihrer gesellschaftlichen Vermittlungsfunktion als abstrakte Arbeit als auch in ihrer konkreten Gestalt als bloß Materielles bzw. als materieller Umformungsprozess. Die inhärente Logik von Vereinheitlichung und Formierung im Kapitalismus nimmt damit eine spezifische Form an: die Entqualifizierung von Natur als bloße Stofflichkeit.

Im Gegensatz zu dieser kritischen und historisch spezifischen Bestimmung ist für den traditionellen Marxismus die materielle Seite die Grundlage seines Selbstverständnisses und seiner Praxis. Das Materielle wird zur naturgegebenen Voraussetzung von Gesellschaft und gesellschaftlicher Entwicklung, aber auch von Bewusstseinsinhalten. Diese Annahme ist aber alles andere als zutreffend: Denn nur in der kapitalistischen Gesellschaft vermittelt die Arbeit die Gesellschaft, was sich in einer Homogenisierung als rein Materielles ausdrückt.

Mit den modernen, kapitalistischen Formen konstituiert sich zugleich ein Anderes der Vernunft. Dieses Andere wird geschlechtsspezifisch besetzt. Frauen werden mit einer „weiblichen Natur“ identifiziert: In ihrer angeborenen Weiblichkeit sei der unselbständige, nicht-vernünftige, schwache, naturnahe und sinnlich-emotionale Charakter angelegt. Als Gegenbild zeichnet sich die Männlichkeit durch Attribute wie Geist, Wille, Autonomie, Kraft, Leistung, Stärke, Härte und Selbstbeherrschung aus. Die Abspaltung von scheinbar „unvernünftig“-irrationalen und sinnlich-emotionalen Momenten und die Zuweisung derselben an Frauen ist die Rückseite der modernen, gesellschaftlichen Formen unter der Herrschaft von Arbeit und Kapital. Die warenförmige Logik und Rationalität ist von einem fundamentalen Bruch geprägt.

Dieser Bruch ist vermittelt mit der paradoxen Vergesellschaftungsweise der a-gesellschaftlichen Gesellschaftlichkeit. Im psychischen Apparat der Individuen schlägt sich dies in der Abwendung von der äußerlichen Realität und der Konstitution eines inneren, auf sich bezogenen, narzisstischen Selbst nieder, das aber immer zugleich in Relation zur als äußerlich wahrgenommenen Wirklichkeit steht. Das Paradox einer a-gesellschaftlichen Gesellschaftlichkeit drückt sich dabei auf drei verschiedenen Ebenen aus: Zum einen versucht das Subjekt, den primären Narzissmus in „gesunde“ Bahnen zu lenken und sich mit den Anforderungen der bürgerlichen Gesellschaft zu vermitteln; nicht aufgehende Momente werden projektiv mit dem „Weiblichen“ identifiziert. Zum anderen resultiert aus dem Widerspruch der a-gesellschaftlichen Gesellschaftlichkeit die Zuordnung zu kollektiven, imaginierten Gemeinschaften als Trägern von Vollkommenheit und Stärke. Und schließlich ist damit der Antisemitismus verknüpft, der im „Juden“ die personalisierte Bedrohung dieser Gemeinschaften als zersetzende, äußere Macht sieht.

Zusammenfassend lässt sich somit festhalten: Die Vermittlung über Arbeit und Wert stellt eine historisch-spezifische Beziehungsform dar, die auf Abspaltung basiert und daher von patriarchaler Herrschaft durchsetzt ist. Zugleich resultiert aus der kapitalistischen Logik eine Entqualifizierung der Natur. Und schließlich resultiert aus der Paradoxie einer a-gesellschaftlichen Gesellschaftlichkeit eine rational-irrationale Subjektivität, die ihren strukturell pathologischen Charakter in sexistischen und antisemitischen Projektionen sowie im kollektiven Identitätsdenken verarbeitet.