Von Tom Thümmler
Ursprünglich erschienen in der Jungle World 2025/28 vom 26.06.2025
Derzeit wird in der Linkspartei die BAG Shalom aufgebaut, eine Bundesarbeitsgemeinschaft, die sich gegen Antisemitismus einsetzen will – auch in der eigenen Partei.
Joseph Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, fand deutliche Worte. Die Linkspartei trage dazu bei, »Antisemitismus zu verschweigen«. Sie sei ignorant gegenüber der »jüdischen Gemeinschaft« und »in ihrem radikalen Kern getrieben von Israelhass«.
Anlass für Schusters Kritik war der Beschluss des Chemnitzer Bundesparteitags zur Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA). Dort hatte Mitte Mai eine Mehrheit der Delegierten beschlossen, dass die Partei die JDA als »Antisemitismusdefinition« nutzen solle. Die JDA wurde als Alternative zur Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance formuliert, um Antizionismus vor vermeintlich zu weit reichenden Antisemitismusvorwürfen zu schützen. Zum Beispiel bezeichnet sie die Boykott-Bewegung BDS und die Forderung nach einer Abschaffung des jüdischen Staates als »nicht per se antisemitisch«.
Der Beschluss zur JDA habe den Ausschlag für die Gründung einer neuen Bundesarbeitsgemeinschaft in der Partei gegeben, der BAG Shalom – das teilte die Gruppe der Jungle World mit. Sie will sich der »Bekämpfung von Antisemitismus und Antizionismus« widmen, heißt es auf ihrer Website. In einigen Bundesländern wurden bereits Landesarbeitsgemeinschaften (LAG) gegründet. Sobald sie in acht Bundesländern anerkannt sind, kann offiziell die Bundesarbeitsgemeinschaft Shalom eingerichtet werden.
Auch einige Landesverbände waren mit dem Beschluss des Bundesparteitags nicht einverstanden. Auf Landesparteitagen in Sachsen, Thüringen und Bremen wurde er in eigenen Beschlüssen deutlich kritisiert.
Die parteiinterne Debatte über Antisemitismus ist eng mit der über den israelisch-palästinensischen Konflikt verbunden – bekanntermaßen eine beliebte Projektionsfläche für Linke weltweit. Die Parteivorsitzenden hatten versucht, auf dem Bundesparteitag im Oktober 2024 in Halle (Saale) einen Kompromiss herzustellen. Man einigte sich per Beschluss unter anderem darauf, das Existenzrecht Israels anzuerkennen, übte Solidarität mit allen Opfern des Krieges im Nahen Osten und kritisierte die Taten der Hamas am 7. Oktober 2023 ebenso wie die »völkerrechtswidrige« Kriegsführung Israels, die »sofort eingestellt« werden müsse.
Langjährige Politiker verließen die Linkspartei und kritisierten den Umgang mit Antisemitismus
Doch der Konflikt wurde dadurch nicht befriedet. Kurz darauf verließen mehrere langjährige Linkspartei-Politiker die Partei und kritisierten diese für den laxen Umgang mit Antisemitismus in den eigenen Reihen, darunter der frühere Berliner Kultursenator Klaus Lederer und Henriette Quade, Abgeordnete im Landtag von Sachsen-Anhalt.
Im zurückliegenden Bundestagswahlkampf Anfang des Jahres bemühte sich die Partei, sich auf sozialpolitische Themen zu konzentrieren. Den Streit um die Kritik des Antisemitismus und die Positionierung zum Israel-Palästina-Konflikt hatte man vorerst unter den Teppich gekehrt. Die Linkspartei zog mit einem überraschend starken Ergebnis in den Bundestag ein.
Ein neuer Star der Partei wurde der Direktkandidat in Berlin-Neukölln, Ferat Koçak, der immer wieder mit einer Nähe zur antiisraelischen Protestszene in Berlin aufgefallen war. Er gewann sein Mandat deutlich – als erster Politiker der Linkspartei in dem Bezirk.
Parteivorstand distanzierte sich – verbal
Der Ausgang der Bundestagswahl scheint das antizionistische Lager in der Partei gestärkt und selbstbewusster gemacht zu haben. Am 6. Mai postete das Vorstandsmitglied Ulrike Eifler auf X ein Bild, in welchem der Umriss von Israel und den Palästinensergebieten komplett mit Handabdrücken in den Farben der palästinensischen Flagge ausgefüllt war. Dazu schrieb Eifler: »#FreePalestine«. Ein freies Palästina wäre demnach eines ohne Israel.
Direkt danach veröffentlichte die Linkspartei eine Erklärung. Der Parteivorstand distanziere sich »von jedem Aufruf, jedem Statement und jedweder bildlichen Darstellung«, die »unter dem Deckmantel der Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung die Existenz Israels negiert oder die Auslöschung Israels propagiert«. Alle Mitglieder seien »aufgefordert«, solche Darstellungen nicht zu veröffentlichen oder, falls das schon geschehen sei, sie umgehend zu löschen. Doch Eiflers Post ist bis heute online – weitere Konsequenzen folgten nicht.
Auch im Bundestag fällt die Linkspartei noch öfter als früher durch israelfeindliche Aussagen und Symbole auf. Kürzlich wurde die Bundestagsfraktion der Partei ermahnt, weil ihr Abgeordneter Mirze Edis bei der Regierungserklärung von Kanzler Merz (CDU) rief: »Es gibt keinen Krieg! Es gibt einen Genozid!« Andere Abgeordnete tragen Kufiya im Plenarsaal, Ferat Koçak posierte in seinem frisch bezogenen Büro mit Wassermelone in der Hand für ein Social-Media-Foto.
Intifada-Rufe vom Linkspartei-Block
Henriette Quade lobt im Gespräch mit der Jungle World die Beschlüsse einiger Landesverbände gegen die Verwendung der JDA. Allerdings sei das nur eine Seite der Medaille: »Parallel werden andernorts gegenteilige Beschlüsse gefasst, sehen Teile der Partei ihre Aufgabe in der Dämonisierung Israels und machen gemeinsame Sache mit Antisemiten verschiedenster Prägungen.«
Der Parteivorstand hat kürzlich beschlossen, »zu einer Demo oder Kundgebung im Juli« aufzurufen, um »die gesellschaftliche Stimmung gegen diesen grausamen Krieg auch in Mobilisierung auf die Straßen« zu bringen. Quade meint dazu, es sei geboten, »humanitäres Leid in Gaza zu thematisieren, ohne ausschließlich Israel dafür verantwortlich zu machen«, doch der Beschluss des Parteivorstands zeige gerade diese Intention nicht. Vielmehr sei »zu erwarten, dass es zu ähnlichen Allianzen kommt wie schon am 21. Juni bei der ›United 4 Gaza‹-Demo in Berlin«.
Zur Teilnahme an »United 4 Gaza« hatten Teile der Partei aufgerufen, zum Beispiel einige Berliner Bezirksverbände. Auf der Demonstration waren zahlreiche Flaggen der Islamischen Republik Iran zu sehen. Ein Teilnehmer mit Linkspartei-Fahne um die Schultern trug ein Schild, auf dem zu lesen war, dass 1948 die »rote Linie überschritten wurde«, also mit der Gründung Israels. Vom Linkspartei-Block waren Intifada-Rufe zu vernehmen. Darin verstecke sich ein »Aufruf zu Gewalt gegen jüdische Menschen, der einer friedlichen Lösung des Nahostkonflikts fundamental widerspricht«, kommentierte die BAG Shalom.
Der Imperialismus des iranischen Regimes kommt im Beschluss des Parteivorstands nicht vor
Zur geplanten Demonstration im Juli heißt es von der BAG Shalom, man frage sich, »wie und wozu« der Krieg in Gaza überhaupt »noch mehr in die deutsche politische Öffentlichkeit getragen werden soll«. Außerdem wird auf bedeutende Auslassungen hingewiesen: Ausgeblendet würden nicht nur das »Massaker vom 7. Oktober 2023« und die noch immer in Gaza gefangenen israelischen Geiseln. Auch von der »direkten technischen und finanziellen Unterstützung des Iran an Hamas, Hisbollah und Houthis, die Israel ständig angreifen, ist im Beschluss des Parteivorstands keine Rede«.
Das ist bemerkenswert, weil dieser Beschluss gleich im ersten Satz nicht etwa den Gaza-Krieg anspricht, sondern den Konflikt zwischen Iran und Israel. Dort heißt es: »Der israelische Angriff auf den Iran ist völkerrechtswidrig und höchst gefährlich. Er stellt eine weitere Eskalation in der Ausdehnung des Nahostkonflikts dar.« Der militarisierte Imperialismus des iranischen Regimes im Nahen Osten, die Unterstützung von Kräften wie der Hamas und Hizbollah und die Vernichtungsdrohungen gegen Israel kommen nicht vor.
Die BAG Shalom sagt zum Krieg in Gaza: »Nicht nur Israel trägt Verantwortung. Die Bewohner:innen Gazas werden nach wie vor von der Hamas unterdrückt und als menschliche Schutzschilde missbraucht.« Wer das Leid in Gaza ernsthaft bekämpfen wolle, komme nicht umhin, dies zu thematisieren. Henriette Quade ist der Ansicht, der Umgang der Partei mit Antisemitismus »spiegele den Zustand einer gesellschaftlichen Linken wieder, in der regressive Kapitalismuskritik, Antizionismus und antisemitische Argumentationsmuster in Teilen wieder en vogue sind.«
Die BAG Shalom hofft auf eine Linkspartei, die »selbstkritisch, lernwillig und ohne Antisemitismus« ist, damit die »wichtige politische Arbeit« ohne die Verbreitung gefährlicher Denkmuster geleistet werden könne. »Aber beim Thema Antisemitismus gibt es eine große Verweigerungs- bzw. Abwehrhaltung.« Die Linkspartei sei diesbezüglich nicht anders als der Rest der Gesellschaft.