Peter Samol
zuerst erschienen in Jungle World 2022/ 51 vom 12.01.2023
Am 4. Januar 2023 hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ins Kanzleramt eingeladen. Es spricht für sich, dass beim sogenannten Mobilitätsgipfel nur wenige Vertreter der Deutschen Bahn und anderer öffentlicher Verkehrsmittel eingeladen waren und gar keine der Umwelt- oder Radfahrerverbände. Neben zuständigen Ministern fanden sich in erster Linie Vertreter von Ländern und Kommunen, Gewerkschafter und vor allem die Spitzen der Automobillobby ein. Im Grunde hätte die Veranstaltung »Autogipfel« heißen müssen.
Die Runde beschloss das Ziel, dass von den Autos auf deutschen Straßen bis zum Jahr 2030 15 Millionen elektrisch angetrieben sein sollen – derzeit sind es erst 1,7 Millionen. Bis zum Jahr 2030 sollen in Deutschland 65 Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen werden als 1990. Im Verkehrssektor hat sich in dieser Richtung bisher allerdings wenig getan, während Industrie und Energieversorger bereits spürbare Fortschritte bei der Senkung des CO2-Ausstoßes verzeichnen konnten.
Der Verkehrssektor ist für fast ein Fünftel der Gesamtemissionen in Deutschland verantwortlich. Von diesen entfallen einer Analyse des Expertenrats für Klimafragen zufolge wiederum 97 Prozent auf PKW und LKW. Deshalb fördert die Bundesregierung seit einiger Zeit den Kauf von Elektroautos. Doch derzeit wollen sich nur 16 Prozent der Verbraucher in naher Zukunft ein solches anschaffen. Außerdem haben Elektro- und Hybridfahrzeuge in den vergangenen Jahren kaum Verbrenner ersetzt, sondern kamen oft als Zweit- oder sogar Drittwagen eines Haushalts hinzu. Ein wichtiger Grund für das Zögern der Autokäufer beim Umstieg liegt in der fehlenden Ladeinfrastruktur im ländlichen Raum. Darauf wies Jörg Hofmann, der Erste Vorsitzende der IG Metall, hin. Auch der Verband Kommunaler Unternehmen äußerte sich ähnlich. Auf dem Land sei die Bevölkerung vor allem auf das Auto angewiesen, die Industrie investiere aber Hofmann zufolge nur dort, wo es sich finanziell lohne, und das sind vor allem die großstädtischen Räume. Aus Sicht der Autofahrer sind ferner die langen Ladezeiten ein Problem. Die Unternehmensberatung Deloitte stellte außerdem kürzlich fest, dass sich die Bedingungen für eine Umstellung auf teilweise oder gänzlich elektrisch betriebene Autos in letzter Zeit spürbar verschlechtert hätten. Höhere Zinsen, steigende Kosten für Strom und Batterien und nicht zuletzt die sukzessive Rücknahme der staatlichen Förderung für Elektroautos machten den Umstieg immer unattraktiver.
Andere Aspekte der Verkehrspolitik waren bei dem Treffen kein Thema. Dabei liegt es eigentlich auf der Hand, dass die Lösung des CO2-Problems vor allem in der Verringerung des motorisierten Individualverkehrs liegt. Es gibt umweltfreundlichere Möglichkeiten: individuell den Verzicht auf unnötige Autofahrten, die stärkere Nutzung der Bahn und der öffentlichen Verkehrsmittel, die Nutzung von Fahrrädern oder der eigenen Füße; strukturell aber geht es um den Ausbau eines günstigen öffentlichen Nahverkehrs. Das 49-Euro-Ticket, das im Frühjahr dieses Jahres eingeführt werden soll, weist zumindest in die richtige Richtung.
Eine Entwicklung weg vom Auto würde zunächst zu deutlich volleren Zügen führen. Deshalb wäre ein Ausbau des Bahnangebots das Gebot der Stunde. Bereits die Vorgängerregierung aus Union und SPD hatte 2018 beschlossen, dass die Deutschen bis 2030 doppelt so viele Kilometer auf der Schiene zurücklegen sollen. 2019 beförderten die Eisenbahnen gut 2,9 Milliarden Fahrgäste, die insgesamt circa 100 Milliarden sogenannte Personenkilometer zurücklegten. Eine Verdopplung dieser Zahl bis 2030 ist unwahrscheinlich. Bei den gegenwärtigen Zuwachsraten kämen 2030 nur 117 Milliarden Personenkilometer heraus, also weit weniger als die angestrebten 200 Milliarden. Für diese bräuchte es ein jährliches Wachstum von neun Prozent.
Dass diese Zuwachsrate selbst im günstigsten Fall kaum zu erreichen ist, hatte kürzlich sogar der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Richard Lutz, im Tagesspiegel eingestanden. Die Bahn habe zwar viele neue Züge bestellt, doch fehle es vor allem an zusätzlichen Gleisen. Zurzeit ist Deutschlands Schienennetz marode, störanfällig und digital unterentwickelt. Um es wieder in Schuss zu bringen, fehlen mindestens 50 Milliarden Euro. Die fällige Generalsanierung würde außerdem zunächst einmal mit monatelangen Vollsperrungen, Umwegen, Wartezeiten und Geschwindigkeitsbeschränkungen einhergehen, die wahrscheinlich wiederum zu einer Verringerung der Bahnnutzung führen würden.
Um die Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen, bräuchte es nicht das staatliche Päppeln der Automobilität, sondern Fahrradgipfel, die entschiedene Förderung der Bahn und einen Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Doch die Autoindustrie ist für Deutschland wirtschaftlich enorm bedeutend. Fast 800 000 Menschen sind direkt in der Branche beschäftigt. Dementsprechend besteht die seit Jahren angekündigte »Verkehrswende« bislang vor allem daraus, die Autokonzerne mit staatlichen Subventionen beim Umstieg von Sprit- auf Stromautos zu unterstützen. Dieser Schwenk hin zur Elektromobilität erfolgt nicht allein aus ökologischem Antrieb. Er ist schlicht nötig, wenn deutsche Autokonzerne auch noch in 20 Jahren zu den Weltmarktführern gehören sollen. Mehr als Elektroautos ist unter kapitalistischen Bedingungen im »Autoland« Deutschland offenbar nicht zu erwarten.