07.03.2024 

Die sexuelle Gewalt am 7. Oktober 2023

JuFo Bremen

Redebeitrag des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft am 04.03.24 bei der Kundgebung „150 Tage Bring them Home“ in Bremen

Für diesen Beitrag möchte ich vorneweg eine Triggerwarnung aussprechen, da es in den folgenden Minuten um sexuelle und sexualisierte Gewalt gehen wird. Wir haben uns entschieden, diesem Thema im Vorfeld des 8. März, besonders unsere Aufmerksamkeit zu widmen.

Kontaktaufnahme: Instagram @jufobremen / E-Mail: jungesforum.bremen@digev.de

Auf dem Bild sind die 14 weiblichen Geiseln in der Hamas-Gefangenschaft abgebildet. In der Mitte ist ein Bild von Inbar Haiman, Studentin, Graffiti-Künsterin (aka PINK), Fan von Makkabi Haifa (ein Verein, der Fan-Freunschaft mit Werder Bremen hat). Für Inbar und für Hersh Goldberg-Polin hat Werder Bremen eine Patenschaft übernommen. Vor ca. 2 Monaten wurde bekannt, dass Inbar im Oktober nach ihrer Entführung in Gaza ermordet wurde. Ihr Körper ist immernoch in Gaza festgehalten.

“Ich wusste, dass ich ein Mädchen in einer Gruppe von sonst nur Jungs bin. Und ich wusste, wenn die Terroristen mich fangen, würden sie mich auf der Stelle vergewaltigen. Ich habe nicht zweimal nachgedacht, die schlimmsten Szenarien schossen mir sofort durch den Kopf. Während wir rannten, war es am schlimmsten, zu wissen, ich könnte gefangen werden, und was würde ich tun? […] Ich erinnere mich nur, dass ich zu mir selbst sagte ‘Okay Mika, wenn sie dich fangen, das erste was du tust, versuch alles, um ihnen auf die Nerven zu gehen, denn es ist besser in den Kopf erschossen
als vergewaltigt zu werden.’ “

Das Zitat stammt aus dem Interview mit der Überlebenden Mika, die mit Omer Shem-Tov und Itay und Maia Regev , das Nova-Festival besuchte. Itay und Maia kehrten im November aus der Geiselhaft zurück, Omer wird immernoch als Geisel festgehalten.

Wir wissen alle, was am 7. Oktober 2023 in Israel passiert ist: Hamas-Terroristen überfielen zu Tausenden Dörfer und ein Festival im Süden Israels und verrichteten das größte Massaker an Jüdinnen und Juden seit der Shoah. Dafür gibt es genug Beweise, von den Überlebenden wie von der Hamas selbst. Wir wissen leider auch alle, was ebenfalls am 7. Oktober 2023 in Israel passiert ist: Es war nicht nur ein Massaker an Jüdinnen und Juden, es war auch eine geplante Massenvergewaltigung und ein Massenfemizid an israelischen Frauen. Auch dafür gibt es genug Beweise. Dass die Welt nicht versteht, was Antisemitismus ist und es nicht schafft, den Angriff zu verurteilen, ist schlimm genug. Aber weltweit Feminist:innen und feministische internationale Organisationen zu sehen, die diese Vergewaltigungen und Schändungen von Frauenkörpern ignoriert, bagatalisiert und relativiert haben, hinterlässt absolut fassungslos.

Bremen glänzt nicht als Gegenbeispiel. Zur Erinnerung: Es geht hier um einen der brutalsten massenhaften Angriffe auf eine Menschengruppe aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit der letzten Jahre, gezielt auch mit sexueller Gewalt, nicht nur gegen Frauen, aber vor allem gegen Frauen. Seit den Kriegsverbrechen in Ruanda und Bosnien wird sexuelle Gewalt auch mehr erkannt als eine Form von Genozid, wenn der Gewaltakt an einer Person aufgrund ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit ausgeübt wird. Dieses Wort – also: Genozid – hat in den letzten Monaten allerdings jeglichen Bezug zu seiner juristischen Definition verloren. Bei der Demonstration zum Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen am 25. November gab es hier in Bremen kein Wort, kein Plakat, das Empathie gegenüber israelischen Mädchen und Frauen gezeigt hat, die erst 7 Wochen zuvor von islamistischen Terroristen in ihren Häusern bis zu Beckenbrüchen vergewaltigt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurden, sodass ihre Leichen mit blutüberströmten Unterleiben kaum identifiziert werden konnten. Dass das Bündnis in Bremen zum 8. März dem Thema sensibel begegnet und Aufmerksamkeit darauf lenkt, bleibt vermutlich eine naive Erwartung. Wir lassen uns gerne vom Gegenteil überzeugen.

Yael Sherer, Begründerin einer Organisation für Überlebende sexualisierter Gewalt in Israel und jahrelange Expertin und Aktivistin zu diesem Thema, war als Forensikerin in den Tagen nach dem 7. Oktober im Einsatz und teilte vor 2 Wochen in einem Interview folgende Erinnerungen: „Wir wurden alle gerufen, um die Opfer zu identifizieren, um Fingerabdrücke zu nehmen, um Beweise aufzunehmen und uns um die Leichen zu kümmern. Und alle hatten die gewaltige Aufgabe zu bewältigen, Menschen in dieser Geschwindigkeit zu begraben, mit allem was dazu gehört. […] Wir verstanden ziemlich schnell, dass wir etwas Ungewöhnliches vor uns hatten. In diesem Konflikt gab es bislang nie derart weit verbreitete und systematische sexuelle Gewalt, wie sie am 7. Oktober geschah.“
Mittlerweile hat die israelische Organisation „Vereinigung der Krisenzentren für Vergewaltigte“ die Beweise aufgearbeitet und vor 2 Wochen einen ausführlichen Bericht an die UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten übergeben.
Natürlich vermissen wir alle Geiseln. Nur nach allen schrecklichen Berichten, die spezifisch den misogynen Umgang der Hamas mit den Mädchen und Frauen deutlich machen, schaudert es uns besonders, noch mindestens 14 weibliche Geiseln in der Gefangenschaft in Gaza zu wissen. Wir wissen von den Zurückgekehrten, dass sexuelle Übergriffe auch in Geiselhaft stattgefunden haben. Wir haben kaum Personen, die sich öffentlich über die eigenen Erfahrung äußern, was sehr typisch ist für Vergewaltigungsopfer. Das macht die Aufarbeitung dieses Aspekts des 7. Oktobers besonders herausfordernd, und die Art der Übergriffe besonders perfide. Über andere traumatische Erfahrungen, die nicht intim-übergriffig sind, sprechen die Überlebenden auch nicht leicht, dennoch wesentlich mehr und direkt. Es gibt jedoch genug anonymisierte Berichte von Überlebenden und Augenzeug:innen, von Mitarbeitenden der Ersten Hilfe und ZAKA, der israelischen Begräbnis-Organisation, die bei Terrorangriffen zum Einsatz kommt, von Sozialarbeiter:innen, von Journalist:innen, die zugängliche Belege liefern. Der Artikel der New York Times vom 28. Dezember 2023 stellt zurzeit vermutlich die umfangreichste aufgearbeitete und veröffentlichte Investigativrecherche zum Aspekt der sexuellen Gewalt am 7. Oktober dar.
Die Geschichte über Gal Abdush’s Identifikation, deren Bild als eines von vielen über soziale Medien in Israel in den Tagen nach dem 7. Oktober verbreitet wurde, ist ein tragisches Schicksal. Sie steht repräsentativ für zu viele Frauen und Mädchen, denen in wenigen Stunden an diesem schwarzen Schabbat ähnliches wiederfahren ist. Die „Frau im schwarzen Kleid“ war auf dem Video zu sehen, auf der Straße in der Nähe des Festivalgeländes auf dem Rücken liegend, zerrissenes Kleid, Beine auseinandergeschlagen, das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Eine Frau, die am 8. Oktober nach einer vermissten Freundin suchte, drehte das Video, auf dem diese Leiche zu sehen war und stellte es online, wie in diesen Tagen alle Hinweise auf Vermisste ohne Filter online gestellt wurden. Die Vorstellung, welche Bilder Angehörige der Vermissten in diesen Tagen ungefiltert gesehen haben, übersteigt jede Vorstellungskraft. Neben vielen Nachrichten von Fremden, die verzweifelt nach der Haarfarbe, Augenfarbe, Ringen oder anderen Merkmalen fragten, wurde Gal Abdush tatsächlich durch dieses Video von ihrer eigenen Familie erkannt. Sie und ihr Mann wurden bei dem Festival ermordet, ihre Eltern übernahmen daraufhin das Sorgerecht für die verbliebenen 2 Kinder des Paares. Für diese Familie wie für Tausende um Tausende Familien in Israel wird es nie wieder ein normales Leben wie vor dem 7. Oktober geben.
Es sind Geschichten wie diese, die wie ein Horrorfilm ablaufen sobald man die Augen schließt. Mehrere Augenzeugen rund um das Festivalgelände und in anliegenden Dörfern berichteten über Mädchen vom Festival, die vergewaltigt oder massenvergewaltigt und anschließend erschossen wurden. Diese Zeugen werden ihr Leben lang mit den Erinnerungen leben. Mitarbeitende von ZAKA berichteten davon, dass unzählige Leichen von Mädchen und Frauen eindeutige Spuren von sexueller Gewalt aufzeigten: Die Bilder der weinenden ZAKA-Mitarbeitenden gingen in diesen Tagen durch die Presse, ihre Berichte über die Masse und den Zustand der Leichen ebenfalls. Diese Menschen haben unmögliches ertragen. Etwa den Anblick zweier Schwestern im Kibbuz Be’eri, 13 und 16 Jahre alt, die in verschiedenen Zimmern ihres Hauses gefunden wurden, brutal vergewaltigt und ermordet.
Warum so graphisch, warum so krass? Die schlimmsten Bilder sind in diesem Beitrag tatsächlich ausgespart. Alles am 7. Oktober war präzise geplant, trainiert und aufgezeichnet. Nichts, was am 7. Oktober durch die Hamas angerichtet wurde, war Zufall. Dazu gehört auch die Entscheidung, spezifisch sexuelle Gewalt an (überwiegend) Mädchen und Frauen anzuwenden. Dazu gehört auch die Entscheidung, die Gewalt und auch diesen Aspekt der Gewalt präzise mit Bodycams zu dokumentieren und das Material zu verbreiten. Ob es um den IS in Irak und Syrien geht, oder um die Hamas in Israel: Wir müssen darüber sprechen und sexuelle sowie sexualisierte Gewalt als ein historisch und aktuell wiederkehrendes Kriegsverbrechen ernstnehmen. Diese Form von Kriegsakt darf nicht in der gesellschaftlichen Betrachtung ignoriert werden, nur weil es überwiegend Frauen betrifft und nur weil es uns als Gesellschaft unangenehm ist, darüber zu sprechen. Das ist wie in jedem anderen Fall, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht, ein riesiges Problem: Vergewaltigung wird zu oft als privates trauriges Schicksal von Frauen angesehen und nicht als ein strukturelles gesamtgesellschaftliches Thema. Besonders trifft es auf den 7. Oktober zu.
Der 7. Oktober ist nicht nur für den 7. Oktober passiert: Es war ein Live-Act, der auch zum Ziel hatte, alle Überlebenden Jüdinnen und Juden weltweit in Angst und Schrecken zu versetzen. Es war ein Live-Act, der nicht nur durch andere Terroristen gefeiert wird und selbstverständlich auf Nachahmung aus ist, sondern auch einer, der in den vermeintlich progressiven Milieus gefeiert wurde und gefeiert wird. Inklusive allem, was an diesem Tag an Mord, an Gewalt, an Vergewaltigungen passiert ist. Das, was aktuell in der Welt passiert, isoliert Jüdinnen und Juden enorm in ihren Erfahrungen und Traumata. Insbesondere isoliert es jüdische Mädchen und Frauen weltweit, die von den feministischen Organisationen lokal bis international mit der klaren Message von der Hamas, auch Du bist gemeint, fallen gelassen wurden.
In 4 Tagen ist der 8. März. Es ist der Internationale Frauenkampftag und auch in Bremen gibt es eine Demonstration. Aktuell gibt es mehr als genug Gründe, am 8. März auf die Straße zu gehen. Verabredet euch, geht hin, und bringt eure Schilder und Plakate, um auf das Schicksal der verbleibenden 14 Mädchen und Frauen aufmerksam zu machen, die zwischen 18 und 70 Jahren sind und sich noch in der Hamas-Gefangenschaft als Geiseln befinden. Als Idee für’s Plakat:

Believe Israeli Women!
Free Agam Berger!
Amit Buskila!
Arbel Yahod!
Carmel Gat!
Danielle Gilboa!
Doron Steinbrecher!
Eden Yerushalmi!
Naama Levy!
Noa Argamani!
Liri Albag!
Karina Ariev!
Judy Weinstein!
Romi Gonen!
Shiri Bibas!
Bring them home now!


Zitate im Text übersetzt aus:

  • Überlebendenbericht von Mika, Besucherin des Nova-Festivals https://www.instagram.com/p/C3OLWVQNRrM/
  • Interview mit Yael Sherer veröffentlicht am 22.02.24: „This Israeli Activist Is Tirelessly Working to Deal with the

Sexual Violence of October 7“ https://www.heyalma.com/this-israeli-activist-is-tirelessly-working-to-deal-with-
the-sexual-violence-of-october-7/

Verwendete Quellen und weiterführende Verweise:

  • Zeit-Online-Artikel vom 25.11.23: „Genozid als Kampfbegriff“
  • Kommentar in der TAZ vom 12.10.23: „Islamismus und sexualisierte Gewalt. Krieg gegen Frauen“
  • VOGUE-Interview mit Duzen Tekkal vom 18.10.23: „Der Frauenkörper wird im Kriegskontext immer

mitverhandelt“ https://www.vogue.de/artikel/duezen-tekkal-interview-krieg-israel-gaza

  • Tagesschau-Artikel vom 08.12.23: „Sexualisierte Gewalt durch die Hamas. Es ist passiert und die Welt muss es

glauben“ https://www.tagesschau.de/ausland/asien/hamas-sexualisierte-gewalt-100.html

  • Zeit-Online-Artikel vom 28.02.24: „Lassen die Massenvergewaltigungen in Israel die Deutschen kalt?“
  • New York Times Artikel vom 28.12.23: „How Hamas weaponized sexual violence“
  • Masterarbeit „Sexuelle Kriegsgewalt“ von Sabine Köhler an der Universität Frankfurt (2011)