09.07.2025 

Pride im Blick der Polizei. KI-Gesichtserkennung bei der Budapester Pride

Von Tilde Klett

Ursprünglich erschienen in der Jungle World 2025/26 vom 26.06.2025

Die ungarische Regierung will die für den Samstag geplante Budapest Pride verbieten. Das im März zum Verbot von LGBT-Veranstaltungen erlassene Gesetz erlaubt es der Polizei, Demonstrierende per KI-Gesichtserkennungsprogramm zu identifizieren, um die Teilnahme zu ahnden.

Pride oder keine Pride, das war in Budapest die Frage. Vergangene Woche hatte die Polizei die für den 28. Juni geplante 30. Budapester Pride-Demonstration verboten. Daraufhin drückte Gergely Karácsony, Budapests Bürgermeister von Párbeszéd – A Zöldek Pártja (Dialog – Die Grüne Partei), seine Unterstützung für die Pride aus und kündigte an, sie zu einer städtischen Veranstaltung zu machen, die damit keine Genehmigung von der Polizei bräuchte.

Die Polizei reagierte vergangene Woche mit einem erneuten Verbot. Dieses habe jedoch »keinen Bestand«, schrieb seinerseits Karácsony auf Facebook. Die Polizei habe eine Veranstaltung verboten, die es nicht gibt, so Karácsony. Die Stadt organisiere vielmehr offiziell den »Budapest Pride Freedom Day«, eine Veranstaltung anlässlich des ungarischen Unabhängigkeitstages am 28. Juni, welche nicht unter das Versammlungsgesetz falle.

Im März hatte die Regierung Viktor Orbáns per Parlamentsbeschluss die gesetzliche Grundlage für ein Verbot gelegt. Unter Berufung auf das 2021 erlassene sogenannte Kinderschutzgesetz, das die Kommunikation queerer Themen vor Minderjährigen verbietet, wurde das Versammlungsrecht so eingeschränkt, dass de facto alle Veranstaltungen mit queeren Inhalten im öffentlich Raum gegen das Gesetz verstoßen. Pride-Paraden können damit verboten werden, auch die Teilnahme soll geahndet werden. Außerdem wurden die Einsatzmöglichkeiten von KI-basierter Gesichtserkennungstechnologie ausgeweitet: Selbst zur Verfolgung geringfügiger Vergehen wie Ordnungswidrigkeiten kann die Polizei in Zukunft Gesichtserkennungsprogramme einsetzen. So kann die Polizei Pride-Paraden abfilmen, Teilnehmende in Echtzeit oder mit leichter Verzögerung per KI-Software identifizieren und sie mit einem Bußgeld belegen.

Rechte und rechtsextreme Bewegungen versuchen weltweit, unter dem Vorwand des Kinderschutzes die Rechte queerer Menschen einzuschränken. Doch Ungarns Versuch, einer Minderheit gesetzlich das Demonstrations- und Versammlungsrecht zu entziehen, ist in der EU einmalig. Vermutlich wird der Europäische Gerichtshof in der zweiten Jahreshälfte feststellen, dass das ungarische Gesetz von 2021 schwerwiegend gegen EU-Recht verstößt; das Plädoyer der Generalanwältin deutet stark in diese Richtung.

Die Budapester Polizei hatte bereits einen ursprünglich für den 28. Mai geplanten »Marsch für gleiche Rechte für LGBTQI-Personen« aufgrund von »Ähnlichkeiten mit der Budapest Pride« verboten. Die Demonstration wurde anlässlich des fünften Jahrestags des Inkrafttretens eines Gesetzes organisiert, das Trans-Personen das Recht auf Änderung ihres Geschlechtseintrags und Namen verwehrt. Zwar erklärte die Kurie, das oberste Gericht Ungarns, das Verbot zunächst für rechtswidrig, weil die Polizei nicht eindeutig nachweisen konnte, dass die geplante Veranstaltung gegen das sogenannte Kinderschutzgesetz verstoßen würde. Doch nachdem die Veranstalter sie auf einen späteren Termin verschoben hatten, lieferte die Polizei in einem weiteren Verfahren lieferte eine rechtssichere Begründung ihres Verbots.

Teilnahme an der Pride eine Ordnungswidrigkeit

Nach der jüngsten Änderung des Versammlungsrechts ist die Teilnahme an Veranstaltungen wie der Pride eine Ordnungswidrigkeit. Demonstrierende mittels Gesichtserkennungssystemen zu identifizieren, soll mutmaßlich dazu dienen, Szenen von Polizeigewalt und Unruhen auf den Straßen der Hauptstadt zu vermeiden. Das Bußgeld kann bis zu 500 Euro betragen, der entsprechende Bescheid kann noch lange nach dem Verstoß zugestellt werden. Weigern die Betroffenen sich, die Strafe zu bezahlen, kann das Bußgeld sogar ähnlich einer Steuer bei der Gehaltsabrechnung eingezogen werden.

KI-basierte Gesichtserkennungssysteme sind längst Alltag. Mit ihnen lassen sich Smartphones entsperren oder Urlaubsfotos automatisch nach Personen sortieren. Solche KI-Systeme sind in einigen Bereichen praktisch, werfen aber erhebliche ethische und datenschutzrechtliche Fragen auf, erst recht wenn die Polizei sie einsetzt.

Man kann zwei Arten von Gesichtserkennung unterscheiden. Im ersten Fall generiert ein Algorithmus ein eindeutiges Ja-oder-nein-Output, wie beispielsweise bei der Entsperrung von Smartphones. Dafür wird ein Gesicht in einen eindeutig identifizierbaren numerischen Code übertragen und im Smartphone gespeichert.

Im zweiten Fall wird der numerische Code eines Gesichts mit einer großen Datenbank verglichen, um die ähnlichsten Aufnahmen zu finden. Die Erkennung erfolgt anhand von biometrischen Merkmalen im Gesicht. Dazu werden Merkmale im Gesicht, wie der Abstand zwischen den Augen, gemessen und in einen numerischen Code übersetzt.

Falsche Identifikationen

Für eindeutige Ergebnisse braucht es einen Datensatz mit biometrischen Fotos, die Personen identifizierbar machen, sowie qualitativ hochwertige Video- oder Fotoaufnahmen von Überwachungskameras oder Aufnahmen bei Demonstrationen, die mit dem Datensatz verglichen werden können. Gerade bei unübersichtlichen Situationen wie großen Menschenmengen, schlechten Lichtverhältnissen oder teilweise verdeckten Gesichtern steigt die Fehlerquote.

Da die üblichen KI-Systeme hauptsächlich mit Fotos von hellhäutigen Gesichtern trainiert wurden, ist die Fehlerrate bei der Erkennung von dunkelhäutigen Gesichtern noch einmal wesentlich höher. Dies erhöht das Risiko falscher Identifizierungen und ist ein weiterer Beleg für den Rassismus-Bias, den KI-Systeme durch die Trainingsdaten erhalten. 2020 wurde in Detroit der schwarze US-Amerikaner Robert Williams festgenommen, weil eine Gesichtserkennungssoftware fälschlicherweise eine Aufnahme eines Ladendiebs durch eine Überwachungskamera mit einem alten Führerscheinfoto von ihm identifiziert hatte. Es war der erste dokumentierte Fall in den USA, in dem eine falsche Gesichtserkennung zu einer Festnahme geführt hatte.

In Ungarn besteht der Datensatz, mit denen die Aufnahmen von der Budapest Pride abgeglichen werden sollen, aus Fotos von allen Personen, die einen ungarischen Personalausweis, Reisepass oder Führerschein besitzen. Diese werden in einem Register für Gesichtsprofile geführt und am Ungarischen Institut für forensische Wissenschaften gespeichert. Auch Profile aus dem Einwanderungs- und Strafregister sind in dem Datensatz enthalten. In dem Register sind nicht die Fotos selbst gespeichert, sondern die aus ihnen erstellten biometrischen Identifikatoren, also numerische Codes. Bisher mussten die Ergebnisse der Software von Menschen geprüft werden, dieser Schritt soll mit dem im März erlassenen Gesetz entfallen.

Verstoß gegen EU-Recht

Wenn die ungarische Polizei automatisierte Gesichtserkennungssoftware in Echtzeit einsetzt, verstößt die ungarische Regierung Kritikern zufolge gegen EU-Recht, nämlich den Anfang 2024 erlassenen European AI Act, der als erste staatliche Regulierung des Einsatzes von KI-Systemen weltweit gilt. Drei Jahre lang war an diesem Gesetz gearbeitet worden. NGOs hatten immer wieder auf die Risiken hingewiesen, die Gesichtserkennungssysteme für die Menschenrechte darstellen, und darauf hingewirkt, dass der Einsatz solcher Software durch staatliche Behörden in der EU ganz verboten wird. In einem früheren Entwurf war dieses Verbot angedeutet, jedoch wurde es am Ende so weit aufgeweicht, dass Staaten der Einsatz von Gesichtserkennungssystemen unter gewissen Bedingungen erlaubt blieb.

Organisationen wie die Civil Liberties Union for Europe oder die Hungarian Civil Liberties Union argumentieren, dass die ungarische Praxis dem European AI Act widerspricht, und fordern die EU-Kommission auf, dagegen vorzugehen. Doch der European AI Act sieht vor, dass nationale Behörden überprüfen sollen, ob die EU-Gesetze eingehalten werden. Andernfalls können zwar Strafen in Millionenhöhen verhängt werden, doch was passiert, wenn ein autoritärer Staat sich selbst attestiert, gesetzeskonform zu handeln? Diese Frage bleibt im European AI Act unbeantwortet.

Aus dem Umkreis der Veranstalter:in­nen in Budapest hört man, dass die Pride in diesem Jahr die größte in der Geschichte des Landes werden könnte – trotz oder womöglich gerade wegen der Versuche der Regierung, sie zu verbieten. Doch während die Grundrechte eines Teils der ungarischen Bevölkerung erheblich eingeschränkt wurden, ist schon der nächste antidemokratische Gesetzentwurf in Vorbereitung: Das sogenannte Transparenzgesetz soll Medien und Organisationen, die einmal Geld aus dem Ausland erhalten haben, mit sehr hohen Strafzahlungen bedrohen, falls ihre Arbeit gegen »Grundwerte der ungarischen Verfassung« verstößt; auch das Sammeln von Spenden in Ungarn soll das Gesetz für solche Organisationen stark erschweren. Das an ähnliche repressive Regelungen in Russland erinnernde Gesetz würde regierungskritische Arbeit in Ungarn stark einschränken.