01.11.2018 

Der Hambacher Forst: Ein von „Rechts“ befreiter Raum

Warum rechter Protest gegen die Rodung des deutschen Waldes ausbleibt

von Daniel Nübold

Der Erhalt des Bestehenden ist das ureigene Anliegen des Konservatismus. Der Schutz der Natur ist deshalb im Grunde eine konservative Angelegenheit. Im Fall des Hambacher Forstes, dessen Rodung von RWE zwecks Braunkohleförderung angestrebt wurde, formierte sich in der Bevölkerung großer Widerstand, der Anfang Oktober in einer Großdemonstration seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster, die Rodung vorerst auszusetzen, markierte fast zeitgleich die Ziellinie der aktuellen Etappe der Debatte. In ihr ist ein Akteur auffällig abwesend. Die Neue Rechte, ansonsten um kaum eine Gelegenheit verlegen, ihren vermeintlich konservativen Charakter herauszustellen, bleibt erstaunlich verhalten. Doch ist es wirklich überraschend, dass ein Aktivismus „von rechts“ hier ausbleibt?

Dabei bietet der Hambacher Forst sogar in mehrfacher Hinsicht Anknüpfungspunkte für rechte Argumentationsmuster. Zum einen ist die öffentliche Meinung zum Thema weitestgehend eindeutig. Drei Viertel der Deutschen sind im September für einen Rodungsstopp, deutlich über 80 Prozent sind in derselben Umfrage grundsätzlich für den Kohleausstieg. Der Volkswille dürfte damit als hinreichend deutlich formuliert angenommen werden und sollte der „Wir sind das Volk“-Fraktion als Aufforderung genügen, sich schützend vor die deutschen Eichen im Hambacher Forst zu stellen.

Doch auch ohne die breite öffentliche Unterstützung findet sich ein Motiv: Die Verteidigung des deutschen Landes, respektive Waldes, gegen die rücksichtslosen Kapitalinteressen eines Großkonzerns. Derartige antikapitalistische Argumente werden in der Neuen Rechten durchaus bemüht, so etwa in Fragen der Börsenspekulation oder wenn es darum geht, den Nationalstaat gegen den internationalen Freihandel starkzumachen.

Trotzdem kann die Neue Rechte bei dem Thema nicht punkten. Denn beim Hambacher Forst geht es um mehr als den Erhalt von 200 Hektar Wald. Das zeigt sich an den Fragen, die der Protest gegen Waldrodung und Kohleabbau thematisiert. Demonstrationsteilnehmer präsentieren Transparente zum generellen Klimaschutz, zu ökologischer Landwirtschaft, zu Anti-Atomkraft, zur Globalisierung und Profitgier der Konzerne bis hin zur Regenbogenfahne als Symbol für die Friedens- sowie Schwulen- und Lesbenbewegung. „Bunt statt braun“(-Kohle) – dieser Slogan bringt den weiten Kreis der Themen auf den Punkt, die mit dem konkreten Anliegen assoziiert werden. Besonders deutlich wird dies auch am Selbstverständnis, das die langjährigen Besetzer des Waldstücks formulieren: „Für uns ist klar, dass Umweltzerstörung und Herrschaft zusammenhängt [und] dass der Kampf um Klimagerechtigkeit gleichzeitig ein Kampf um eine herrschaftsfreie Welt jenseits von kapitalistischen Zwängen ist. […] Wir wollen, dass der Ort, den wir uns erkämpft haben und den wir beschützen wollen, auch Raum bietet für die Emanzipation jedes*r einzelnen.“

Ökologisches Bewusstsein, Herrschaftsfreiheit und Emanzipation – Ideen, die in ihrer jüngeren Geschichte vor allem auf die 68er-Bewegung zurückgehen. Deren Grundsätze stehen den Überzeugungen der Neuen Rechten fundamental gegenüber. Es greift zu kurz, Rechte lediglich als Ausländerfeinde und Islamhasser zu betrachten. Ihr Selbstverständnis ist das der letzten Verfechter einer Gesellschaft, die ihrer eigenen Offenheit in den letzten Jahrzehnten zum Opfer gefallen ist. Deshalb gelte es, die Gesellschaft gegen eben jene Offenheit resistent zu machen. Toleranz bildet dabei nicht länger ein erstrebenswertes Charakteristikum, sondern eine krankhafte Seuche. In diesem Punkt sind die Rechten den islamistischen Fundamentalisten bezeichnenderweise sehr nahe. Diese richten sich nämlich ebenfalls gegen eine westliche Welt, die durch ihre Liberalität dekadent geworden sei. Insofern hätte die westliche Rechte in diesem Punkt mit dem Islamismus einen Verbündeten, wenn nur die Islamisten „in ihren eigenen Ländern“ blieben.

Die 68er-Bewegung gab also den Startschuss für den vermeintlichen gesellschaftlichen Niedergang. Der AfD-Parteivorsitzende Jörg Meuthen sprach dies in seiner Rede auf dem Bundesparteitag 2016 offen aus, als er betonte, das eigene Parteiprogramm sei ein Fahrplan „in ein Deutschland weg vom links-rot-grün-verseuchten 68er-Deutschland“. Vom Hambacher Forst, in dem die links-rot-grüne Seuche also geradezu brütet, lässt man von rechts daher lieber die Finger. Publizistisch ignoriert man das Thema weitestgehend. Die „Junge Freiheit“ etwa beschränkt sich in ihrer Berichterstattung darauf, die Aktivisten als militante Linksextremisten darzustellen. Anstatt sich mit dem Anliegen auseinanderzusetzen, werden seine Vertreter in Misskredit gebracht. Die Polizeieinsätze zur Räumung werden begrüßt als Maßnahme, die rechtstaatliche Ordnung wiederherzustellen. Schließlich gehe die Rodungserlaubnis ohnehin auf die damalige rot-grüne Landesregierung zurück.

Darauf konzentriert sich ebenfalls die NRW-AfD: „Deutschland 2018. Hambacher Forst. Ein weiterer rechtsfreier Raum.“ Ihre Antwort auf Klimawandel und Energiewende? Verlängerung der Laufzeiten für Kohlekraftwerke und Rückkehr zur Atomkraft. Damit vertritt die Partei eine vornehmlich technizistische Position, in der Ökologie kaum Platz findet. Für die neurechte Bewegung insgesamt bleibt die Frage des Naturbezugs jedoch offen. Denn in einen Blut-und-Boden-Nationalismus fügt sich der Schutz der deutschen Natur problemlos ein. Auf ihn kann man bei Bedarf argumentativ zurückgreifen. Auf diesem Weg lassen sich Menschen erreichen, die sich selbst dem rechten Spektrum nicht zurechnen. Über Slogans wie „Umweltschutz ist Heimatschutz“ können völkische Ideen Eingang in die politische Mitte finden. Dass genau dies bei den Protesten um den Hambacher Forst nicht gelungen ist, bleibt ein Verdienst der Bewegungen, die die Proteste getragen haben.