31.12.2007 

Universalgüter

Informationsgüter als genuin gesellschaftliche Güter

Streifzüge 40/2007

Stefan Meretz

In der Zeitschrift krisis, Nummer 31, die im Juli erscheinen wird, hat Ernst Lohoff einen Aufsatz veröffentlicht, der es in sich hat. Titel: “Der Wert des Wissens. Grundlagen einer Politischen Ökonomie des Informationskapitalismus”. Es geht um die Frage, ob digitale Informationsgüter Waren sind und Wertsubstanz repräsentieren. Lohoffs Antwort: Sie sind weder Waren noch im ökonomischen Sinne werthaltig. Hier die Argumente in Kurzform.

Erstens: Informationsgüter sind keine Tauschgüter. Tauschen setzt einen “Händewechsel” voraus. Das Informationsgut verlässt jedoch nicht die Hände des “Verkäufers”, der in der komfortablen Lage ist, dasselbe Gut mehrfach gegen Geld zu vertreiben. Dieses Phänomen ist nicht zu verwechseln mit der Fertigung gleicher stofflicher Güter in der industriellen Massenfertigung. Hier muss jedes einzelne Exemplar neu hergestellt werden, während das beim Informationsgut nur ein einziges Mal geschieht.

Zweitens: Informationsgüter sind universelle Güter, konventionelle Güter hingegen sind singularer Natur. Informationsgüter benötigen zwar einen Träger, die Verbindung zu dem Träger ist jedoch flüchtig und eine Ausbreitung auf neue Träger ist sehr leicht. In digitaler Form benötigen Informationsgüter zur Nutzung Universalmaschinen, die durch geeignete Software – die ihrerseits ebenfalls zu den Universalgütern gehört – in vielfältige Spezialmaschinen verwandelt werden. Vielfach schafft erst die Benutzung selbst den antizipierten Nutzen. Universalmaschinen und Universalgüter spannen ein unabschließbares Nutzen-Universum auf. Konventionelle Güter hingegen vergegenständlichen einen singularen Nutzen. Ändert sich der gewünschte Nutzen, muss ein neues Gut erschaffen werden.

Drittens: Informationsgüter sind genuin nicht-exklusiv, d.h. sie schließen niemanden von der Nutzung aus. Sie sind ferner nicht-rivalisierend im Gebrauch – meine Nutzung beschränkt andere in ihrer Nutzung nicht. Informationsgüter gewinnen ihren Nutzen im Gebrauch, während konventionelle Güter ihn dort sukzessive verlieren. Informationsgüter können nur “moralisch verschleißen” (Marx), konventionelle Güter hingegen vor allem technisch.

Viertens: Informationsgüter können exklusiviert werden, indem technische Zugangsschranken den Zugriff ver- oder wenigstens behindern. Doch auch diese technischen Zusätze ändern nichts am universellen Charakter des Guts. Technische Zusätze machen aus Universalgütern keine Waren, dennoch ändert sich ihre Form in paradoxer Weise: Sie werden zu privatisierten Universalgütern. Werden die Techniksperren entfernt, tritt die Universalität wieder uneingeschränkt hervor. Das Knacken von Kopierschutz ist ein Akt der Entprivatisierung, des Wiederherstellens des universellen Charakters des Informationsguts.

Fünftens: Die “sozialen Hieroglyphen” (Marx), also die durch die Güter vermittelten sozialen Beziehungen, unterscheiden sich bei privatisierten Universalgütern und Waren beträchtlich. Die bürgerliche Gesellschaft hat keinen Begriff davon und hält schlicht alle Arten von Bezahlgütern für “Waren”, aber sie hat die Differenz gleichwohl rechtlich kodifizert: Während das Eigentum an traditionellen Gütern in der Regel exklusiv auf den Käufer übergeht, wird dem Käufer des Informationsguts lediglich ein limitiertes Mitnutzungsrecht gewährt.

Sechstens: Informationsgüter entstehen durch allgemeine Arbeit oder – so sie in privatisierter Form als Bezahlgüter auftreten – durch privatisierte allgemeine Arbeit. Darin gleichen sie der Wissenschaft. Konventionelle Güter hingegen erfordern den wiederkehrenden Einsatz unmittelbarer Arbeit bei der Herstellung. Folgt man Marx, so ist allgemeine Arbeit hinsichtlich ihrer Wertschöpfungspotenz unproduktive Arbeit, während allein unmittelbare Arbeit wertproduktiv ist. Das darf jedoch nicht zu der Gleichsetzung unmittelbar = stofflich = produktiv verkürzt werden. Unmittelbare Arbeit umfasst sowohl gegenständliche wie geistige Tätigkeiten. Produktive geistige Tätigkeiten sind jedoch nur jene, die vorhandenes Wissen im Produktionsprozess anwenden – also solches Wissen, das etwa die Wissenschaft als Gratisproduktivkraft zur Verfügung gestellt hat -, nicht jedoch Tätigkeiten, die neues Wissen produzieren. Analog verhält es sich, wenn Wissen und Informationen die “gegenständliche”, aber gleichwohl flüchtige digitale Form annehmen: Durch allgemeine Arbeit geschaffene Informationsgüter universeller Natur verkörpern keinen Wert.

Siebtens: Treten Informationsgüter in privatisierter Form erfolgreich als Bezahlgüter auf, so findet zwar kein “Kauf” statt, sondern es wird nur eine Nutzungserlaubnis erteilt, gleichwohl aber wird unidirektional Wert vom Erlaubnisnachsucher zum Erlaubnisgeber transferiert. Dieser Wert muss – z.B. vermittelt über den Verkauf von Arbeitskraft – aus anderweitiger Wertsubstanz-Schöpfung stammen. Analog zum Grundbesitzer, der für die Erlaubnis, seinen Grund nutzen zu können, eine Grundrente kassiert, streicht der Kontrolleur des privatisierten Universalguts eine Informationsrente ein.

Achtens: Die Informationsrente bedeutet für den Privatproduzenten von Universalgütern zwar ein Einkommen, gesamtgesellschaftlich hingegen wird die Verwertungsbasis nicht erweitert. Bei der Vorstellung eines selbsttragenden informationskapitalistischen Akkumulationsschubes handelt es sich folglich um eine Fata Morgana.

Die Argumenteliste ist nicht vollständig – bitte selbst lesen. Was bedeuten diese neuen Einsichten?

Ich muss meine Bewertung Freier Software revidieren. Die besondere Qualität Freier Software liegt nicht darin, dass sie einen wertsubstanzlosen Raum außerhalb der ansonsten wertproduktiven proprietären Softwareproduktion schafft. Software als Universalgut kann grundsätzlich keinen Wert vergegenständlichen. Innerhalb der proprietären Softwareproduktion, deren Art und Weise äußerlich von der Wertform bestimmt wird, werden Produkte geschaffen, deren universaler Charakter der privaten Form widerspricht.

Das Neue im Alten entsteht auch in den alten Formen, nicht allein neben ihnen. Freie Software als universelle und auch der Form nach vergesellschaftete Produktion ist die dem universalen Charakter des Gutes adäquate Produktionsweise – darin liegt die neue Qualität, und das macht ihren Keimform-Charakter aus.