Von Minh Schredle
Ursprünglich erschienen in der Jungle World 2025/21 vom 22.05.2025
Für viele Freelancer:innen macht sich der KI-Boom bereits durch Auftragsflauten bemerkbar, auch Festangestellte sind gefährdet. Das betrifft vor allem Graphikdesigner, Programmierer, Manager, Journalisten und Synchronsprecher.
»AI first«: Unter diesem Motto kündigte Luis von Ahn, der Geschäftsführer des Anbieters der weltweit meistgenutzten Sprachlern-App Duolingo, Ende April eine strategische Neuausrichtung an. Immer mehr Aufgaben, die bislang Menschen erledigt haben, sollen im Unternehmen von nun an KI-Programme übernehmen, bis hin zur Erstellung von Lernmaterialien. Die Beschäftigten von Duolingo hätten keinen Anlass zur Sorge, schrieb er in einer E-Mail an die Belegschaft. Allerdings werde nun schrittweise damit aufgehört, solche Aufträge an externe Mitarbeiter:innen zu vergeben, die auch von einer KI bewältigt werden können. Zudem würden neue Stellen nur noch dort geschaffen, wo keine weitergehende Automatisierung von Arbeit möglich sei. Bei der Einstellung von neuen Arbeitskräften spielten KI-Kenntnisse eine wichtige Rolle.
Ahn meint, das Unternehmen dürfe nicht darauf warten, bis die Technik perfekt sei. »Wir bewegen uns lieber mit Dringlichkeit und nehmen gelegentlich kleine Einbußen bei der Qualität hin, als uns langsam zu bewegen und den richtigen Moment zu verpassen.« Ebenfalls Ende April hatte Duolingo 148 neue Sprachkurse angekündigt. Dazu sagte von Ahn: »Unsere ersten 100 Kurse zu entwickeln, hat etwa zwölf Jahre gedauert, jetzt konnten wir in ungefähr einem Jahr knapp 150 neue Kurse erstellen und veröffentlichen.« Das sei ein gutes Beispiel für den »unglaublichen Effekt« der in KI und Automatisierung getätigten Investitionen.
Schon im November 2023 – etwa ein Jahr nach dem Launch des ersten frei zugänglichen Texterstellungsprogramms Chat GPT – hatten die Datenwissenschaftlerin Ozge Demirci, der Ökonom Jonas Hannane und die Marketing-Professorin Xinrong Zhu eine Analyse darüber vorgelegt, wie sich Generative KI auf die Auftragslage von Freelancern auswirkt. Untersucht wurden dabei internationale Online-Portale zur Arbeitsvermittlung. Demnach sei im untersuchten Zeitraum von 2021 bis 2023 die Zahl von Stellenangeboten für automatisierungsgeeignete Arbeiten wie Texten und Programmieren um 21 Prozent gesunken. Weiter heißt es in der Studie: »Wir konnten außerdem feststellen, dass die Einführung von Bilder generierenden KI-Technologien zu einem 17prozentigen Rückgang bei der Zahl von Stellenangeboten im Zusammengang mit Bilderstellung geführt haben.«
Seitdem werden KI-Programme immer mehr genutzt. Die Folgen spüren nicht nur Freischaffende, auch wenn diese, wie im Fall von Duolingo, in der Regel als Erstes hinnehmen müssen, dass ihnen bestimmte Arbeitsschritte von einem Programm abgenommen werden. Die Onlineshop-Plattform Shopify, das drittgrößte börsennotierte Unternehmen Kanadas, begann Anfang 2023 damit, in der Kundenbetreuung KI einzusetzen. »Ein paar Monate später wurden 20 Prozent der Mitarbeiter entlassen«, berichtet Der Standard, »bereits aufgesetzte Stellenangebote wurden gestrichen.«
Auswirkungen dramatisch
In zahlreichen Branchen und Arbeitsbereichen ist eine technologische Transformation in Gange: Das reicht von der Graphikerstellung, Layout und Design über das Marketing, die Kundenbetreuung und die Logistik bis zum Journalismus; aber auch Buchhaltung, Steuerberatung oder Risikoprüfung bei der Kreditvergabe sind betroffen. Dass neue Technologien den Einsatz menschlicher Arbeitskraft überflüssig machen, ist zwar altbekannt. Doch »im Vergleich zu früheren Automatisierungswellen sind die Auswirkungen dramatisch«, argumentieren Demirci, Hannane und Zhu. Demnach habe in Frankreich eine 20prozentige Zunahme der Roboternutzung nur zu einem Rückgang von 3,2 Prozent bei Arbeitsplätzen in der Industrie geführt. Bei der KI hingegen gehe es zumindest in manchen Branchen um ganz andere Größenordnungen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, betonen die Autor:innen, dass sich KI-Technik kontinuierlich verbessere und potentiell immer mehr Aufgaben übernehmen könne.
Auch in Zeitungsredaktionen kommen KI-Programme immer häufiger zum Einsatz. Die FAZ schaut freudig in die Zukunft: »Unter den Berufsgruppen, die von der generativen KI am stärksten profitieren können, stehen die Journalisten weit oben«, heißt es in einem Text aus dem April 2024. Nach einer Umfrage unter 290 erfahrenen Medienschaffenden würden bereits 62 Prozent KI-Programme für die Textproduktion nutzen. Das mache Kapazitäten frei.
Die italienische Tageszeitung Il Foglio veröffentlichte im Zuge eines Testlaufs im März und April einen Monat lang täglich eine vier Seiten umfassende Sonderausgabe, die ausschließlich mit KI-Texten gefüllt war. Chefredakteur Claudio Cerasa teilte mit, es gehe dabei nicht darum, Menschen zu ersetzen, sondern auszuloten, »welche Grenzen KI im Journalismus überwinden kann und welche nicht«.
Arbeitsplätze werden definitiv verschwinden
Ob davon langfristig tatsächlich Journalist:innen und nicht vielmehr die Verlage profitieren, ist freilich eine andere Frage, denn zunächst einmal würden die Programme Entlassungen ermöglichen. Dass sich Redaktionen etwa weiterhin den Luxus leisten werden, ihre menschlichen Mitarbeiter:innen über Sportereignisse berichten zu lassen, wenn ein KI-Programm einen fertigen Text dazu in wenigen Sekunden liefert, wäre mit den Prinzipien der Marktwirtschaft unvereinbar. Der Geschäftsführer der KI-Firma Open AI, Sam Altman, sagte im Interview mit The Atlantic recht unverblümt: »Viele Leute, die an KI arbeiten, tun so, als ob sie nur gut sein werde; sie werde nur eine Ergänzung sein; niemand werde jemals ersetzt. Arbeitsplätze werden definitiv verschwinden, Punkt.«
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ging 2023 davon aus, dass in ihren 38 Mitgliedsstaaten bis zu 27 Prozent aller Arbeitsplätze durch KI-Programme »hochgradig gefährdet« seien. Besonders betroffen seien hochqualifizierte Positionen wie Manager und Ingenieure, während bei einfachen Dienstleistungen oder Fabrikarbeit menschliche Arbeitskraft oft kaum ersetzt werden könne.
»Sechs von zehn Arbeitnehmenden in Deutschland sind wegen der Einführung von Künstlicher Intelligenz (KI) am Arbeitsplatz beunruhigt«, schriebt das Zeitarbeitsunternehmen Manpower Group, nachdem es das Institut Yougov mit einer repräsentativen Befragung beauftragt hatte. Besonders ausgeprägt sei die Angst vor der Zukunft bei den jüngeren Beschäftigten unter 25 Jahren: »Ganze 73 Prozent machen sich Sorgen hinsichtlich der Einführung von KI.« Bezogen auf die globale Situation berichtete die Süddeutsche Zeitung jüngst: »Während mit Sicherheit Millionen neuer Arbeitsplätze entstehen werden, ist nicht klar, was passiert, wenn Hunderte Millionen weiterer Arbeitsplätze verloren gehen. Niemand scheint auf diese kommenden Umwälzungen vorbereitet zu sein.«
Eine Protestaktion gab es Anfang April vom Verband Deutscher Sprecher:innen: »Schützen wir die künstlerische und nicht die Künstliche Intelligenz«, heißt es in einem Instagram-Clip, an dem sich unter anderem die deutschen Synchronstimmen von Angelina Jolie (Claudia Urbschat-Mingues), Tobey Maguire (Marius Clarén) und Spongebob Schwammkopf (Santiago Ziesmer) beteiligten haben.
»Jetzt sollen wir amputiert werden«, warnt darin Schauspieler Peter Flechtner: ersetzt durch Roboter, die ohne Einwilligung der Betroffenen mit den Stimmen der Sprecher:innen trainiert worden sind. Die United Voice Artists, ein internationaler Zusammenschluss von Gewerkschaften und Sprecher:innenverbänden, fordert, dass jeglicher Einsatz von KI zum Klonen menschlicher Stimmen das ausdrückliche Einverständnis der Originale voraussetzen und der Einsatz von Computerstimmen bei der Film- und Serienproduktion transparent gekennzeichnet werden müsse.
Hierzulande will sich die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film in der Gewerkschaft Verdi dafür einsetzen, dass Urheber:innen »angemessen für die Nutzung ihrer Werke durch KI-Anwendungen oder zu deren Training vergütet werden«. Zudem sollen »Menschen am Arbeitsplatz darüber mitbestimmen können, bei welchen Arbeitsschritten KI-Tools inwieweit eingreifen«. Und Arbeitgeber sollen sich »nicht dazu hinreißen lassen, auf billig generierten Content zu setzen«. Hehre Ziele – aber im Kapitalismus ist Kostensenkung eben weniger eine moralische denn eine ökonomische Frage.