02.05.2015 

Eine Frage der kapitalistischen Logik

Ein Interview von Joachim Wille mit Norbert Trenkle.

Der Ökonom Norbert Trenkle spricht im Interview mit der Frankfurter Rundschau über das Ende der Arbeit.

Herr Trenkle, Sie haben das „Ende der Arbeit“ vorausgesagt. Was soll das heißen?
Eigentlich müssen wir eher von eine Krise der Arbeit sprechen, und zwar von einer grundlegenden Krise, die höchst widersprüchlich verläuft. Auf der einen Seite wird aufgrund der hohen Produktivität immer mehr Arbeit wegrationalisiert. Auf der anderen Seite bleiben aber die meisten Menschen darauf angewiesen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um davon zu leben. Dadurch wächst die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt, und das verstärkt den Druck, sich zu immer schlechteren Bedingungen anzubieten.

Roboter statt auskömmlicher Jobs – ist das der Horror oder das Paradies?
Das kommt darauf an. Unter kapitalistischen Bedingungen führt die technologische Entwicklung dazu, dass immer mehr Menschen für die Warenproduktion überflüssig werden und ihnen deshalb nur die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit oder prekärer Arbeit bleibt. In einer befreiten Gesellschaft hingegen könnte die hohe Produktivität genutzt werden, um allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen und um auf ökologisch verträgliche Weise zu produzieren.

In den letzten Jahren erleben wir ein zunehmendes Auseinanderklaffen in der Gesellschaft, auch im Arbeitsleben. Es gibt gut verdienende Profiteure des Systems, und andere, die im schlimmsten Fall gar nicht mehr gebraucht werden. Was sind die Gründe dafür?
Das liegt daran, dass die kapitalistische Dynamik heute nicht mehr auf der Massenarbeit in der Industrie beruht, sondern sich der Schwerpunkt auf die Finanzmärkte und die Sektoren der Wissensproduktion und -anwendung verlagert hat. Wer hier arbeitet, unterliegt zwar auch dem permanenten Druck der Leistungsverdichtung und Beschleunigung, wird aber zumindest gut dafür bezahlt. Die Masse der restlichen Arbeitskraft-Verkäufer muss sich dagegen um die Jobs balgen, die nicht unbedingt „systemrelevant“ sind. Ob nun als Verkäuferin oder Paketbote sind sie dazu gezwungen, sich halb tot zu arbeiten, weil sie sonst nicht über die Runden kommen.

Hilft da ein Mindestlohn?
Der Mindestlohn bremst diese Überausbeutung ein Stück weit. Es zeichnet sich aber jetzt schon ab, dass er in breitem Maßstab umgangen wird. Und weil im prekären Sektor der Konkurrenzdruck besonders groß ist, wehren sich viele Betroffene nicht.

Oder ist ein bedingungsloses Grundeinkommen besser?
Es könnte zur Entlastung vom allgemeinen Arbeitszwang führen, vorausgesetzt, es reicht wirklich zum Leben. Dann würde es auch Spielräume eröffnen, um für gesellschaftliche Alternativen zu kämpfen.

Sollten die Wochenarbeitszeiten gesenkt werden? Samstags, dienstags und donnerstags gehört Papi mir?
Klar. Es wäre völlig richtig, die enormen Rationalisierungseffekte in verfügbare Zeit für alle umzusetzen. Aber letztlich setzt das einen Bruch mit der kapitalistischen Logik voraus. Denn die drängt gerade umgekehrt dahin, die Arbeitszeiten zu verlängern und die Arbeit zu intensivieren.

Was kann an die Stelle der Arbeit treten, wenn sie wegfällt?
Die Arbeit fällt ja nicht so nach und nach weg, sondern in ihrer Krise erhöht sich paradoxerweise der Druck, den sie auf die Gesellschaft ausübt. Deshalb braucht es soziale Bewegungen, die den Zwang in Frage stellen, sich täglich als Arbeitskraft verkaufen zu müssen, um leben zu können. Nur so kann der Weg freigemacht werden für freie gesellschaftliche Tätigkeiten ohne äußeren Zwang.

Sind Menschen glücklicher, die frei sind, morgens im Schrebergarten Salat zu ernten, nachmittags zu Kinder zu betreuen, abends Texte zu schreiben, ohne je Bauer, Kindergärtner, Schriftsteller zu werden?
Die Menschen wären sicher glücklicher, wenn sie in freier Absprache mit anderen entscheiden könnten, was sie tun und wie sie es tun wollen. Das schließt natürlich auch ein, zwischen verschiedenen Tätigkeiten wechseln zu können. Aber deshalb müssen wir ja nicht alle zu kreativen Alleskönnern werden. Das wäre auch wieder so ein Phantasiebild des kapitalistischen Leistungswahns. Freiheit kann auch heißen, sich auf wenige Tätigkeiten zu beschränken oder auch einmal nichts zu tun, wenn ich dies möchte. Aber das sollte ebenso wenig die Norm sein wie das Gegenteil davon.