Von Ernst Lohoff
Ursprünglich erschienen in der Jungle World 2025/17 vom 24.04.2025
Mittels seiner weithin kritisierten Zollpolitik versucht Donald Trump, die Kosten der Krise den
Handelspartnern der USA aufzuhalsen.
Als der US-amerikanische Präsident Donald Trump Anfang April den »Liberation Day« ausrief und einen Zollkrieg gegen den Rest der Welt eröffnete, reagierten die Börsen der Welt mit Kursstürzen. Nach dem »Black Friday« und dem »Panic Monday« sah sich der US-Präsident gezwungen, ein 90tägiges Moratorium über die meisten der eben erst verhängen Zölle zu verkünden. Daraufhin erholten sich die Kurse wieder.
Alles wieder auf Anfang? Das darf bezweifelt werden. Zum einen heißt aufgeschoben nicht aufgehoben. Zum anderen bleiben ein allgemeiner Zoll von zehn Prozent und einige Sonderzölle in Kraft, vor allem aber erhielt ein Land keine Gnadenfrist: Im Zollkrieg mit China hat Trump noch eins draufgesetzt und die Zölle mittlerweile auf bis zu 145 Prozent erhöht. Dem Konflikt zwischen den beiden größten Ökonomien der Welt wohnt allein schon jede Menge Sprengkraft inne, und eine Entspannung ist nicht in Sicht.
Inzwischen hat der Herr im Weißen Haus zwar einige in China fabrizierte Güter wie Smartphones und Speicherchips von den Sonderzöllen bis auf Weiteres ausgenommen, das ist aber kein Zeichen der Deeskalation. Wie der Konzern Apple, der 87 Prozent seiner I-Phones in China produzieren lässt, sind die meisten US-amerikanischen IT-Konzerne auf Lieferungen aus China angewiesen. Ihnen soll Zeit gegeben werden, sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Und auch von der chinesischen Führung ist kein Einlenken zu erwarten. Sie ist auf die Konfrontation mit der US-Regierung seit langem vorbereitet.
Der Maga-Ideologie zufolge erlaubt das herrschende Freihandelssystem den anderen „global players”, die USA schamlos auszunutzen. Begründet wird dieser Vorwurf mit dem Handelsbilanzdefizit, das die USA Jahr für Jahr einfährt und das zuletzt bei mehr als 918 Milliarden Dollar lag. Damit laufen die Republikaner unter Trump pikanterweise heutzutage gegen eine Wirtschaftsordnung Sturm, die die USA unter der Präsidentschaft des stockkonservativen Republikaners Ronald Reagan selbst installiert hatten und die seit vier Jahrzehnten die Weltwirtschaft auf Wachstumskurs hielt, auch wenn Finanzkrisen immer wieder zu Rückschlägen führten.
In den siebziger Jahren hatte die Weltwirtschaft in einer schweren Krise gesteckt. Alle kapitalistischen Kernstaaten hatten gleichzeitig mit einer hohen Inflation und mit niedrigen Wachstumsraten zu kämpfen. Indem die USA unter Reagan Anfang der achtziger Jahre sowohl die heimischen Zinsraten als auch die Staatsverschuldung sprunghaft erhöhten und gleichzeitig die Deregulierung der Finanzmärkte erzwangen, eröffneten sie sich und der übrigen kapitalistischen Welt einen Ausweg aus der „Stagflation“.
Die finanzindustrielle Vermehrung „fiktiven Kapitals“ (Marx) wurde zum eigentlichen Motor der Weltwirtschaft. Die USA verwandelten sich in das gelobte Land des Anlage suchenden Geldkapitals aus aller Welt. Vor allem ab den neunziger Jahren finanzierte es die dort entstehenden Zukunftsindustrien des Informationszeitalters mit. Bis heute sind, von der chinesischen Konkurrenz einmal abgesehen, alle wichtigen Tech-Unternehmen der Welt US-Firmen. Gleichzeitig verschaffte die von der Finanzmarktdynamik getragene Weltkonjunktur Ländern wie Japan und Deutschland und später China Exportmöglichkeiten in den klassischen Industrien.
Die auf der Transnationalisierung von Waren und Geldkapitalströmen beruhende Entfesselung der Schöpfung von fiktivem Kapital wirkte zunächst einmal wahre Wunder. In den USA fiel die Inflationsrate von 14 Prozent 1980 auf unter zwei Prozent 1987, während das Wirtschaftswachstum in den achtziger Jahren auf im Schnitt vier Prozent anstieg. Die damals entstandene Wirtschaftsordnung hat allerdings einige Schönheitsfehler. Zum einen muss der Wert des Aktienkapitals und das globale Kreditvolumen weit schneller anschwellen als das realwirtschaftliche Wachstum, damit die Finanzindustrie die Rolle des Wachstumsmotors übernehmen kann. Zum anderen ist das Funktionieren dieser Ordnung an die schon angedeutete globale Arbeitsteilung gebunden.
Die Schlüsselrolle spielt dabei das stärkste kapitalistische Land, das mit dem Dollar zugleich das Weltgeld stellt. Damit der kapitalistische Laden weiterläuft, müssen die USA Finanztitel exportieren und anderen die Oberhand bei den klassischen Industrien überlassen. Allein in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts schrumpfte denn auch der Anteil der USA an der weltweiten Industrieproduktion von 28 auf 18 Prozent. Derzeit sind es noch etwa 15 Prozent.
Dieser Deindustrialisierungsprozess hat die Sozialstruktur der USA entscheidend verändert. Der Prozess der sozialen Polarisierung nahm dort extreme Ausmaße an. Während der reiche Teil der Gesellschaft von der Dynamik fiktiver Kapitalschöpfung profitierte, verschwanden viele der gut bezahlten Industriejobs und die Lohnabhängigen wurden massenhaft in McJobs abgedrängt.
Der Aufstieg des Trumpismus ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. Indem Trump die Deindustrialisierung der USA zum Teufelswerk der rücksichtslosen kapitalistischen Partnerländer erklärt, ist er in der Lage, Gewinner und Verlierer des Status quo hinter sich zu vereinen. Der Plan, die Finanzierung des Staats von Einkommenssteuern auf Zölle umzustellen, dient als gemeinsamer Nenner zwischen der Steuer- und Staatsfeindschaft der hardcore-neoliberalen Führungsschichten und der nostalgischen Sehnsucht der im Abstieg begriffenen weißen Mittelschicht, dass die guten alten Zeiten wiederkommen mögen, in denen sie noch am American Dream von Wohlstand und Aufstieg Teil hatten.
In Zollkriegen gebe es letztlich nur Verlierer und die Bevölkerung der USA werde mit am meisten leiden, argumentieren die Verfechter des freien Welthandels. Die Trumpsche Zollpolitik werde die Inflation befeuern, weil die Zölle an die US-amerikanischen Konsumenten weitergegeben würden und US-Firmen gar nicht in der Lage seien, die Lücke zu füllen. Fernerhin führe Trumps Politik zu einer Fluchtbewegung aus den US-amerikanischen Finanzmärkten und ruiniere den Dollar. Sie stehe deshalb in Widerspruch zu den Interessen des Landes. Aus dieser Prognose schlussfolgern die entsetzten Ökonomen, die Vorgehensweise der neuen Regierung sei zutiefst irrational und zerstöre ohne Not die bewährte internationale Arbeitsteilung.
Die Prognose ist richtig, die Diagnose aber gleich in zweierlei Hinsicht grundfalsch. Zum einen hat Trumps Wirtschaftspolitik durchaus ihre innere Logik, wenn auch primär eine identitätspolitische. Indem Trump im Wahlkampf verkündete, „Strafzölle“ sei das schönste Wort im Wörterbuch, gelang es ihm, Feuer und Wasser zusammenzubringen und dem neoliberalen Staatszerschlagungsprogramm eine Massenbasis unter dessen künftigen Opfern zu verschaffen. Zum anderen vergeht sich Trump an einer Wirtschaftsordnung, die längst schon in einer tiefen Krise steckt; die Trumpsche Politik zielt darauf, die katastrophalen Folgekosten dieser Auflösung den Partnerländern aufzuhalsen.
Wohin der Trend weltweit weist, kann man an der Entwicklung der chinesischen Wirtschaftspolitik gut ablesen. Als 2008 die US-amerikanische Immobilienblase platzte, drohte die Flucht privater Anleger von den US-amerikanischen Börsen eine weltwirtschaftliche Abwärtsspirale auszulösen. Wohl wissend, wie abhängig das eigene Wachstumsmodell von der Dynamik der US-amerikanischen Finanzmärkte ist, handelte die chinesische Führung gewissermaßen wie ein weltweiter ideeller Gesamtkapitalist. Sie befahl den chinesischen Staatsbanken, in die US-amerikanischen Finanzmärkte zu investieren und US-amerikanische Staatsanleihen in großem Stil aufzukaufen.
Auf dem Höhepunkt des US-Engagements befanden sich schließlich 14 Prozent der US-Staatsanleihen in chinesischem Eigentum. Die große Finanz- und Wirtschaftskrise leitete allerdings auch schon die Wende ein. China begann, die interne Schaffung fiktiven Kapitals zu steigern, und der Immobilienboom im eigenen Land löste den Industriegüterexport als Haupttreiber des Wachstums ab. Parallel dazu wurden nach und nach US-Anleihen abgestoßen. Heutzutage gehören nur noch knapp drei Prozent ihres Gesamtbestands chinesischen Gläubigern.
Die Trumponomics stellen so etwas wie den Versuch der führenden kapitalistischen Macht dar, einen Notausstieg aus der von ihr selbst geschaffenen, auf freiem Waren- und Kapitalverkehr beruhenden Ordnung zu finden. Dass dabei der Dollar seine bisherige Funktion als sicherer Hafen für Anlage suchendes privates Geldkapital wohl verliert, wird von vielen Trump-Beratern nicht nur in Kauf genommen, sondern auch gewollt. Ein im Sinkflug befindlicher Dollarkurs gilt ihnen als Voraussetzung für ihr dubioses Reindustrialisierungsprogramm.
Dementsprechend wird in den Trump nahestehenden Thinktanks über Möglichkeiten diskutiert, die weitere US-Staatsverschuldung von privaten Renditeerwartungen zu entkoppeln. Es gibt etwa die Idee, US-Staatsanleihen auf eine Laufzeit von 100 Jahren umzuschreiben, ohne dass in den ersten Jahrzehnten Zinsen fällig würden. Weil sich für eine solche „Anlage“ natürlich keine freiwilligen Käufer fänden, hat man folgenden Ersatz ins Auge gefasst: Der atomare Schutzschild der USA wird zum „öffentlichen Gut“ erklärt, und die Länder, die unter ihn schlüpfen wollen, sollen das US-Haushaltsdefizit finanzieren, indem deren Zentralbanken verpflichtet werden, diese Schrottpapiere zu kaufen. In den Fieberträumen der Trumpisten ist unter anderem der Europäischen Zentralbank und der Bank of Japan die Rolle von Bad Banks der USA zugedacht.