31.12.1998 

Kein Anschluß unter dieser Nummer

aus: Weg und Ziel 5/1998

Norbert Trenkle

Rund zwanzig Jahre dauert es nun schon an: das Warten auf ein “postfordistisches Regulationsmodell” – und immer noch ist es nicht in Sicht. Da vermag sich nicht einmal Joachim Hirsch, einer der letzten linken Regulationstheoretiker im deutschsprachigen Raum, noch in Optimismus üben: “Ein überzeugendes Regulationsmodell für den nachfordistischen Kapitalismus ist weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene erkennbar. Sichtbar sind bestenfalls Entwicklungen und Tendenzen, die aber einen höchst widersprüchlichen Charakter tragen” (Hirsch 1995, S. 173 f.). So viel selbstkritische Offenheit in Ehren. Wer aber erwartet hätte, der Autor würde daraus die naheliegende Konsequenz ziehen, sein regulationstheoretisches Paradigma als solches in Frage zu stellen, wird enttäuscht. Lieber widerspricht und widerlegt er sich selbst einem fort. Über weite Passagen hinweg beschreibt er (in seinem neuesten Buch Der nationale Wettbewerbsstaat) durchaus richtig, wie sich nach dem Ende des Fordismus, dem Zusammenbruch des sogenannten Realsozialismus und im Zuge der kapitalistischen Globalisierung die Konkurrenzdynamik auf allen Ebenen, sowohl zwischen Staaten und Staatenblöcken als auch innerhalb der Staaten selbst, extrem verschärft hat (1), wie die regionale und soziale Polarisierung voranschreitet und wie fundamantalistische Reaktionsformen an Kraft gewinnen kurz, wie die grundlegenden Bedingungen für einen einigermaßen kohärenten und stabilen innerkapitalistischen Interessenausgleich zunehmend zerstört werden. Sein Fazit: “Grundsätzlich bleibt fraglich, ob eine halbwegs stabile und zur Bewältigung der globalen Probleme geeignete politisch-soziale Ordnung auf kapitalistischer Grundlage überhaupt noch möglich ist” (ebd., S. 183). Doch dann flüchtet er sich immer wieder in relativierende Leerformeln (wie jenen zweiten Satz im ersten Zitat, der eigentlich nur aus nichtssagenden Floskeln besteht: “bestenfalls”, “Tendenzen”, “höchst widersprüchlichen Charakter”), die von nichts zeugen als vom blanken Willen, sich nur ja nicht von der altgewohnten Weltsicht zu verabschieden. Oder er hißt im Gestus des Trotz-alledem die Fahne des sozialen Kampfes für “Regulation”: “Es geht um den Kampf um die Durchsetzung von Formen der Regulation, die diejenigen Minimalstandards von sozialer Sicherheit, materieller Freiheit und demokratischer Selbstbestimmung gewährleisten, ohne die eine emanzipative Entwicklung, letztlich die Durchsetzung neuer und humanerer Produktionsverhältnisse nicht möglich ist” (ebd., S. 180).

Man liest es und wundert sich. Denn wenn es doch “fraglich” sein soll, ob auf kapitalistischer Grundlage überhaupt noch eine “halbwegs stabile … politisch-soziale Ordnung” möglich ist, wieso sollte dann ausgerechnet eine emanzipatorische Bewegung dafür kämpfen statt für eine andere gesellschaftliche Organisation? Reicht es nicht, daß die Linke schon in der bisherigen Geschichte des Kapitalismus immer wieder die Rolle des Ausputzers gespielt hat, wenn es brenzlich wurde? Soll sie einem fatalen Wiederholungszwang folgend das nun auch noch bewußt wollen sollen, wo angesichts einer zerbrechenden kapitalistischen Verwertungsbasis selbst diese fade Perspektive nicht mehr existiert? Und welchen Inhalt sollte ein “radikaler Reformismus” (ebd., z.B. S. 198) haben, wenn das was da “reformiert” werden soll, der eigenen Analyse zufolge, aus allen Fugen gerät? Da es Hirsch nicht um eine “linke” Variante der Notstandsverwaltung geht, wie sie wohl bald in der BRD anstehen könnte, kann das eigentlich nur heißen, daß er seine eigene Krisendiagnose nicht wirklich ernst nimmt.

Dies wiederum kann nicht sonderlich verwundern, wenn wir uns die Krisentheorie der Regulationsschule noch einmal ins Gedächtnis rufen, in deren Tradition Hirsch zweifelsohne immer noch steht. Strukturelle Krisen werden demnach nämlich ex definitonem immer nur als Krisen innerhalb des Kapitalismus und nie als Krisen des Kapitalismus interpretiert. Sie markieren das Auslaufen eines bestimmten historischen “Akkumulationsmodells”, dem jeweils ein dazugehöriges “Regulationsmodell” entspricht. Dabei meint ersteres grob gesagt die ökonomische Reproduktions- und Verwertungsstruktur des Kapitals in einer bestimmten historischen Periode (extensive oder intensive Verwertung, Verhältnis zwischen Konsumgüter- und Produktionsgütersektor etc.) und letzteres das Geflecht von gesellschaftlichen Normen, Gewohnheiten, Gesetzen und Institutionen, das den Akkumulationsprozeß gewissermaßen unterfüttert und stützt aber zugleich auch in bestimmte Bahnen lenkt und bis zu einem gewissen Grad kontrollierbar macht. Hat sich einmal ein solches Geschwisterpaar von “Akkumulations-” und “Regulationsmodell” herausgebildet (was immer bedeutet: durch soziale Kämpfe bzw. Klassenkämpfe hindurch herausgebildet) kommt es, so die Regulationstheorie, zu längeren Perioden relativer politischer und sozialer Stabilität und einigermaßen reibungslosen Akkumulierens von Kapital. Diese Perioden gehen dann zu Ende, wenn die gegebene gesellschaftliche Kohärenz zerbricht, was im allgemeinen deshalb geschieht, weil die Akkumulationsbewegung erlahmt. Um es mit Hirsch/Roth auszudrücken: “Säkulare oder strukturelle Krisen enstehen dann, wenn der kapitalistische Verwertungsprozeß an die Grenzen einer historischen Vergesellschaftungsform stößt, in deren Rahmen er ursprünglich prosperieren konnte. Die Krise fungiert als Auslösemoment und Vehikel eines verwertungsnotwendigen >Umbaus der Gesellschaft<” (Hirsch/Roth 1986, S. 36).

Es ist alles andere als nebensächlich, sich vor Augen zu führen, daß dieses Paradigma Mitte der siebziger Jahre als Reaktion auf die Krise des Fordismus enstanden ist, die weder der strukturalistische Marxismus noch die keynesianische oder die neoklassische Volkswirtschaftslehre mit ihren theoretischen Mitteln hinreichend erklären konnten. Brachte die Regulationstheorie zwar gegenüber diesen sterilen, statischen und unhistorischen Ansätzen eine Reihe interessanter Erkenntnisse über die Dynamik fordistischer Vergesellschaftung und deren innere Grenzen hervor, so blieb sie in ihrer Begrifflichkeit und in ihrem theoretischen Horizont doch zugleich dieser besonderen Epoche der kapitalistischen Geschichte verhaftet. Man könnte sagen, daß es sich um eine Theorie des Fordismus handelt, deren größte Schwäche darin besteht, einen höheren Allgemeinheitsgrad zu beanspruchen. Darauf verweist bereits der grundlegende Begriff der “Regulation”. Verstehen wir diesen Begriff ganz allgemein als Ausdruck dafür, daß jede Gesellschaft eine gewisse Kohärenz von Normen, Institutionen, Gesetzen, sozio-kulturellen Identitäten und Verhaltensweisen etc. aufweisen muß, können wir natürlich metaphorisch davon sprechen, daß jede Gesellschaft auf ihre Weise “reguliert” wird. Dann aber verliert der Begriff der “Regulation” jede Trennschärfe (hört also eigentlich auf Begriff zu sein) und wird zum Synonym für gesellschaftlichen Zusammenhang oder gesellschaftliche Synthesis schlechthin. (2)

Fassen wir den Begriff aber enger, nämlich im ursprünglichen Sinne der Regulationstheorie als kapitalistische Regulation (und so versteht ihn auch cum grano salis Joachim Hirsch), dann kann davon einzig und allein für den historisch extrem kurzen Zeitraum fordistischer Nachkriegsprosperität in den Kernstaaten des Weltmarkts die Rede sein denn erst hier hat sich die kapitalistische Wert- und Warenproduktion zum totalen System entfaltet. Natürlich können im langen historischen Durchsetzungsprozeß des Kapitalismus unterschiedliche Phasen gegeneinander abgegrenzt werden, die in sich keinesfalls inkohärent waren doch dies als eine Abfolge verschiedener kapitalistischer “Regulationsmodelle” zu beschreiben, trifft die Sache nicht. Es handelte sich vielmehr um verschiedene Schübe warenförmiger Durchdringung der Gesellschaft, die zunächst noch mit sehr widersprüchlichen Momenten vorbürgerlicher Vergesellschaftung durchsetzt und amalgamiert waren und durch die hindurch sich erst nach und nach so etwas wie eine originäre kapitalistische Vergesellschaftung herausbildete und konstituierte. Dieser Prozeß war übrigens durchaus nicht von Anbeginn an determiniert; es wären also auch andere Entwicklungsrichtungen und -verläufe denkbar gewesen. Dennoch reihen sich die einzelnen Perioden und Epochen keinesfalls zufällig aneinander, und je mehr historische Weichen in Richtung auf eine wert- und warenförmige Vergesellschaftung gestellt wurden, desto schwerer wurde es auch, den Zug noch einmal grundsätzlich umzulenken oder anzuhalten (3).

Lange Zeit waren die sozialen Kämpfe jedenfalls nicht solche innerhalb der kapitalistischen Warenproduktion, sondern solche dagegen Abwehrkämpfe gegen die ungeheure Zumutung, sich als Arbeitskraft verkaufen zu müssen und sich in jeder Lebensregung von der blinden Bewegung des translokalen Marktes abhängig zu machen. Dies änderte sich erst mit dem Entstehen der Arbeiterbewegung, die letztlich für die Anerkennung der Arbeiter als gleichberechtigte Waren- und Staatsbürgersubjekte kämpfte, auch wenn sie dem eigenen Selbstverständnis nach das kapitalistische System überwinden wollte. Gerade in Gestalt dieses fundamental-oppositionellen Selbstverständnisses trug sie aber wie wohl keine andere soziale Bewegung dazu bei, die kapitalistischen Lebensweisen und Identitäten (Arbeitsethik, Konsumnormen, Staatssbürger- und Nationalbewußtsein, Geschlechtsidentitäten etc.) zu vermassen und als weitgehend unhinterfragte Norm durchzusetzen. Zugleich entstand erst im Umfeld der Arbeiterbewegung beziehungsweise in Reaktion auf die von ihr geführten Kämpfe ein flächendeckendes und weitgehend kohärentes Geflecht von öffentlichen Institutionen, staatlichen Eingriffsinstrumentarien und intermediären Instanzen, die es erlauben, tatsächlich von einer “kapitalistischen Regulation” im strengen Sinne des Wortes zu sprechen. Von einer prä-fordistischen “Regulation” als eigenständigem System oder Gefüge kann also nicht die Rede sein, sondern nur davon, daß sich in den kapitalistischen Kernländern seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein “regulatives Netz” herauszubilden beginnt, das sich nach dem Ersten Weltkrieg zu einem schon weitgehend kohärenten System verdichtet (die Anfänge des Fordismus liegen bekanntlich in den frühen zwanziger Jahren) und nach dem Zweiten Weltkrieg zu seiner vollen Entfaltung gelangt. So gesehen ist aber die Krise der “fordistischen Regulation” mehr als die Krise eines spezifischen “Regulationsmodells”, auf das mit innerer Folgerichtigkeit nun halt eine anderes folgen müßte. Vielmehr handelt es sich um die Krise des einzigen Systems kapitalistischer “Regulation”, das es jemals gegeben hat. Und schon aus diesem einfachen Grund erscheint das Warten auf ein “postfordistisches Regulationsmodell” reichlich illusorisch.

Die Regulationstheorie im allgemeinen und Joachim Hirsch im besonderen grenzen sich gerne von dem ab, was sie (historischen) Determinismus nennen und bestreiten, daß es so etwas wie eine Metalogik der kapitalistischen Entwicklung über die verschiedenen “Regulationsmodelle” hinaus gibt. Der Übergang von einem “Modell” zum nächsten bleibe daher prinzipiell unbestimmt und kontingent. So schreibt etwa Hirsch: “Allen Versicherungen zum Trotz ist nach der Krise der siebziger Jahre keine neue und stabile Weltordnung, kein >Postfordismus< entstanden, geht der Kampf um die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse weiter. Dessen Ausgang ist offen. Es gibt keine einfache Logik der kapitalistischen Entwicklung, sondern diese wird bestimmt von sozialen Kämpfen und den aus ihnen hervorgehenden Kräfteverhältnissen” (Hirsch 1995, S. 183). Was aber soll das heißen: “einfache Logik”? Wogegen grenzt sich Hirsch hier ab? Einen Sinn macht seine Bemerkung doch offensichtlich nur gegenüber einer rigiden und hermetischen Strukturtheorie, die jede Möglichkeit subjektiver Einflußnahme auf den Verlauf gesellschaftlicher Entwicklungen negiert. Dem setzt Hirsch aber doch nur wieder eine vage handlungstheoretische Argumentation entgegen, die sich nicht so recht festlegen mag (was sie gegen Kritik immunisiert), zugleich aber doch eine unausgewiesene Basisstruktur voraussetzt. Unter der Hand schließt er nämlich eine ganz bestimmte Richtung der kapitalistischen Entwicklung apriori aus und unterstellt damit selbst so etwas wie eine historische Logik – ganz so “offen” ist der Horizont nun also doch wieder nicht. Wie selbstverständlich geht Hirsch davon aus, daß der Prozeß der Kapitalakkumulation prinzipiell unendlich weitergehen kann, daß er also keine inneren ökonomischen Grenzen kennt, vorausgesetzt, es findet sich, durch die entsprechenden sozialen Kämpfe hindurch, ein adäquates “Regulationsmodell”.

Wie aber begründet sich eine solche düstere und katastrophische Geschichtsphilosophie, die dem Kapital eine prinzipiell ewige innere Regenerationsfähigkeit unterstellt? Hirsch selbst bemüht sich nicht um eine schlüssige theoretische Begründung. Doch es darf angenommen werden, daß er die regulationstheoretische Krisenanalyse der späten Siebziger und frühen Achtziger voraussetzt (4), die ihrerseits auf einer verkürzten Rezeption der Marxschen Krisentheorie beruhte verkürzt deshalb, weil sie sich ausschließlich auf das Theorem vom sogenannten tendenziellen Fall der Profitrate konzentrierte, das Marx im dritten Band des Kapitals entwickelt hat. Danach kommt es deshalb zu kapitalistischen Strukturkrisen, weil im Laufe der Produktivitätsentwicklung permanent Arbeitskraft durch Sachkapital ersetzt wird (erhöhter Maschinen- und Materialeinsatz) und dadurch zugleich der durch die Arbeitskraft “produzierte” Mehrwert pro Kapitaleinheit sinkt. Anders ausgedrückt: die relative Profitabilität des Kapitals sinkt (5). Dieser säkulare Prozeß führt aber, wie Marx selbst erläutert, für sich genommen keinesfalls zu einem absoluten Zusammenbruch der Akkumulationsbewegung. Denn erstens kann er prinzipiell durch immanente entgegenwirkende Mechanismen, wie insbesondere die Erhöhung der Mehrwertrate und die Verbilligung der Elemente des Sachkapitals, gebremst oder aufgehalten werden. Und zweitens kann auch ein relativ gesunkener Profit noch Anreiz genug für eine weitere Expansion der kapitalistischen Verwertung sein. Die regulationstheoretische Krisentheorie hat sich vor allem auf den ersten dieser beiden Aspekte konzentriert und ist damit eigentlich eine Theorie darüber, wieso kapitalistische Krisen angeblich immer gelöst werden können. Ein “Regulationsmodell” hat demnach ökonomisch betrachtet den Zweck, dafür zu sorgen, daß der Fall der Profitrate unter bestimmten Rahmenbedingungen der Akkumulation aufgehalten wird. Dies funktioniert im wesentlichen über einen geregelten Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit, also etwas verkürzt ausgedrückt, über die gleichmäßige Verteilung der Produktivitätsgewinne an beide Seiten und über die Expansion in neue Produktbereiche und Regionen. Gerät jedoch dieses Gleichgewicht ins Wanken, dann kommt die strukturelle Krisenpotenz zum Ausbruch und das betreffende “Regulationsmodell” zerbricht. Die Krise dauert aber nur solange, bis sich ein neues “Modell” durchsetzt und das Spiel von neuem beginnt.

Es würde zu weit führen, diese Krisenanalyse hier im einzelnen zu kritisieren. Grundsätzlich ist jedoch anzumerken, daß sie prinzipiell ausblendet, was Marx begründetermaßen als den eigentlichen Kern des Problems benennt: den möglichen und letztlich unvermeidlichen Umschlag des Falls der Profitrate in ein Schrumpfen der Profitmasse (6). Dieser Umschlag findet allgemein gesprochen dann statt, wenn im Zuge der Produktivitätsentwicklung gesamtgesellschaftlich betrachtet absolut immer weniger Arbeitskräfte im Verwertungsprozeß benötigt werden und daher auch die in Arbeitszeit ausgedrückte Wert- und Profitmenge abnimmt. Ein solcher Krisenprozeß läßt sich nicht mehr durch die oben benannten Mechanismen entschärfen (7) und er kann auch nicht durch eine massive Vernichtung von Kapital (in einem großen Krisenschub oder durch Kriege) rückgängig gemacht werden – denn nach der “Bereinigung” würde die Verwertungsproduktion sofort wieder auf dem einmal erreichten Produktivitätsniveau einsetzen und daher nur eine geringe Zahl von Arbeitskräften absorbieren (das Beispiel Osteuropa zeigt dies überdeutlich). Daher hat er einen grundsätzlich anderen Charakter als die diversen Strukturkrisen, die die kapitalistische Warenproduktion seit ihrem industriellen Take-off durchlebt (und überlebt) hat: Er zerstört die Basis des Akkumulations- und Verwertungsprozesses selbst und damit also die basalen Voraussetzungen der kapitalistischen Produktions- und Vergesellschaftungsweise. (8)

Da Hirsch (wie die Regulationstheorie überhaupt) diese “Entwicklungsrichtung” apriori und letztlich vortheoretisch ausschließt, verbietet es sich für ihn von selbst, die Krise des Fordismus als den Ausgangspunkt einer solchen fundamentalen Krise des warenproduzierenden Weltsystems zu interpretieren und zwar auch dort noch, wo alle von ihm selbst beschriebenen Erscheinungen destruktiver Konkurrenz darauf verweisen, daß es keinen kapitalistischen Ausweg aus der Krise, sondern nur noch einen langandauernden und zunehmend brutalen Niedergangsprozeß geben kann. Zwar räumt er die prinzipielle Möglichkeit einer Selbstdestruktion des kapitalistischen Systems ein, doch hat er dabei lediglich die soziale und ökologische Katastrophik, also nur die eine Seite des Prozesses im Auge (9). Genauer gesagt: die Krise resultiert bei Hirsch unmittelbar aus dem Auseinanderdriften von ökonomischer Dynamik einerseits und sozial-ökologischem Bezugsrahmen andererseits nicht aber aus den inneren Grenzen der basalen Akkumulationsbewegung selbst. Deshalb soll sie letztlich auch politisch bewältigbar sein. Entgegen dem eigenen Beharren darauf, daß die Macht kein Zentrum habe “von dem aus die Gesellschaft gesteuert werden kann” (S. 194) rekurriert Hirsch so doch wieder auf die alte etatistische Illusion vom Primat der Politik: “Nur die Existenz der staatlichen politischen Form kann verhindern, daß ökonomische und soziale Reproduktion im Kapitalismus völlig auseinanderbrechen. Der nationalstaatliche Rahmen wird deshalb ein entscheidendes Feld der sozialen Auseinandersetzungen bleiben” (Hirsch 1995, S. 174) (10).

So mündet eine verkürzte Krisenanalyse schließlich in einem weiteren verzweifelten Politik- und Staats-Rettungsprojekt, das allerdings in seinen Konturen nicht zufällig völlig unscharf bleibt. Die scheinbare Evidenz, auf die Hirsch sich dabei stützt, daß nämlich auch im Zeitalter der Globalisierung die Staaten für die Kapitalverwertung keinesfalls überflüssig werden, sondern in gewisser Hinsicht sogar noch an Bedeutung gewinnen, weil die infrastrukturellen Bedingungen immer wichtiger werden, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ziemlich schwach. Denn die erreichte transnationale Mobilität des Kapitals schafft ja gerade die Möglichkeit, diese Bedingungen zum Schleuderpreis zu erhalten: das macht die vielbeschworene Standortkonkurrenz aus. Sicher sind auch dieser Mobilität gewisse Grenzen gesetzt, weil Verlagerungen oft nicht von heute auf morgen möglich und außerdem immer mit Kosten verbunden sind etc. Dennoch genügt der erreichte (und beständig größer werdende) Mobilitätsgrad sehr wohl aus, um die Staaten in eine brutale Dumpingkonkurrenz zu zwingen. Daß dies letztlich auch auf die betriebswirtschaftlichen Verwertungsbedingungen zurückschlagen muß (weil etwa die Staaten sich überschulden und deshalb die Infrastruktur vernachlässigen) ist zwar richtig, aber nur der Ausdruck eines unlösbaren Widerspruchs innerhalb der basalen Krisenbewegung. Die Unternehmen können nur sehr bedingt Rücksicht auf “ihre” Staaten nehmen, wenn sie in der immer schärferen Konkurrenz um die schwindende Profitmasse bestehen wollen. Insofern ist das von Hirsch konstatierte Auseinanderdriften von ökonomischer Dynamik und nationalstaatlichem Bezugsfeld keine politisch korrigierbare Oberflächenbewegung, sondern die notwendige Verlaufsform des Ausbrennens der kapitalistischen Akkumulationspotenz.

Auch wenn damit nun die Politik nicht mit einem Schlag jede Spielraum verloren hat (so wie ja auch die Akkumulationsbewegung nicht von einem Tag auf den anderen aufhört), gerät sie doch immer tiefer in einen krisenhaften Abwärtsstrudel gegen den sie substantiell nichts ausrichten kann. Es wäre daher absurd und selbstmörderisch, wenn eine emanzipatorische Bewegung versuchen wollte oder sollen wollte, gegen den Sog dieses Strudels anzuschwimmen, um kontrafaktisch so etwas wie eine neue Form von “Regulation” durchzusetzen. Sie müßte unweigerlich ertrinken. Dies heißt allerdings nicht, das Gesetz des Handelns abzugeben. Wenn Hirsch schreibt, daß die Zukunft nicht determiniert ist, sondern von sozialen Kämpfen abhängt, dann kann ich ihm darin durchaus zustimmen. Mit einer gewichtigen Einschränkung allerdings: Eine Zukunft im Rahmen von Ware und Geld, Markt und Staat kann es nicht mehr geben. Eine neue emanzipatorische Bewegung wird sich daher nur in Opposition zu den repressiven Kategorien der kapitalistischen Moderne konstituieren können. Was das im einzelnen heißen kann, wie sich also die Abwehrkämpfe gegen die destruktive Dynamik des Krisenverlaufs mit einer fortschreitenden direkten Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums verbinden lassen, ist eine Frage, die sich bisher allenfalls umrißhaft beantworten läßt. (11) Sie muß aber gerade deshalb jetzt offensiv gestellt werden, statt weiterhin die Hoffnung auf ein “postfordistisches Regulationsmodell” zu schüren.

Literatur:

Joachim Hirsch: Der nationale Wettbewerbsstaat, Berlin 1995

Joachim Hirsch/Roland Roth: Das neue Gesicht des Kapitalismus, Hamburg 1986

Kurt Hübner: Theorie der Regulation, Berlin 1989

Robert Kurz: Die Himmelfahrt des Geldes, in Krisis 16/17. Bad Honnef 1995

Ernst Lohoff: Determinismus und Emanzipation, in Krisis 18, Bad Honnef 1996

ders.: Hello Mister Postman, Krisis 20, Bad Honnef 1998

Karl Marx: Das Kapital, Band 3, Marx-Engels-Werke/MEW 25, Berlin 1986

ders.: Grundrisse der Krititk der Politischen Ökonomie, MEW 42, Berlin 1983

Fußnoten:

(1) “Bislang wird die internationale Entwicklung insgesamt eher von starken Tendenzen zu einer Renationalisierung und Regionalisierung bestimmt und erhält so einen insgesamt chaotischen Charakter. Unter den Bedingungen der jetzt beherrschend gewordenen kapitalistischen >Triade< wäre internationale Regulation von der Bereitschaft dieser drei Zentren abhängig, sich längerfristig kooperativ zu verhalten und ein entsprechend neu aufzubauendes internationales Institutionensystem gemeinsam zu garantieren. Dem steht aber die eher zunehmende Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Metropolen entgegen” (Hirsch 1995, S. 94).

(2) Tatsächlich hat sich die Regulationstheorie in den letzten zwanzig Jahren sehr weit ausdifferenziert und dabei den Begriff der “Regulation” so sehr verwässert, daß er kaum noch brauchbar ist (vgl. Hübner 1989).

(3) Weiterhin muß noch unterschieden werden zwischen der grundsätzlichen Richtung des kapitalistischen Durchsetzungsprozesses und einzelnen Entwicklungsverläufen innerhalb dieses Prozesses. Diese waren historisch sehr viel kontingenter, wenn auch nicht rein zufällig. Beispielsweise hätte die Oktoberrevolution durchaus scheitern können, allerdings war irgendeine Form nachholender Modernisierung im damaligen Rußland überfällig (vgl. ausführlicher zum Problem des historischen (In-)Determinismus: Ernst Lohoff 1996 und 1998).

(4) In dem Buch Das neue Gesicht des Kapitalismus rekurriert er (zusammen mit Roland Roth) noch explizit darauf (vgl. Hirsch/Roth 1986, S. 38).

(5) Die Profitrate (p’) bestimmt sich als Verhältnis von Mehrwert (m) und Kapital, welches sich seinerseits zusammensetzt aus Sachkapital (“konstantes Kapital” = c) und Lohnanteil (“variables Kapital” = v): p’ = m/(c+v). Vgl. dazu Kapitel 2 und 3 in Band 3 des Kapital (MEW 25) sowie zum Theorem vom tendenziellen Fall der Profitrate die Kapitel 13 – 15.

(6) Vgl. dazu insbesondere das 15. Kapitel in 3. Band des Kapitals (MEW 25) sowie das Kapitel “Fixes Kapital und Entwicklung der Produktivkräfte der Gesellschaft” in Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (MEW 42).

(7) Theoretisch läßt das absolute Schrumpfen der Wert- und Profitmasse zwar eine Zeitlang durch die Erhöhung der Mehrwertrate kompensieren, also dadurch, daß die Arbeitskräfte einen größeren Prozentsatz ihrer Arbeitszeit zur Kapitalverwertung beisteuern und also einen kleineren Prozentsatz in Form von Lohn vergütet bekommen (der allerdings aufgrund der gestiegenen Produktivität einen höheren Warenkorb repräsentieren kann). Doch diesem Mechanismus sind bei fortschreitender Produktivitätsentwicklung logisch und empirisch enge Grenzen gesetzt.

(8) Es wäre grundfalsch, sich dies als plötzlichen Zusammenbruch der kapitalistischen Reproduktion vorzustellen. Der basale Krisenprozeß beansprucht und prägt selbst eine ganze Epoche und ist übrigens in seinen Verlaufsformen keinesfalls determiniert. Ein wichtiges Moment dieses Prozesses, das ich hier nicht behandeln kann, ist übrigens die enorme Aufblähung des Kredit- und Spekulationsüberbaus. Sie stellt zunächst einmal einen Krisenaufschub dar und ist der wesentliche Grund für die scheinbare Prosperität des Kapitals in den letzten Jahren. Doch der Entwertungsdruck wurde nur zurückgestaut und wird mit potenzierter Gewalt auf Realwirtschaft, auf Sozialsysteme und Staaten zurückschlagen, wenn die Finanzmarktblase platzt (und gerade aktuell ist die Lage an den Finanzmärkten ja prekärer denn je). Auch dies wäre dann jedoch nicht “der Zusammenbruch”, sondern nicht mehr und nicht weniger als ein besonders gewaltiger Schub im säkularen Krisenprozeß.

(9) “Tatsächlich produziert die Marktvergesellschaftung in bezug auf die sozialen Strukturen einschließlich des gesellschaftlichen Naturverhältnisses mit Notwendigkeit eine Serie negativer >externer< Effekte, die auf eine nicht einmal sehr lange Sicht die natürlichen und sozialen Grundlagen der kapitalistischen Produktion weltweit in Frage stellen müssen” (Hirsch 1995, S. 174).

(10) Die lange Dauer der “fordistischen Krise” erklärt er daher auch zirkulär aus dem Fehlen eines neuen “Regulationsmodells” (und nicht etwa aus seiner Unmöglichkeit): “Diese [eine neue Regulationsweise] ist momentan nicht erkennbar, was ein wesentlicher Grund für das lange Andauern der Fordismus-Krise ist” (ebd. S. 93). Was erklärt werden soll, wird also bereits vorausgesetzt.

(11) Vgl. dazu die Aufsätze in Krisis 18 und 19.