06.06.2025 

Bomber Harris ist angeschlagen. In Dresden haben »rote Gruppen« Zulauf, die Reaktion darauf wirkt hilflos

Von Tom Thümmler

Ursprünglich erschienen in der Jungle World 2025/22 vom 29.05.2025

Wie in anderen deutschen Städten erstarken auch in Dresden autoritäre linke Gruppen, die sich dogmatisch marxistisch-leninistisch und militant geben. Die alteingesessenen Gruppen reagieren auf das veränderte Kräfteverhältnis mit antideutschen Gewissheiten statt mit kritischer Gesellschaftsanalyse – das wirkt hilflos.

Autoritäre linke Gruppen waren in Dresden, wie in vielen Städten der ehemaligen DDR, lange eine Ausnahmeerscheinung. Die Erfahrungen, die man mit dem Regime gemacht hatte, wirkten als Negativbeispiel fort. Linke Gruppen in Dresden verstehen sich daher bis heute eher als anarchistisch oder antiautoritär.

Dass in Dresden eine breite antifaschistische Organisierung entstand, hatte auch damit zu tun, dass dort jährlich rund um den 13. Februar über Jahre hinweg Neonazi-Aufmärsche in Gedenken an die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten stattfinden, zu denen zu Hochzeiten Rechtsextreme aus ganz Europa anreisten. Die Neonazis verbreiten den allgemein in Dresden kultivierten Mythos der Stadt als unschuldiger Kulturmetropole, die 1945 Opfer des »angloamerikanischen Bombenterrors« geworden sei. Bei den Gegendemonstrationen in den nuller Jahren wurden daher regelmäßig die Fahnen Israels, der USA und der Royal Air Force geschwenkt; gerne huldigte man ihrem Oberbefehlshaber Arthur Harris.

In Reaktion auf den Revisionismus der Neonazis und seiner halbherzigen offiziellen Verurteilung bildete sich in der linken Szene Dresdens eine antideutsche Grundhaltung heraus. Inzwischen ist allerdings auch hier eine ähnliche Entwicklung wie in anderen deutschen Städten zu beobachten: Dogmatische »rote« Gruppen mit martialischer Selbstdarstellung, manichäischem Weltbild und antisemitischer Ideologie erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Seit dem 7. Oktober 2023 ist das besonders sichtbar geworden.

Zügig nach dem Massaker der Hamas, am 27. Oktober, wurde auf Instagram der Account »Free Palestine Dresden« angelegt. Die ihn betreibende Gruppe trat dann als Organisatorin von Kundgebungen und Demonstrationen in Dresden in Erscheinung, zum Beispiel unter dem Motto »Stopp den Bombenterror gegen Gaza«. Überschneidungen gibt es mit den marxistisch-leninistischen Gruppen Kommunistische Organisation und Roter Aufbruch, mit denen man gemeinsam auf Demonstrationen läuft. Zuletzt organisierte man einen »internationalistischen« Block auf der 1.-Mai-Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbunds.

Die postautonome Gruppe Rotes Dresden und die DGB-Jugend kündigten zwar einen »antiautoritären Block« an, auf der Demonstration war er aber kaum als solcher zu erkennen. Obwohl die mit Free Palestine Dresden kooperierenden Gruppen bereits einige Tage zuvor für die Teilnahme an der Veranstaltung geworben hatten, wirkten die Ausrichter von der Gewerkschaft und Gruppen, die sich in der Regel in Dresden gegen Antisemitismus einsetzen, überfordert, sobald die ersten palästinensischen Fahnen geschwenkt wurden.

Schließlich drängte man den »internationalistischen« Block aus der Demonstration mit der formalen Begründung, dem allgemeinen Verbot von Nationalfahnen nachzukommen. Die Antizionist:innen reagierten mit wütenden Parolen wie »Antideutsche sind keine Linken«. Es blieb bei der Abwehr des unerwünschten Besuchs, dessen antisemitischer Charakter wurde an diesem Tag aber nicht thematisiert.

Mit Semesterbeginn im April fanden die Kritischen Einführungstage (KRETA) an der TU Dresden statt, bei denen traditionell linke Gruppen aus Dresden Veranstaltungen anbieten und sich vorstellen. Da die DKP-Jugendorganisation SDAJ bereits bei den Einführungstagen zu Semesterbeginn im Oktober 2024 mit einer eigenen Veranstaltung teilgenommen hatte, hätte die Ankündigung von Gruppen wie Kommunistische Organisation und Roter Aufbruch von Anfang März, sich an den KRETA zu beteiligen, nicht überraschen dürfen. Dennoch zeigten sich die anderen linken Gruppen überrumpelt, sagten ihre Veranstaltungen im Rahmen der KRETA ab und suchten sich, wie beispielsweise die feministische Gruppe Evibes, alternative Räume. Statt in die Auseinandersetzung zu gehen, weicht man also eher aus.

Die Erkenntnis, dass sich in Dresden ein Problem entwickelt hat, das sich auch an bisher von Antiautoritären frequentierten Orten zeigt und sich nicht von selbst erledigen wird, kommt etwas zu spät. So dürfen im »Internationalistischen Zentrum« in Dresden seit neustem Flyer ausliegen, in denen vom Genozid in Gaza geschrieben wird. In der anarchistischen Bibliothek Malobeo wurde der Film »Forced to Flee South Lebanon« gezeigt, der die Hizbollah legitimiert.

In Dresden kann also exemplarisch beobachtet werden, was für weite Teile der aktivistischen Linken Deutschlands gilt. Die zunehmende Feindseligkeit gegen kritische Theorie und der Unwille zur Reflexion des eigenen Handelns und Denkens überführen die tatsächliche Ohnmacht in hemmungslosen Tatendrang. Theoretische Arbeit gilt vielen als unnötiger Ballast, welcher nur den politischen Aktivismus blockiert.

In der Konfrontation der etablierten linken Szene Dresdens mit den eher neuen ML-artigen Gruppen offenbart sich die Bewusstlosigkeit eines zum Dogma versteinerten Anspruchs an sich und das eigene Tun. Die Gewissheit, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, ist das Gegenteil eines kritischen Bezugs auf die gesellschaftlichen Konstitutionsmomente der eigenen Position. Die Selbstreflekxion allerdings würde eine Kritik der autoritären Bewegung erst ermöglichen, da sie ebendieser Gesellschaft und ihrer permanenten Krise entspringt. So aber zeigt man sich ratlos ob des Zulaufs, den die »roten Gruppen« verzeichnen, obwohl es doch wesentlich besser wäre, wenn die jungen Menschen an den eigenen, wahrhaft antifaschistischen, Aktivitäten partizipierten. Das Neue ist, dass offen autoritär auftretenden Organisationen versuchen, Strukturen wie die KRETA und politische Themen wie die Verteidigung von CSDs gegen Neonazis zu instrumentalisieren.

An diesem Punkt sollte die Reflexion einsetzen: Warum werden diese Gruppen immer beliebter? Ist dafür einzig deren geschickte Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich?

Die neoliberale Vergesellschaftung vollzieht sich als »Desintegration durch Integration« (Gerhard Stapelfeldt) und ist von Konkurrenzverhältnissen, Vereinzelung und Einsamkeit geprägt. Gesellschaft erscheint als beängstigend und fremd. Sie erzeugt beständiges Leiden. Dass der kollektive Zwang als eigene Vorliebe, individuelles Bedürfnis und Selbstwirksamkeit erfahren wird, also die Subjektivität entscheidend prägt, ist Bedingung gesellschaftlicher Integration. Gleichwohl können die alltäglich erfahrenen Zumutungen bereits während der Adoleszenz zu Ängsten, diffuser Unzufriedenheit und konformistischer Rebellion führen. Und keineswegs ist die dazu passende Politik ausschließlich für Jugendliche ansprechend. Auch junge und ältere Erwachsene sind empfänglich für die autoritäre Formierung.

Denn sie verspricht, Gemeinschaft zu stiften – ein Versprechen, was antiautoritäre und autoritäre Linke (und mit ihnen allen anderen politischen Strömungen) teilen. In der Gemeinschaft soll das Eigene zurückgestellt werden. Allerdings handelt es sich um eine beziehungslose Form des Zusammenschlusses, denn eine Gemeinschaft konstituiert solches Ansinnen nur insofern, als dass ein höheres Prinzip über den individuellen Ansprüchen steht. Die Einzelnen sind dafür gleichgültig. Die Hingabe an die Sache zählt. Das suggeriert unmittelbare Kollektivität mit allen, die sich derselben Sache hingeben.

Die Gemeinschaftsbildung ist nicht ohne eine homogenisierende Ideologie vorstellbar. Eine solche kann besonders leicht anhand konkreter gemeinsamer Feindbilder formuliert werden, wie Zionist:innen, denen eine ungeheure Macht zugeschrieben wird. Aber auch Bankiers, Reiche und Politiker:innen erfüllen den Zweck. Irgendwer soll eben möglichst konkret für das gesamte Leid in dieser Gesellschaft verantwortlich sein. Die Personifizierung abstrakter gesellschaftlicher Verhältnisse ist die Ersatzbefriedigung für den verdrängten Wunsch, dass das Leid beendet werden soll. Das findet seinen Ausdruck in einem manichäischen Weltbild, autoritärer Aggression und Unterwürfigkeit.

Auch die vermeintlich Antiautoritären fallen dem autoritären Sog anheim, indem sie dieser Vergesellschaftung die eigene Gemeinschaftsbildung entgegensetzen und versuchen, junge Menschen von den eigenen, also selbstverständlich den »richtigen« Ansichten zu überzeugen. Entsprechend zählt einzig, dass man das richtige Ticket zieht. So werden die antideutschen und antiautoritären Selbstverständlichkeiten zum Problem. Sie verhindern die Kritik an der neu aufgelegten autoritären Bewegung ebenso wie die dafür nötige Selbstreflexion. Was selbstverständlich ist, stellt das Denken still. Sich einen Begriff der negativen Totalität, der Gesellschaft als zwanghaftem Systemzusammenhang, zu bilden, hieße zu erkennen, dass Kritik kein Mittel ist, um zu den »richtigen« Lehrsätzen zu gelangen und andere von diesen zu überzeugen, sondern ein Modus des Denkens, der beibehalten werden muss, um nicht selbst dem autoritären Dogmatismus zu verfallen. Stattdessen ersetzt Propaganda Reflexion.

Dieses Vorgehen verweist noch dazu auf eine kalkulierende Beziehung zu den Menschen, die man so anspricht. Dass auch dies ein autoritäres Verhältnis ist, wird geflissentlich unter den Tisch gekehrt. Einzig Lenins Frage »Was tun?« gilt als bedeutsam. So bleibt darauf zu insistieren, dass die Kritik gegenwärtiger autoritärer Bewegungen eine Gesellschaftskritik voraussetzt, welche nicht ohne Selbstreflexion auskommt.