31.12.1999 

Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte rückwärts

Von der »Neuen Arbeit« zurück zur »Alten Arbeit«

Volker Hildebrandt

»Aber es ist eine Sache, sich als etwas zu bezeichnen, eine andere Sache, es zu sein.« — Lenin

Ein Schlagwort macht die Runde: »Neue Arbeit«. Diesseits und jenseits des großen Teiches schenkt die Presse diesem unter dem englischen Begriff »New Work« bekannten Konzept große Beachtung. In der US-amerikanischen Lokalpresse wird der Begründer und Spiritus rector von »New Work«, Frithjof Bergmann, wohlwollend als Prophet einer neuen Arbeitsordnung, die die Menschen von zwei Jahrhunderten der Job-Sklaverei befreit, präsentiert (vgl. Ricci 1993). Für Die Zeit sind einige »New Work«-Projekte Anlaß, die »Zeit für die dritte Revolution« herannahen zu sehen (vgl. Martens 1994).

»New Work« ist ein Ansatz, bei dem der emanzipatorische und zukunftsweisende Anspruch leicht in sein Gegenteil umschlägt. Einerseits geht es Bergmann nicht um die reflexhafte Wiederholung der von so gut wie allen Bevölkerungsschichten und politischen Richtungen bemühten Parole »Arbeit, Arbeit, Arbeit«. Aus gutem Grund will er nichts von der Wiederherstellung der alten Lohnarbeitsnormalirät wissen: »Die Geschichte brachte … unter der Tyrannei der Arbeit die Sklaverei für alle. Wir wollen den langen Marsch in diese Richtung umstoßen … Das menschliche Leben unter das Arbeiten für Löhne unterzuordnen, könnte das letzte Glied in einer Kette von Unterwürfigkeiten sein; wenn diese zerbrochen wird, könnte die Erhöhung des menschlichen Lebens wieder am Ende stehen« (Bergmann 1977, S. 230).(1)

Bergmann, der übrigens Philosophieprofessor an der University of Michigan ist, will die Welt nicht nur verschieden von landläufigen Dogmen interpretieren, nein, er will sie verändern – und das, so sein Anspruch, jenseits der Sklaverei der alten Lohnarbeit. Doch andererseits demonstriert er, wenn auch ungewollt, worin ein praktisch werdender Veränderungswille, der vor einer Kritik der Warenform zurückschreckt, jederzeit münden kann: in die Wiederherstellung oder gar Verschlimmbesserung der unzureichend kritisierten Verhältnisse.

Es gibt einige hoffnungsvolle »New Work«-Projekte (insbesondere in der Bundesrepublik), die das warenproduzierende System kritisieren und erste Schritte zu neuen Reproduktionsformen unternehmen. So die Bremer Commune, in der Kooperativarbeit erprobt wird: »Ausgehend von den (Grund-) Bedürfnissen werden basisdemokratische Absprachen über Produktpaletten, sinnvolle und notwendige Arbeit und Arbeitsorganisation getroffen und umgesetzt.« In Köln gibt es seit 1998 ein Institut für Neue Arbeit, das sich für »selbstbestimmtes, gemeinwesenorientiertes, umweltverträgliches Wirtschaften und Arbeiten jenseits von marktwirtschaftlichen Zwängen, staatlicher Bevormundung und patriarchalischer Arbeitsteilung, kurz… NEUE ARBEIT« stark macht.(2)

Die marktwirtschaftskritischen Projekte sind allerdings eindeutig in der Minderzahl und haben zudem häufig noch keine längere Erfahrung. Überwiegend hat Bergmanns Ansatz in seiner warengesellschaftlichen Verfangenheit marktwirtschaftsfixierte Projekte hervorgebracht. Der Hamburger Arbeitskreis Lokale Ökonomie, der sich grundsätzlich positiv auf »New Work« bezieht, benennt die Schwächen dieses Konzepts, wie es sich gegenwärtig darstellt: »Es verzichtet völlig auf eine Waren- und Geldkritik und setzt stark auf einen reformwilligen Teil von Privatunternehmen und Banken. Das halten wir für illusionär.« Bergmann selbst sagt, daß es bislang noch »kein Vorzeigeprojekt« gibt, »das beweist, daß es [die Umsetzung seiner Utopie; V H.] tatsächlich geht« (Bergmann 1998a), und beschreibt die derzeitigen Projekte nur als die »erste Phase«. Soll das ernstgenommen werden, dann muß die jetzige »New Work«-Realität schonungslos kritisiert werden, damit sich zeigen kann, ob die weiteren Phasen mit dem (bislang bloß formulierten) Anspruch auf Emanzipation von der Lohnarbeit ernst machen können.

Eine Kritik am »New Work«-Ansatz steht vor dem grundlegenden Problem, daß es kein theoretisches Werk gibt, auf das sich bezogen werden könnte. Die einzige Theoriearbeit von Bergmann, »On Being Free«, stammt aus den siebziger Jahren, lange vor der eigentlichen Entwicklung des »New Work«- Konzepts. Die »New Work«-Theorie hat mehr mit Alltagsphilosophie und dem berühmt-berüchtigten gesunden Menschenverstand denn mit systematischer und kohärenter Theoriebildung zu tun. Zum großen Teil ist sie in Vorträgen von Bergmann sowie aus der Praxis bestimmter Projekte heraus entwickelt worden. Diese theoretische Vagheit ist auch dafür verantwortlich, daß sich sowohl neoliberale Scharfmacher als auch schärfste Kapitalismuskritiker als »Neue Arbeiter« begreifen können. Deshalb heißt Auseinandersetzung mit »New Work« in erster Linie Kritik an der Praxis und den (Alltags-)Bewußtseinsformen von Bergmann und den Projektteilnehmern.(3)

Von zentraler Bedeutung ist für Bergmann der Begriff der Freiheit. In »On Being Free« schreibt er, Freiheit könne nur daraus entspringen, daß der Mensch sein Selbst, mithin ein Bild von der eigenen Identität schafft und dieses verwirklicht. Elementar ist demnach der identifikatorische Bezug des Individuums auf die eigene Lebenspraxis. Ein Selbst besitze sich und sei insofern nur dann frei, wenn es als handelndes sich mit den grundlegenden Elementen seines Tuns identifizieren könne. Daraus folgt für Bergmann nicht, daß die Masse der allerorts erbittert um ihren Arbeitsplatz kämpfenden Lohnarbeiter frei sei. Er hat den Begriff des »wirklich, wirklich wollen« geprägt und will damit sagen, daß nicht jede zur Schau getragene Identifikation mit einer Tätigkeit kurzerhand als das zu nehmen ist, als das sie sich ausgibt. Wiewohl die meisten Menschen auf den ersten Blick ihre Integration in das kapitalistische Beschäftigungssystem wollen, ist diese Identifikation nach Bergmann trügerisch, denn sie wollen gerade die Verhältnisse, die eine wirkliche Identifikation mit der eigenen Tätigkeit unmöglich machen und die zugleich dafür verantwortlich sind, daß die Menschen unter der »Armut der Begierde« (ein von Bergmann favorisierter Ausdruck) leiden. Bergmann spricht von der Verarmung und partiellen Abtötung der Fähigkeit zum Wünschen, Herausfinden und Benennen-Können dessen, was die Menschen »wirklich, wirklich wollen« könnten.

Vorbereitung auf den Job-Krieg

Wie wird die Idee des »wirklich, wirklich wollen« in die Praxis übersetzt? Verstanden wird »New Work« von seinen (in diesem Fall kanadischen) Praktikern als neue Art des Denkens über Arbeit: »Es ist ein positiver Weg, das eigene Leben zu organisieren, indem man eine Arbeit schafft, die relevant und bedeutungsvoll für das Individuum ist, mit Zeit für DOING WHAT YOU LOVE.« Unter kapitalistischen Verhältnissen jedoch, wo die Menschen sich in der grundlegenden Tendenz zu sich selbst und zueinander äußerlich und instrumentell verhalten, haftet der Rede vom »DOING WHAT YOU LOVE« notwendig etwas Phantastisch-Suggestives an – ganz wie einer Formel aus der Welt der Reklameindustrie. Letztlich verklärt sie den Zwang, seine Haut zu verkaufen, und stilisiert ihn zur Selbstverwirklichung auf dem Markt und mit den Mitteln des Marktes, ungeachtet dessen, daß die Entstehung eines Selbst, das diese Bezeichnung verdient, durch die Entäußerung der eigenen persönlichen Potentiale verunmöglicht wird. Denn die heilsame Wirkung des »wirklich, wirklich wollen« soll sich nach der »New Work«-Theorie ja gerade nicht im bedeutungslosen Müßiggang, sondern in der Arbeit entfalten (deshalb auch »Neue Arbeit«). »Der Kerngedanke von Arbeit ist nicht, daß ich für andere arbeite, sondern ich arbeite für mich. Ich tue etwas, an das ich glaube, oder tue etwas, das mir richtig erscheint oder das ich realisieren möchte. Das ist der Kern der Neuen Arbeit: Arbeit von sich heraus, aus dem Wirklich-Wollen« (Bergmann 1998b). Für viele »New Work«-Aktivisten und letztlich auch für Bergmann ist das ein Heilsversprechen, für dessen Verwirklichung es keiner grundlegenden Transformation der sozialökonomischen Verhältnisse bedarf; vielmehr wird die Frage der Realisierung dieser Art der Selbstschöpfung in der Arbeit auf ein Problem der Innerlichkeit und des einsamen Subjektes, das für sein Geschick ganz allein verantwortlich zu sein scheint, reduziert. Eine Projektanleiterin brachte es auf die Formel: »Der Kern von >New Work< ist, sich der Freiheit und der persönlichen Erfüllung, welche nicht von Veränderungen der äußeren Umstände abhängen, zu widmen.«

Das derzeitig dominierende Verständnis von »New Work« könnte somit auf eine Verkaufsstrategie für die Aktivisten hinauslaufen, auf ein (nicht unbedingt bewußt veranstaltetes) Marketing für die eigene Verwertbarkeit auf dem deregulierten Arbeitsmarkt. Denn dort ist ja längst nicht mehr der fordistische Lohnarbeitertypus gefragt, der zwar mit Zähnen und Klauen seine Arbeit verteidigt, sie aber dennoch eher, mehr oder minder bewußt, als ein unvermeidliches Übel, als Mittel für die Existenzsicherung betrachtet. Diese reservierte Haltung ist heute nicht mehr gefragt; der Arbeitsmarkt hat sich zum totalen Persönlichkeitsmarkt fortentwickelt, auf dem ein brutaler Wettkampf um das arbeitsträchtigste Image der Arbeitskraftanbieter tobt. Erwünscht ist die hundertprozentige Identifikation mit der Arbeit, eben: »DOING WHAT YOU LOVE« oder im Klartext: das zu lieben, was man tun muß, und sich auch gar nicht mehr anders vorstellen zu können. In diesem Sinne drückt die ohne jeden Anspruch auf Gesellschaftskritik formulierte Bilanz eines Projektteilnehmers, wonach das »New Work«-Projekt »uns vorbereitet hat für den Job-Krieg«, eine gewisse Wahrheit aus. Ein anderer Teilnehmer weiß von dem Nutzen von »New Work«-Projekten folgendes zu berichten: »Die Leute haben gelernt, wie man am besten in der Gesellschaft funktioniert.«

Es kann so nicht verwundern, daß zuweilen gerade Unternehmer ein besonderes Interesse am »New Work«-Ansatz und an der Einführung darauf beruhender Konzepte in ihren Betrieben haben. Ein erfolgreicher mittelständischer Unternehmer aus den USA erklärte seinen Enthusiasmus für »New Work« unter anderem so: »>New Work< hat nichts mit dem alten Fordismus und seinen Prinzipien von starker Regulierung, Jobsicherheit und dem Arbeiten-nur-für-das-Geld zu tun. >New Work< bedeutet die Schaffung einer neuen Umgebung für die Arbeit: Kreativität, Unabhängigkeit und Motivation der Arbeitenden.« Die Fragen, ob »New Work« dem Konzept des »Lean Management« (Abbau des mittleren Managements und stärkere Eigenverantwortung der Betriebsbasiseinheiten) verwandt und ob der Sinn von »New Work« die Verbesserung des »Humankapitals« sei, wurden bejaht. Bedarf es noch der Erwähnung, daß solche überzeugten und leidenschaftlichen »New Work«-Unternehmer wohl kaum die von Bergmann gelegentlich verkündete Perspektive einer Emanzipation vom kapitalistischen Beschäftigungssystem teilen, sondern das ganz banale Ziel einer betriebwirtschaftlichen Rationalisierung im Auge haben?

Ist es bei alledem verwunderlich, daß Bergmann häufig weniger als Vertreter einer Utopie von einer lohnarbeitsfreien Gesellschaft wahrgenommen wird, sondern viel eher als ein Diagnostiker, der weiß und verkündet, wohin sich ein entfesseltes kapitalistisches Arbeitssystem entwickeln wird? Der Wissenschaftler Michael Kent, in dessen Universitätsbüro ein großes Poster mit einem Bild von Bergmann hängt, sagt zu »New Work«: »>New Work< ist ein Teil von dem, was die Zukunft der Arbeit ist.« Kurzum: »New Work« ist ein bloßer Abdruck des globalisierten und deregulierten Krisenkapitalismus und seiner blinden Dynamik.

Das Schicksal vom »wirklich, wirklich wollen«

Bergmanns Idee vom »wirklich, wirklich wollen«, eine Idee, die er vorzugsweise mit der religiösen Kategorie des »Calling« (Berufung) beschreibt, ist dem Anspruch nach nicht fixiert auf das Trugbild einer »Selbstverwirklichung« in der Lohnarbeit. Hier gibt es Diskrepanzen zwischen den Vorstellungen einiger »New Worker« und ihrem Vordenker. Das Handeln nach der eigenen Berufung soll, nach Bergmanns Überlegungen, hauptsächlich außerhalb der Job-Arbeit stattfinden. Deswegen setzt er auf die möglichst drastische Verkürzung der Arbeitszeit und ist einer der engagiertesten Befürworter von Jobkiller-Technologien.

Bergmann reflektiert also die Krisenentwicklung des Kapitals, insofern er sich vom Ziel der Vollbeschäftigung und des Normalarbeitsalltags für jederMann verabschiedet. Damit Einzelkapitale aber unter den Bedingungen der betrieblichen Vernichtungskonkurrenz überleben und, so wohl die versteckte Hoffnung, zumindest in ihrem Standortwirkungskreis »Callings« ermöglichen können, dient sich »New Work« der Logik und den Zwängen der betriebswirtschaftlichen Rationalität an: »Im Kern und im Ansatz von dem, was ich unter >Neuer Arbeit( verstehe, ist verankert, daß das gleichzeitig besser für Unternehmer ist und besser für die Arbeitenden. … eine >win-win-Lösung< … Denn die Produktivität ist zunehmend verknüpft mit Ideen haben, mit Innovation, mit fortschrittlich sein, mit sich schnell entwickeln können. Das kann nur ein Betrieb, in dem die Leute verhältnismäßig frei arbeiten« (Bergmann 1998b).

Nomen est omen: Die Kategorie des »Calling« ist, wie Bergmann mit einem gewissen Stolz öfter betont, calvinistischer Provenienz. Insofern kann »New Work« einerseits als Schützenhilfe für kranke Männer am Weltmarkt begriffen werden, als Wiederbelebung protestantischer Arbeitsethik, unter freilich neuen Vorzeichen. Andererseits scheint sich »New Work« als Versuch eines neuen Management-Konzeptes herauszukristallisieren. Mit mindestens zwei Schritten wird so der erste Schritt gegen die Lohnarbeit hintertrieben: von der »Neuen Arbeit« zur Verteidigung des in die Krise geratenen Lohnarbeitsverhältnisses.

In der Praxis hat das »Calling« freilich keine wirkliche Chance, weil im Zeichen immer schärferer Konkurrenz aller Wahrscheinlichkeit nach wohl nur sehr wenige Unternehmen auf die Segnungen der (gar nicht so neuen) »Cow Sociology«, der Steigerung des Melkertrages durch das Glücklichmachen der Arbeitskühe, setzen werden. In den letzten 15 Jahren gab es so gut wie keine Unternehmen, die auf breiter Front und dauerhaft Raum für »Callings« im Sinne der Bergmannschen Idee geschaffen haben. Charakteristisch ist, was ein jahrelanger »New Work«-Aktivist und -Kenner aus den Vereinigten Staaten von Amerika sagt: »Bergmann spricht gelegentlich von künftigen Projekten, als ob sie bereits völlig umgesetzt seien.«

Sogar in den meisten Betrieben, die reine »New Work«Projekte sind (wo also nicht in einen bereits existierenden Betrieb im nachhinein »New Work«-Organisationskonzepte eingeführt wurden), spielt das »Calling« eine marginale Rolle. Im Living Wall Garden Project in Vancouver, nach Bergmann das Vorzeigeprojekt des »New Work«, gab es in einer Fünftagewoche gerade mal einen Tag, an dem die Teilnehmer aufgefordert waren, sich um ihre »Berufung« zu kümmern. Dabei ist es Bergmann selbst, der immer wieder zu Recht betont, daß man nicht an einem Tag in der Woche das herausfinden und machen kann, was man »wirklich, wirklich will«. Deswegen propagiert er längere Auszeiten (ein halbes Jahr oder mehrere Jahre) von der Lohnarbeit. Das Problem ist nur, daß die »New Work«-Projekte entweder von Sponsoren oder häufiger noch, wie auch in diesem speziellen Fall, von staatlicher Unterstützung abhängig sind. Der Glaube, es solchen Geldgebern, deren Hauptkriterium für die Vergabe von Geldern die ökomomische Effizienz ist, schmackhaft machen zu können, im großen Stile die humanistische Selbstverwirklichung des Individuums zu finanzieren, mutet, bei allem Respekt vor den Motiven eines solchen Wunschglaubens, naiv an. Der Versuch, diesen Glauben in Realität zu überführen, dürfte sich als ein donquichotteskes Unterfangen erweisen. Besagtes Projekt (mit einem Berufungskonzept auf Sparflamme) hat es mal gerade zu einer Finanzierung für ein knappes Jahr (1997) gebracht, und selbst mit diesem äußerst limitierten Rahmen gilt es noch als einer der wenigen leuchtenden Sterne am »New Work«-Himmel.

Letztlich scheitert das Berufungskonzept auch und gerade an seiner inneren Widersprüchlichkeit. Die contradictio in adjecto heißt »Paid Calling«. Dahinter verbirgt sich nicht bloß die direkte und indirekte, die staatliche und privatwirtschaftliche Subventionierung von Nischen für die Realisierung der eigenen »Berufung«, also nicht bloß ein philanthropisches Goodwillprodukt warenförmiger Verhältnisse. Sondern »wirklich, wirklich wollen« und Warenproduktion werden ganz unmittelbar zusammengedacht. Allen Ernstes und in aller Unschuld stellt Bergmann es als »Vorzeigebeispiele« dar, daß ein General-Motors-Arbeiter bei dem »HerausArbeiten« seines »Callings« zum Bestseller-Autor avanciert ist, ein anderer ein Yoga-Studio aufgemacht hat.

Der Erfolg auf dem Markt, der Erfolg, seine Fähigkeiten als Kleinunternehmer gewinnbringend zu verkaufen, wird auf diese Weise unterderhand als ein Kriterium für die menschliche Selbstverwirklichung eingeführt. Das Problematische an dieser Art von »New Work«-Humanismus besteht nun nicht darin, daß die Humanisten sich eine Finanzierungsgrundlage beschaffen müssen – das mußten sie seit eh und je; darüber hinaus findet hier jedoch eine Angleichung des Ideals an die Realität statt. Mithin gerät die »Selbstverwirklichung« des Individuums zu einer bloßen Angelegenheit des Homo oeconomicus. Statt spannungsvoller Distanz zur kapitalistischen Wirtschaft, die der klassische Humanismus immerhin noch besaß, das totale Abmarkten der eigenen Person; statt des hehren Zieles der »Vervollkommnung der Menschheit« die bornierten Partikularinteressen des Warensubjekts. Das Ideal verdoppelt also die Realität und verschlimmert sie auf diese Weise noch, denn der Zwang, sich auf dem Warenmarkt zu entäußern, wird direkt idealisiert und habituell zementiert. Der Unternehmer Harrison James, Anleiter verschiedenster kanadischer »New Work«Projekte und nach Bergmann einer der fähigsten »New Work«Mentoren, brachte die Maxime von »New Work« auf die unvergleichliche, atemraubende Formel: »Sieh dich selbst als ein Unternehmen, mache dich selbst zu einem Unternehmen.« Born to be a business, zu nichts anderem berufen als zum Markt, Berufung ade.

Kreuzzug für das Business

Bergmann gibt sich zwar als Kritiker der Lohnarbeit: »Im Kern der Erwerbsarbeit steht der Akt des Mich-Verkaufens, ich behandele mich wie ein Stück Ware. Ich stelle mich auf einen Block wie ein Sklave und hoffe, daß irgend jemand mich kauft … Für mich ist der Unterschied zwischen Sklavenarbeit und Erwerbsarbeit nicht so schrecklich groß« (Bergmann 1998b). Aus der Infragestellung des Zentrums der kapitalistischen Gesellschaft folgt aber keine Zukunftsvision jenseits dieser Form gesellschaftlicher Organisation: »Ich bezeichne das als ideologisch, wenn man denkt, das Geld ist irgendwie vom Teufel, der Markt ist vom Teufel, man muß sich davon befreien, und man muß direkt miteinander kommunizieren; außerdem ist das utopisch im schlechten Sinn von Utopie: ich finde, eine wirkliche Wirtschaft ohne Geld aufzubauen, ist einfach eine Rückkehr und nicht möglich« (ebenda). Was kann das aber für eine Gesellschaft sein? Ohne Lohnarbeit, aber auch ohne die direkte und freie Verabredung der assoziierten Menschen über die Inhalte und Zwecke gesellschaftlichen Produzierens? Die bisherige »New Work«-Entwicklung hält als Antwort auf diese Frage in der Konsequenz letztlich nur eine ungeheuer regressive Utopie bereit: die totale Marktgesellschaft, in der jeder »wirklich, wirklich« sein eigenes Business sein »will«. Doch genau das ist Rückkehr, und zwar in eine grauenhafte kleinunternehmerische Phantasiewelt.

Zu einem in den USA entworfenen »New Work«-Lehrprogramm für junge Leute gehören dementsprechend die Lehreinheiten »Starting A Business« und die Erziehung zum »Karriere-Unternehmer«. Auch wenn an die Gemeinschaft gedacht und etwas für die eigene Gemeinde getan werden soll, stets ist der Ausgang das sich als sein eigenes Unternehmen konzipierende Individuum. Solche rückwärtsgewandten »Utopien« finden einigen Anklang, denn solche Unternehmerorientierung läßt hoffen, wo es längst nichts mehr zu hoffen gibt. Vor allem bei denjenigen, die der Weltmarkt in seiner krisenhaften Entwicklung zu Verlierern degradiert hat, erscheint »New Work« als rettender Anker, um sich doch noch einmal so einrichten zu können, daß die Existenz als Warensubjekt ja nicht in Frage gestellt wird. In einem der ärmsten Schwarzenghettos der USA, in der Detroiter Eastside, verspricht ein »Unternehmensentwicklungszentrum«, ein »New Work«-Zentrum, an das Bergmann seine größten Hoffnungen der nächsten Zukunft knüpft, den Bewohnern: »Die New Work-Philosophie spricht schlechtbezahlte, unausgebildete Arbeiter an und gibt ihnen die Gelegenheit, besser entlohnte Unternehmenseigentümer zu werden.«

Die Idee des »Calling« bleibt dabei selbstverständlich auf der Strecke. Die Leiterin des Detroiter Zentrums hat bislang hundert Anwärter auf das freie Kleinunternehmertum betreut; für sie zählt dabei die Bergmannsche Idee, das zu machen, wozu man sich berufen fühlt, lediglich, insofern sich damit auch wirklich eine Geschäftsidee verbinden läßt. Aus dem »Calling« wird so die Suche nach der Marktnische. Das beliebteste Geschäft ist die »Kinderaufsicht und -betreuung«. Tragisch ist dabei nicht nur, daß dies offensichtlich nicht die Befreiung der bislang unterdrückten Möglichkeiten des einzelnen und keine allseitige Entfaltung des Individuums bedeutet. Darüber hinaus werden Strukturen der lokalen Selbsthilfe und Nachbarschaftlichkeit, die bereits existieren oder noch entstehen könnten, von vorneherein in die Zwangsjacke der Marktvermittlung gepreßt. Auf diese Weise wird auch an den Orten, an denen der Weltmarkt längst unwiderruflich vorübergezogen ist, die Möglichkeit einer Befreiung von den warengesellschaftlichen Zwängen blockiert. Denn die Fixierung auf den Markt bleibt – ohne daß sich seine Segnungen einstellen werden -, und die Suche nach neuen emanzipatorischen Wegen wird verhindert.

Wird die konkrete Arbeit vieler »New Work«-Projekte in Augenschein genommen, so läßt sich feststellen, daß hier – trotz des rechtlichen Nonprofit-Charakters – alles getan wird, damit in den (und statt der) Menschen die Ware denkt. Meistens überreicht die Detroiter Zentrumsleiterin ihren Klienten als erstes eine einschlägige Unternehmerzeitschrift, damit sie lernen, »die Welt des Business zu entdecken«. Bei dem ersten »New Work«-Vorzeigeprojekt in Vancouver, ein Projekt, bei dem »Jugendlichen der Geist und die Praxis des Unternehmertums beigebracht« werden sollte, bestanden zwei Drittel der Arbeit aus »Business Workshops« und »Lifeskills Workshops« (also Workshops für »Lebenskompetenzen«). Workshops dieser Art versuchen auf jeweils eigene Weise die psychostrukturellen Voraussetzungen für den Eintritt und das Bestehen des einzelnen im »Job- und Unternehmerkrieg« zu schaffen; beispielsweise Workshops zum »Ärger-Management« und »Streß-Management«. Allein schon der Begriff »Management« spricht Bände, weist auf den instrumentellen Charakter der vermittelten »Lebenskompetenzen«, auf die Selbstzurichtung des Individuums hin – das betriebliche Kommandoregime optimaler Vernetzung lebendiger Menschen dient als Vorbild für das Verhältnis des »New Work«-Individuums zu sich selbst. Einige Aktive des zweiten Vancouver-Projektes versuchten – einem Vorschlag von Bergmann folgend -, nach Ende der Förderungszeit aus dem gemeinnützigen Unternehmen ein profitables zu machen. Die Unternehmensgründung scheiterte nach wenigen Monaten.

Bergmann sollte an seine eigenen Worte erinnert werden: »Junge Menschen zu ermutigen, ganz auf sich gestellt one-persons businesses zu gründen … erinnert mich an die Kinderkreuzzüge im Mittelalter, auf denen Tausende … zur >Befreiung< des Heiligen Grabes ausgeschickt und auf dem Weg niedergemetzelt wurden« (Bergmann 1996). Junge Menschen zu ermutigen, group businesses zu gründen, macht aber aus einem (Markt-) Kreuzzug noch keine Wallfahrt. Darüber hinaus: Was Bergmann zu Recht als Kreuzzug geißelt, ist das, was das von ihm getragene Detroiter Zentrum Tag für Tag macht.

Bedeutungslosigkeit von High-Tech Selfproviding

Ein zentrales Element des »New Work«-Konzepts, das in emanzipatorischer Hinsicht durchaus zukunftsträchtig erscheinen könnte, ist das »High-Tech Selfproviding«, die Selbstversorgung auf hohem technologischem Niveau. Die dahinterstehende Idee ist, sich zumindest stückweise sowohl vom Zwang des Sichverkaufens als auch von subsistenzwirtschaftlicher Plackerei mit handwerklich-bäuerlichen Mitteln zu befreien. Eine Produktion für den eigenen Bedarf, von assoziierten Individuen eigenständig geplant und unternommen, folgt einem grundlegend anderen Prinzip als dem des Marktes; wenn dabei zudem versucht wird, den erreichten Stand der Produktivkraft zu bewahren, dann birgt das den Keim einer höheren Form der Vergesellschaftung. Nur wird dieser Ansatz in der vorherrschenden »New Work«-Ideologie und -Praxis im Prinzip gar nicht ernstgenommen.

Für den großen Teil der »neu arbeitenden Klasse« zählt – im Unterschied zu Bergmann – Produktion für den Eigenbedarf nicht. Gezählt werden vielmehr die marktbezogenen Möglichkeiten, mit den eigenen Ressourcen und eigenen Produkten im verschärften allgemeinen Wettbewerb sich und den eigenen Betrieb am Leben zu erhalten. Für einen kanadischen »New Work«-Mentor und Unternehmer, wohnhaft in einer berükkenden Landschaft, bedeutet Selbstversorgung, daß er neuerdings seine Garage an Urlauber vermietet. »Selfproviding« und warenförmige Reproduktion sollen zusammengeführt werden, wo es nur geht. Dies war auch schon bei den »New Work«-Projekten in Vancouver der Fall: Aus der staatlich finanzierten Bepflanzung von Biocontainern sollte ein Geschäft werden, die mögliche Reduzierung der eigenen Lebenshaltungskosten durch den Anbau von Nahrungsmitteln war dagegen kein Thema. Noch drastischer ist Bergmanns Vorzeigebeispiel von »High Tech Selfproviding«, bei dem ein Mitarbeiter einer Kirche an einem heiligen (oder besser: entweihten) Ort via Internet-Recherche Warenkonsumenten berät, wo sie am günstigsten ihr Geld ausgeben können. Daß Bergmann hin und wieder in einem Atemzug »das Aneignen, das Einkaufen« (Bergmann 1994) sagt, zeigt, wie wenig er genuine Reproduktionsformen jenseits der Akte des Kaufens und Verkaufens überhaupt für möglich hält und warum diese Formen im »New Work«-Konzept auf die Bereiche beschränkt bleiben, in denen sie unvermeidlich sind.

Außerhalb der programmatischen Erklärungen spielt wirkliche Selbstversorgung in der »New Work«-Bewegung in ihrer derzeitigen Verfaßtheit so gut wie keine oder zumindest eine äußerst nachrangige Rolle. Der Umfang tatsächlicher Eigenarbeit ist weit, im Grunde Lichtjahre von dem entfernt, was Bergmann als sein Konzept bezeichnet, nämlich ein Drittel der Lebenstätigkeit. Es ist nicht untypisch, daß bei Teilnehmern von »New Work«-Projekten das »Selfproviding« privat betrieben wird und mehr oder minder die Gestalt eines Hobby-Agrarwesens annimmt. Genausowenig untypisch: Bei einem Zweig eines sehr großen US-amerikanischen Nonprofit-Unternehmens, das mit über dreihundert Leuten arbeitet, hat das »Selfproviding« ein Ausmaß, das auf dem Balkon eines Ein-Personen- oder WG-Haushaltes Platz fände.

Einen Bereich der Eigenarbeit gab es im Kapitalismus schon immer. Seine Funktion war und ist die Bereitstellung von Vorund Ergänzungsleistungen für die Verwertung der Lohnsklaven. (Es ist nicht verkehrt, in diesem Fall bei der Bergmannschen Begriffsbildung zu bleiben.) Nicht erkennbar ist, wieso sich mit »New Work« daran etwas ändern sollte.

Vorzuwerfen ist dem »New Work«-Ansatz nicht, daß er noch nicht in großem Umfang Ansätze neuer Reproduktionsformen jenseits des Kapitalismus geschaffen hat. Das wäre der zweite Schritt vor dem ersten. Vorzuwerfen ist ihm aber die weitgehende Kritiklosigkeit gegenüber den warengesellschaftlichen Prinzipien und Funktionsmechanismen, die von vornherein die Perspektive eines Aufbaus »wirklich wirklicher« gegengesellschaftlicher Strukturen blockiert. Noch ist das letzte Wort über »New Work« nicht gesprochen. Es handelt sich insgesamt um eine offene und dialogbereite Bewegung auf der Suche. Die von mir formulierte Kritik soll keine Schmährede auf einzelne Personen sein – viele Kritisierte werden von mir als Persönlichkeiten sehr geschätzt -, sondern zielt auf die häufig ungewollte Verkehrung emanzipatorischer Absichten und Zwecke in ihr Gegenteil. Diese Tendenz wurde gezeigt, weil sie die vorherrschende ist. Das muß nicht so bleiben. Gleich, ob es sich um die Bremer Commune, den Hamburger Arbeitskreis Lokale Ökonomie oder das Kölner Institut für Neue Arbeit handelt, es gibt Teile in der »New Work«-Bewegung, die die emanzipatorischen Ansätze von »New Work« radikalisieren und weitertreiben wollen. Viel Anstrengung wird noch nötig sein, damit ihnen die Zukunft gehört.

Literatur

Bergmann, Frithjof (1977): On Being Free, Notre Dame, London

Ders. (1994): Arbeitslosigkeit durch Automatisierung – Neue Arbeitszeitmodelle, unveröffentlichtes Manuskript eines transkribierten Tonbandmitschnittes

Ders. (1996): New Work in Practice. A Sketch for a Possible New Work Project for Young People in British Columbia, in: http://freenet.van couver.bc.ca/newwork/practice.htm

Ders. (1998a): Im Interview, in: Frankfurter Rundschau vom 21. November

Ders. (1998b): Im Interview: »Wir verbrennen Geigen, um Dampfmaschinen anzuheizen … «, in: Contraste vom Juni

Martens, Erika (1994): Zeit für die dritte Revolution, in: Die Zeit vom 18. März

Ricci, James (1993): Philosopher of the New Work order, in: Detroit Free Press vom 28. März

Fußnoten

(1) Das vorliegende Zitat ist eine für diesen Artikel eigens vorgenommene Übersetzung des auf Englisch erschienenen Textes. Da das meiste in diesem Essay Zitierte nur in englischer Originalversion vorliegt, wurde alles übersetzt. Im weiteren Text wird darauf nicht mehr verwiesen.

(2) Die Zitate sind Selbstdarstellungen der Projekte entnommen.

(3) Die kapitalismuskritisch ausgerichteten Projekte werden hierbei nicht erörtert.