06.02.2024 

Schlimmer geht immer. Die Lage von Mieter:innen wird sich weiter verschlechtern

Von Peter Samol

(Zuerst erschienen in der Jungle World 2024/05 vom 01.02.2024 )

Die Mieten werden in Deutschland weiter steigen und die Wohnungsnot wird noch schlimmer.

Wer denkt, die Situation auf dem Wohnungsmarkt könnte für Mieterinnen und Mieter nicht noch schlimmer werden als derzeit, irrt wohl gewaltig. Die Wohnungsnot wird sich in den kommenden Jahren nicht abmildern. Wie schon in den Vorjahren ist die Zahl der Baugenehmigungen 2023 stark zurückgegangen, nämlich bis November um 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Gründe sind vor allem Arbeitskräftemangel, Preissteigerungen bei Baumaterialien und hohe Zinsen, die Baukredite teurer machen. An den Finanzmärkten wird zwar ab Jahresmitte mit sinkenden Zinsen gerechnet, die führen jedoch mittel- und langfristig wiederum zu höheren Bodenpreisen. Der Arbeitskräftemangel wird sich eher noch verschlimmern – und falls sich die Baumaterialien verbilligen, dann vor allem weil wegen abnehmender Bautätigkeit die Nachfrage sinkt.

2023 wurden nach Angaben des Bundesbauministeriums 270 000 neue Wohnungen gebaut, zum größten Teil eher teurer Wohnraum. Bundesbauministerin Clara Geywitz (SPD) versprach kürzlich, dass sich der Wohnungsmarkt “Ende 2024, Anfang 2025” aufhellen werde. Das Ifo-Institut erwartet allerdings, dass 2024 nur 225 000 Wohnungen fertiggestellt werden, und der DZ-Bank zufolge könnte diese Zahl im Jahr 2025 sogar auf 200 000 fallen. Das Ziel der Bundesregierung, dass jährlich 400 000 neue Wohnungen entstehen, wäre damit weit verfehlt.

Die Lage am Wohnungsmarkt ist entsprechend schlecht. Besonders groß ist die Not in Berlin. Dort kommt es vor, dass Menschen zwei Jahre oder länger nach einer Wohnung suchen. Die Hauptstadt ist mittlerweile die zweitteuerste Großstadt Deutschlands (nach München). Oft werden für eine Wohnung Vermittlungsgebühren von mehreren Tausend Euro gezahlt. Wer arm ist oder keinen deutsch klingenden Nachnamen trägt, hat die schlechtesten Chancen bei der Wohnungssuche. Die meisten neu gebauten Wohnungen sind nicht günstig, im Gegenteil. Im Bundesdurchschnitt beträgt die Miete bei Neubauten zwölf Euro, in Großstädten sogar durchschnittlich 17 Euro pro Quadratmeter – eine 60-Quadratmeterwohnung kostet dann gleich knapp 1 000 Euro.

Schon 2021 hatten 13 Prozent der Mieterhaushalte in deutschen Großstädten nach Abzug der Miete weniger als das Existenzminimum zur Verfügung. Seitdem sind die Mieten noch gestiegen, hinzu kamen die allgemeine Inflation und Verteuerung der Lebenshaltungskosten. Und das Ende der Fahnenstange ist noch längst nicht erreicht. Eine Entspannung des Wohnungsmarkts sei frühestens 2026 zu erwarten, sagte Tobias Just, Immobilienökonom an der Universität Regensburg, der FAZ. Michael Voigtländer vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) erwartet in den nächsten zwei Jahren einen Anstieg der Mieten von noch einmal zehn bis zwölf Prozent, in Ballungszentren sogar bis zu 20 Prozent.

Die Hauptinstrumente des Staats, um diese Situation zu verbessern, sind das Wohngeld, sozialer Wohnungsbau und die sogenannte Mietpreisbremse. Besonders wirksam ist keines von ihnen. Die »Mietpreisbremse« schreibt unter anderem vor, dass bei bestehenden Mietverträgen die Miete in drei Jahren maximal um 20 Prozent steigen darf, in designierten Gegenden mit angespanntem Wohnungsmarkt nur um 15 Prozent. Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, FDP und Grünen eigentlich darauf geeinigt, diese Grenze auf elf Prozent abzusenken. Vergangenen August forderte die SPD-Bundestagsfraktion sogar eine Grenze von sechs Prozent. Die Co-Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, forderte kurz darauf ebenfalls eine Verschärfung der »Mietpreisbremse«. Passiert ist noch nichts.

Die bestehende Regelung reicht offensichtlich nicht aus, um den dramatischen Anstieg der Mieten zu verhindern. Derweil steht es um den sozialen Wohnungsbau noch schlechter als um die allgemeine Bautätigkeit. 2023 wurden dem Bündnis Soziales Wohnen zufolge nur 30 000 neue Sozialwohnungen geschaffen, in den Jahren zuvor sogar nur 25 000. Von ihrem Ziel von jährlich 100 000 neuen Sozialwohnungen ist die Bundesregierung also weit entfernt. Zudem fallen jedes Jahr mehr Wohnungen aus der Sozialbindung, als neue Sozialwohnungen gebaut werden. Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt deshalb immer weiter.

Hingegen steigt unablässig die Auszahlung von Wohngeld. Eine Studie des Pestel-Instituts, die von Bündnis „Soziales Wohnen“ in Auftrag gegeben wurde, ergab, dass der Staat im vergangenen Jahr erstmals mehr als 20 Milliarden Euro für die Unterstützung bedürftiger Menschen beim Wohnen ausgezahlt hat: gut 15 Milliarden Euro für die Kosten der Unterkunft, die überwiegend von den Jobcentern gezahlt werden, und mehr als fünf Milliarden Euro für Wohngeld.

Zum Vergleich: die Ausgaben von Bund und Ländern für den sozialen Wohnungsbau lagen der Studie zufolge in den vergangenen Jahren nur bei etwa vier Milliarden Euro jährlich. Die individuellen Zuschüsse fürs Wohnen sind damit fünf Mal so hoch wie die Förderung neuer Sozialwohnungen.

Den Grund für das Missverhältnis sieht der Studienleiter Matthias Günther vom Pestel-Institut darin, dass der Staat den Sozialwohnungsbau jahrzehntelang auf ein Minimum herabgesenkt hatte – und damit erst die steigenden Wohngeldkosten hervorgerufen hat. Denn wenn es immer weniger günstige Wohnungen gibt, muss der Staat immer mehr Mieten bezuschussen. Durch das Wohngeld entsteht kein einziger Quadratmeter günstigen Wohnraums; stattdessen zahlt die öffentliche Hand vielerorts für überhöhte Mieten, was die Wohnpreise weiter in die Höhe treibt. Es ist im Grunde eine staatliche Subvention für überzogene Mieten.

Bei Sozialwohnungen sind die Mieten gesetzlich gedeckelt. Sie werden nur an Menschen vergeben, die einen besonderen Bedarf nachweisen können, also wenig Geld haben. Jahrzehntelang wurde dem Schwund der Sozialwohnungen tatenlos zugesehen. Der aktuellsten Studie von Ende 2022 zufolge gibt es noch 1,088 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland, früher waren es mal bis zu drei Millionen.

Das Bündnis „Soziales Wohnen“ ist ein Zusammenschluss aus Deutschem Mieterbund, der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt sowie Sozial- und Branchenverbänden wie dem Bund Deutscher Baumeister. Es fordert, die Zahl der Sozialwohnungen bis 2030 wieder auf zwei Millionen zu erhöhen. Um das zu erreichen, schlägt es ein Sondervermögen im Bundeshaushalt von 50 Milliarden Euro vor. Damit solle der „Kollaps auf dem sozialen Wohnungsmarkt“ abgewendet werden. Außerdem sollte beim Bau von Sozialwohnungen die Mehrwertsteuer von derzeit 19 Prozent auf sieben Prozent gesenkt werden. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) lehnte die Forderungen ab und nannte die Studie des Pestel-Instituts „hochgradig unseriös“ und „völlig absurd“.

Dass laufend Sozialwohnungen aus der Sozialbindung fallen, liegt daran, dass sie nach dem gängigen Modell in Privateigentum errichtet werden. Dabei übernimmt die öffentliche Hand einen großen Teil der Baukosten. Als Gegenleistung müssen die betreffenden Bauherren im Rahmen einer festgelegten Mietbindung für zwei bis drei Jahrzehnte günstige Mieten garantieren. Nach der festgelegten Zeit fallen die Immobilien aus der Sozialbindung heraus und sind fortan ganz gewöhnliche Wohnungen.

Der soziale Wohnungsbau ist in seiner heutigen Form vor allem ein Subventionsprogramm für die private Wohnungswirtschaft. Es ist der Versuch, den Bau von Sozialwohnungen für Investoren attraktiv zu machen – also profitabel. Das Problem: Wenn die Wohnungswirtschaft wegen der inzwischen sehr hohen Mieten mehr Geld mit teuren Luxuswohnungen verdienen kann, sinkt ihr Interesse an Sozialwohnungen.

Ein Großteil der Sozialwohnungen in der alten BRD ist von gemeinnützigen oder öffentlichen Unternehmen gebaut worden – zwischen 1950 und 1985 mehr als 3,6 Millionen Wohnungen. Doch 1990 schaffte die damalige Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) die sogenannte Wohngemeinnützigkeit ab. Seitdem ist es nicht mehr möglich, gemeinnützige Unternehmen, die günstigen Wohnraum anbieten, durch Steuererleichterungen und Zulagen zu fördern.

Eine Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit könnte die Wohnungsnot lindern. Damit wären die öffentliche Hand und nicht profitorientierte Akteure in der Lage, Wohnraum mit unbefristeter Sozialbindung zu schaffen. Die Einführung einer „neuen Wohngemeinnützigkeit“ wurde 2021 im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grüne versprochen. Mitte 2023 legte Bundesbauministerin Geywitz einen Entwurf vor. Seitdem hat sich wenig getan – und angesichts des Sparhaushalts für das Jahr 2024 scheint es kaum noch vorstellbar, dass die dafür notwendigen Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden.

Zur Zeit besteht das einzige nennenswerte neue Regierungsprojekt gegen die Wohnungsnot darin, im Bundeshaushalt 2024 eine Milliarde Euro für ein Förderprogramm zum Neubau energieeffizienter Wohnungen aufzulegen, vor allem für Wohnungen im unteren und mittleren Preissegment. Eine weitere Subvention der Privatwirtschaft also. Axel Gedaschko, der Präsident des Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), nannte die Maßnahme „genau das richtige Signal“.