28.03.2024 

Mehr Streiken für weniger Arbeit. Arbeitszeitverkürzung ist das Gebot der Stunde

von Lothar Galow-Bergemann

(zuerst erschienen in der Jungle World 2024/12 vom 21.03.2024)

Politiker und Unternehmerverbände verlangen, dass mehr gearbeitet wird. Diskussionen über die 35-Stundenwoche könnten »wir« uns nicht mehr leisten, heißt es. Dabei sollte diese Forderung nur der erste Schritt sein: Es sollte noch viel weniger gearbeitet werden.

Es ist das Drama der Grünen, dass sie an eine »ökologische Marktwirtschaft« glauben. Umweltschutz hin oder her: Wer sich auf die Klaviatur des Kapitals einlässt, muss auch seine Melodie spielen. Es war also keine wirkliche Überraschung, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vergangene Woche in den Chor derer einstimmte, die seit einiger Zeit »mehr Bock auf Arbeit« verlangen. Im Moment werde, so der Grünen-Politiker, »ein bisschen zu viel für immer weniger Arbeit gestreikt beziehungsweise geworben«. Das könnten »wir« uns aber nicht leisten, denn Deutschlands Wirtschaft wachse nicht mehr.

Zwar ist nicht nur aus ökologischer Sicht die Funktionsweise einer Wirtschaft zu hinterfragen, die »immer mehr und immer schneller« machen muss, weil sie ohne permanentes Wachstum umgehend strauchelt. Aber das zu erklären, wäre von einem Bundeswirtschaftsminister zu viel verlangt. Schließlich ist es sein Job, für das Florieren eben dieser Wirtschaft zu sorgen. Jedes Weniger, jede Unterbrechung des Waren- und Personenstroms lässt die Alarmglocken schrillen, seien es liegengebliebene Frachter im Suez-Kanal oder Streiks bei der Bahn.

Habeck sagte nicht konkret, wen er meinte, aber das brauchte er auch nicht. Die Angriffe von Politikern und Wirtschaftsvertretern richten sich momentan vor allem gegen die Lokführergewerkschaft GDL mit ihrer Forderung nach der 35-Stundenwoche. Immer deutlicher wird dabei das Streikrecht angegriffen.

Das ganze Land werde »in Geiselhaft genommen«, klagte etwa FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und meinte selbstredend weder den Bahnvorstand noch die Privatisierungspolitik, die die Bahn in jenen erbärmlichen Zustand versetzt hat, unter dem »das ganze Land« in der Tat seit vielen Jahren leidet. Gegen die »maßlose Streikgier«, so Djir-Sarai, brauche es eine »generelle Einschränkung des Streikrechts in sensiblen Bereichen«.

Wie interpretationsfähig der Begriff »sensible Bereiche« ist, macht Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), deutlich, der vor einem Jahr mit der Parole »Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit« die derzeitige Debatte initiiert hatte. Die Streiks in der kritischen Infrastruktur seien schließlich »auch Wachstumsbremsen«. Will sagen, sie treffen das Allerheiligste des Kapitalismus. Mit dem Argument ließen sich freilich auch alle anderen Streiks einschränken.

Zwar hat die GDL ihre problematischen Seiten und tut sich nicht immer mit gewerkschaftlicher Solidarität hervor, wovon besonders die Kolleg:innen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG ein Lied singen können. Doch deswegen greifen Djir-Sarai, Kampeter und andere sie mit Sicherheit nicht an. Seite an Seite mit dem Bahnvorstand wollen sie offenbar die GDL zerschlagen und bei der Gelegenheit auch gleich noch das in Deutschland im Vergleich mit anderen westlichen Ländern ohnehin schon eingeschränkte Streikrecht weiter amputieren.

Was sie so nervt, ist, dass die GDL derzeit das Thema 35-Stundenwoche im öffentlichen Bewusstsein hält und dafür viel Sympathie genießt. Denn immer mehr Menschen leiden unter dem Arbeitsdruck und wollen »raus aus der Tretmühle«. Im Jahr 2019 stimmten nach einer Studie des Haftpflichtverbands der Deutschen Industrie 41 Prozent der Berufstätigen der Aussage zu: »Ich würde so schnell wie möglich mit meinem beruflichen Arbeiten aufhören, wenn ich es finanziell nicht mehr nötig hätte.« 2022 waren es bereits 56 Prozent. Drei Viertel der Befragten plädierten zudem für die Einführung der Viertagewoche in ihren Unternehmen.

Diese Stimmung ist gefährlich für das Kapital. Aus Sicht seiner Sachwalter und Ideologen muss dringend eine Gegenstimmung aufgebaut werden. »Wir müssen mehr leisten, um unseren Wohlstand bewahren zu können«, lautet das Mantra. Aber was ist das eigentlich für ein Wohlstand, der einem immer noch mehr Stress macht? Dafür, dass es noch mehr Autos, noch mehr Plastik im Meer, noch mehr CO2 und noch größere Finanzblasen gibt? Und wo einem nach jahrzehntelangem Schuften eine Minirente ab 70 winkt?

Viele haben andere Vorstellungen von Lebensqualität. Nicht »mehr Bock auf Arbeit« ist angesagt, sondern Arbeitszeitverkürzung. Also bitte mehr streiken für weniger Arbeit. Endlich menschen- und naturverträglich wirtschaften, damit der Zug in die richtige Richtung fährt. Oder zumindest nicht mehr so schnell in die falsche.