02.12.2021 

Klimapolitik nach Art des Marktes. Wie die Grünen in die Falle des Liberalismus getappt sind

von Norbert Trenkle

Auch wenn die Grünen in der neuen Regierung das sogenannte Superministerium für Wirtschaft und Klima besetzen werden: Klimapolitisch hat sich die FDP in den Koalitionsverhandlungen weitgehend durchgesetzt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass in der Grünen Partei schon seit langem die Vorstellung vorherrscht, die ökologische Krise lasse sich durch den gezielten Einsatz marktwirtschaftlicher Mechanismen lösen. Wer sich aber mit solchen Vorstellungen in Verhandlungen mit einer marktradikalen Partei begibt, hat eigentlich schon verloren und die Waffen gestreckt, bevor das Spiel überhaupt losgegangen ist.

Im Mittelpunkt öko-marktwirtschaftlicher Lenkungsphantasien steht natürlich die CO2-Steuer. Einer (leider auch in der Klimabewegung) weit verbreiteten Vorstellung zufolge sollen höhere Preise die Unternehmen ebenso wie die Konsument:innen dazu motivieren, Produkte herzustellen bzw. zu kaufen, die wenig oder nichts zum Ausstoß von Klimagasen beitragen. Diese angebliche Lenkungswirkung der CO2-Steuer ist jedoch durchaus fragwürdig. Sie beruht in erheblichem Maße auf der marktideologischen Vorstellung, dass die tausendfachen individuellen Kaufentscheidungen der vereinzelten Einzelnen die Wirtschaft lenken würden.

Es stört die Verfechter:innen dieser Forderung wenig, dass diese zugeschrieben Wirkung in der Praxis kaum nachweisbar ist. Die Gründe liegen auf der Hand und sind schon oft genannt worden. Wer genügend Geld hat, wird die höheren Preise wohl oder übel akzeptieren, aber deswegen nicht auf Flugreisen, Autofahrten oder Ähnliches verzichten. Und diejenigen, die wenig verdienen, haben sowieso einen sehr viel kleineren ökologischen Fußabdruck und außerdem ist ihr Einfluss auf den eigenen Energieverbrauch gering, wenn sie zum Beispiel zur Miete in einer schlecht isolierten Wohnung leben oder auf ihren Kleintransporter angewiesen sind, um sich als Subunternehmer den Lebensunterhalt zu verdienen. Werden aber die Preissteigerungen beim Energieverbrauch durch einen sozialen Ausgleich abgemildert, führt das zu einer Neutralisierung der angeblichen Lenkungswirkung oder ermöglicht sogar noch den zusätzlichen Konsum anderer Produkte. Die Katze beißt sich also in den Schwanz.

Wenn im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise überhaupt ernsthafte Effekte in ökologischer Hinsicht erreicht werden können, dann nur durch den direkten Eingriff des Staates. Das können Verbote (z.B. ein Tempolimit) und andere klare Vorgaben sein (etwa das Abschalten der Kohlekraftwerke bis 2025) oder konsequente Maßnahmen zum Umbau der Infrastruktur vor allem im Energie- und Verkehrssektor sowie in der Isolierung und Beheizung von Gebäuden. Es fällt auf, dass sich im Wahlprogramm der Grünen durchaus einige klare Forderungen finden, die in diese Richtung gehen (z.B. der massive Ausbau der Bahn und des ÖPNV zulasten des Autoverkehrs). Ebenso fällt aber auf, dass diese Forderungen im Wahlkampf nie in den Vordergrund gestellt wurden. Der Grund dafür ist wohl, dass sich im Wahlprogramm, das aus einem breiten parteiinternen Diskussionsprozess hervorging, die verschiedensten Strömungen der Grünen irgendwie wiederfinden mussten. Schon der Umfang des Programms (stolze 272 Seiten) weist darauf hin, dass darin allen möglichen Interessen und Vorstellungen Rechnung getragen wurde. Aber was jedoch tatsächlich im Wahlkampf propagiert wurde, ist zuvor schon durch den ideologischen Filter der „ökologischen Marktwirtschaft‟ gepresst worden. Und die Restgröße an kritischeren Ansätzen, wurde spätestens in den Koalitionsverhandlungen dem künftigen liberalen Regierungspartner geopfert. Ein deutliches Zeichen für die marktwirtschaftliche Ausrichtung der Klimapolitik ist, dass der Emissionshandel im Koalitionsvertrag breiten Raum einnimmt, obwohl er im Wahlprogramm der Grünen nur eine geringe Rolle spielt und die (absolut berechtigte) Kritik daran dort deutlich herauszulesen ist.Im Wahlprogramm der FDP hingegen reimt sich Klimapolitik (die dort ohnehin nur ein paar Passagen einnimmt) fast ausschließlich auf Emissionszertifikate. Das passt ins Bild. Der Markt soll alles regeln. Dass die angebliche Lenkungswirkung dieser Zertifikate noch viel geringer ausfällt, als die einer CO2-Streuer, ja dass sie sogar im kontraproduktiv im Sinne ihres eigenen Anspruchs wirken und die ökologische Zerstörung noch vorantreiben, wie viele Studien nachweisen1 – solche Feinheiten stören die FDP natürlich nicht; denn ihre Marktideologie hat sich bekanntlich noch nie um die Empirie geschert, die sie doch immer anruft (ideologisch sind nach dieser Denkungsart sowieso immer nur die Kritiker:innen, wogegen die eigene Politik als „pragmatisch‟ und „realitätsnah‟ bezeichnet wird).

Umso schlimmer ist es, dass die FDP es geschafft hat, dem Emissionshandel einen prominenten Platz im Koalitionsvertrag zu verschaffen. Hingegen sind die Hinweise auf Investitionsprogramme für einen wenigstens ansatzweisen ökologischen Umbau der Infrastruktur äußerst spärlich. Im Verkehrsbereich wird der designierte liberale Verkehrsminister Volker Wissing sowieso alles abblocken, was irgendwie zulasten des Autoverkehrs gehen könnte. Die einzige „Transformation‟ die wohl stattfinden wird, ist die des Antriebssystems vom Verbrenner hin zum Elektromotor. Dafür allerdings müssen erst einmal abermilliarden Euro in die Lade-Infrastruktur investiert werden, die viel besser in viele Kilometer Bahnlinien, Busspuren und Fahrradwege angelegt wären. Selbst der angestrebte Ausbau der „nachhaltigen Energieversorgung‟, der als großer Verhandlungserfolg der Grünen gilt, wird (so er denn zustande kommt) zu einem erheblichen Teil durch den Wahnwitz der E-Mobilität wieder aufgefressen werden. Aber auch das kann nicht wirklich verwundern. Wer auf Marktwirtschaft setzt, auch wenn die als „ökologisch‟ deklariert wird, kommt an der Standortsicherung für die „eigene‟ Industrie nicht vorbei.

Fußnoten

1 Vgl. etwa Jutta Kill, ÖKONOMISCHE BEWERTUNG VON NATUR. Der Preis für Naturschutz?, Brüssel, August 2015, Rosa-Luxemburg-Stiftung (Büro Brüssel) www.rosalux.de/publikation/id/8338