14.06.2025 

Vom Hegemon zum Erpresser. Die aggressive Zollpolitik der USA wendet sich gegen bisherige Verbündete

Von Ernst Lohoff

Ursprünglich erschienen in der Jungle World 2025/21 vom 22.05.2025

Das nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA angeführte westliche Lager basierte auf Kooperation zwischen den kapitalistischen Kernstaaten. Der erstarkende Wirtschaftsnationalismus in den USA führt nun zu einer aggressiveren Politik gegenüber den ehemaligen Verbündeten.

Was will Donald Trump? Das dürften sich nicht nur die EU-Vertreter fragen, die derzeit mit den USA über ein neues Handelsabkommen verhandeln. Seit dem sogenannten Liberation Day Anfang April, an dem der US-Präsident Zölle in Höhe von bis zu 50 Prozent auf Importe aus fast 60 Staaten ankündigte, die er bald wieder temporär reduzierte, ändern sich Zollsätze und Ausnahmeregelungen nahezu im Wochenrhythmus. Nach wie vor sind Basiszölle von zehn Prozent auf nahezu alle US-Importe in Kraft, 25 Prozent auf Stahl, Aluminium und Autos, und Trump bedroht zahlreiche Länder mit noch höheren Sätzen. Im Fall der EU-Staaten sind es Zölle in Höhe von 20 Prozent, die wieder in Kraft treten sollen, wenn es kein Handelsabkommen gibt, für China hat Trump einen Strafzoll von 145 Prozent ausgesetzt.

Für die EU kommt erschwerend hinzu, dass sie gleichzeitig mit Trump über seine Ukraine-Politik verhandelt, während dieser in einem Interview Anfang Mai nicht einmal ausschloss, Grönland den USA zur Not auch mit militärischen Mitteln einzuverleiben. Immerhin: Kanada mit Gewalt zu annektieren, »kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen«, sagte Trump im selben Gespräch.

Wenn es um die außenpolitischen Konsequenzen der Trump’schen »America First«-Politik geht, fallen regelmäßig zwei Stichworte: Rückkehr zum Imperialismus und zum Isolationismus. Die beiden Begriffe bezeichnen offensichtlich Gegensätzliches. Imperialismus meint direkte oder indirekte Unterwerfung fremder Territorien und Bevölkerungen. Isolationismus steht dagegen für den Drang, das Schicksal des eigenen Landes von dem der übrigen Welt zu entkoppeln.

Vor dem Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegsphase betrieben die USA tatsächlich eine Mischung aus beidem. Im pazifischen Raum und südlich des Rio Grande agierten sie imperialistisch, was aber Europa anging, isolationistisch. Die USA hielten sich aus den Konflikten der dortigen imperialistischen Mächte heraus und beteiligten sich auch nicht an deren Wettlauf um Afrika. Der Imperialismus in Südamerika fand nach dem Zweiten Weltkrieg seine Fortsetzung. Dagegen brachen die USA nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor Ende 1941 mit dem Isolationismus und übernahmen die Führungsrolle im sich formierenden westlichen Lager.

Kein Zweifel: Die Regierung Trump agiert gegenüber ihren einstigen europäischen Verbündeten aggressiv, für die supranationalen Institutionen, die die USA einst selbst maßgeblich aufgebaut hatten, hat Trump ebenso Verachtung übrig wie für multilaterale Abkommen und die EU. Die in linksliberalen Medien verbreitete Klage über »die Rückkehr des Imperialismus« ist eine Metapher dafür – allerdings eine irreführende. Was das Verhältnis zu ärmeren Ländern angeht, kann schon deshalb nicht von einer Rückkehr des Imperialismus die Rede sein, weil dieser nie verschwunden war. Was sich gerade verändert, sind vielmehr Inhalt und Form der Beziehungen zum Rest der Welt.

Linker und rechter Antiamerikanismus

Die von Donald Trump fast gänzlich geschlossene Entwicklungshilfebehörde USAID (United States Agency for International Development) war das wichtigste Instrument eines Imperialismus mit menschlichem Antlitz. Mit ihrer Zerschlagung verabschieden sich die USA von dem nur bedingt erfolgreichen Bemühen, die Integration ärmerer Länder in den Weltmarkt und eine Lebensperspektive für die dortige Bevölkerung unter einen Hut zu kriegen. Aus den Weltregionen, in denen für die USA ökonomisch nichts zu holen ist, ziehen sie sich zurück und überlassen dem Rivalen China das Feld. Allen voran ist das Afrika, wo die USA bislang der größte Geber von Hilfsgeldern waren. Diese Gleichgültigkeit steht in eklatantem Gegensatz zur Ehrerbietung, die Trump den Herrschern der arabischen Golfstaaten erweist.

Auch für den lateinamerikanischen »Hinterhof« der USA brechen neue Zeiten an. Zuckerbrot gibt es nur noch für befreundete Diktatoren wie El Salvadors Nayib Bukele, der sich als Komplize der US-Abschiebepolitik bewährt; ansonsten wird getestet, was sich mit Erpressung erreichen lässt, wie im Fall Panamas.

Traditionell war die nationalistische Rechte Europas antiamerikanisch und auch Teile der Linken denunzierten die westeuropäischen Regierungen jahrzehntelang als »Vasallen des US-Imperialismus«, als ob sie sich einseitig den Interessen der USA hätten unterwerfen müssen. Das war stets pure Ideologie. Die Formierung des westlichen Lagers im Kalten Krieg markierte vielmehr den Übergang von einem feindlichen Neben- und Gegeneinander der kapitalistischen Kernstaaten zu Kooperation zwischen diesen. In der Nachkriegszeit erwies sich der Westen gerade deshalb als stabil, weil die Zusammenarbeit trotz fortbestehender Interessengegensätze grundsätzlich auf Freiwilligkeit beruhte und alle beteiligten Länder ökonomisch profitierten.

»Make America Great Again«

Auch nach dem Untergang des Realsozialismus bestand diese Konstellation insofern fort, als das Wachstum der Weltwirtschaft immer mehr auf einer Arbeitsteilung zwischen den USA und der übrigen kapitalistischen Welt beruhte, bei der die USA die Produktionsüberschüsse der Industrieproduzenten in der gesamten Welt aufsogen. Gestützt auf die Weltgeldfunktion des US-Dollar überschwemmt die US-amerikanische Finanzindustrie seit den achtziger Jahren den Weltmarkt mit Aktien, Schuldtiteln und anderen Zukunftsversprechen.

Damit wurde es Ländern wie Deutschland, Japan und China jahrzehntelang ermöglicht, im Gegenzug in großem Stil Industriewaren in die USA zu exportieren. Weil der Zustrom ausländischen Geldkapitals die Börsenkurse in den USA nach oben trieb und gleichzeitig auf dieZinsraten drückte, profitierten auch heimische Anleger und Kreditnehmer. In einem Land, in dem die Altersversorgung weitgehend privatisiert ist, sind das breite Bevölkerungsschichten.

Allerdings hat das System für die USA neben seiner Krisenanfälligkeit zwei weitereSchönheitsfehler: die wachsende Außenverschuldung und die Verschärfung der Deindustrialisierung des Landes.

Unter dem Schlagwort »Make America Great Again« haben sich Profiteure und soziale Absteiger dieses Systems zusammengefunden. Grundlage dieses ungleichen Bündnisses ist eine bemerkenswerte Projektionsleistung. In Wirklichkeit sind Deindustrialisierung und die damit verbundene soziale Desintegration das Ergebnis des wirtschaftsliberalen Umgestaltungsprogramms der vergangenen Jahrzehnte und der fortschreitenden Tendenz des Kapitals, durch Produktivitätszugewinne die Masse menschlicher Arbeit in der Warenproduktion zu verringern.

In der Maga-Ideologie tragen dafür der »woke« Linksliberalismus und die »globalistischen Eliten« die Verantwortung. Die eigene Nation vergessend, hätten diese ausländischen Mächten erlaubt, die USA auszunutzen. Die maßgeblich im Interesse von US-Konzernen in die Wege geleitete Transnationalisierung der Waren- und Geldkapitalströme verwandelt sich in den Phantasmen der Trumpisten in ein antiamerikanisches Projekt Chinas und der EU.

Der Antiglobalismus der Regierung Trump

Wirklich konsequent ist der Antiglobalismus der Regierung Trump freilich nur in der Migrationsfrage. Geht es statt um die Drangsalierung und Abschiebung von Menschen um Waren- und Kapitalströme, verfolgt die neue Regierung ein in sich widersprüchliches Programm. Sie skandalisiert lautstark das immense Handelsbilanzdefizit, das der »Globalismus« den USA beschert, setzt aber voraus, dass die Finanzströme aus dem Ausland auch in Zukunft weiterfließen werden. Beides sind aber zwei Seiten einer Medaille.

Und noch in einer anderen Frage kennzeichnet Doppeldenk das Trump’sche Programm. Zwar verlor die US-Industrie Marktanteile, aber US-Konzerne errangen in wichtigen Teilen des IT- Sektors geradezu eine Monopolstellung. Das schlägt sich in beträchtlichen Überschüssen in der Dienstleistungsbilanz nieder, woran auch die US-Unterhaltungsindustrie und die Finanzbranche ihren Anteil haben. Die Trumpisten wollen den Handel mit Industriegütern einschränken, aber entgrenzte Märkte für Google, Microsoft, Hollywood und die Wall Street.

Rhetorisch knüpft die Maga-Bewegung an die isolationistische Tradition der USA an. Allerdings verbirgt sich dahinter ein neuer, gegensätzlicher Inhalt. Der historische Isolationismus war die Begleitideologie einer tatsächlich auf den eigenen Kontinent fokussierten Entwicklungsstrategie. Es ging um den Aufbau einer von Europa unabhängigen Industrie.

Nun möchten die Trumpisten die Kosten einer globalisierten Wirtschaft externalisieren und gleichzeitig deren Nutzen für die USA behalten. Das aggressive Auftreten gegenüber den ungeliebten Noch-Verbündeten in Europa ist dabei kein Zeichen von mehr als rein militärischer Stärke. Der Machthaber in Washington droht mit dem Entzug des atomaren Schutzschilds und ergeht sich in annexionistischen Phantasien in Hinsicht auf Kanada und Grönland, weil die haushohe militärische Überlegenheit der USA das verbliebene Pfund ist, mit dem die einstige westliche Vormacht noch wuchern kann. Damit lassen sich aber nur so lange Zugeständnisse erpressen, wie die Noch-Verbündeten darauf fixiert bleiben, politisch und wirtschaftlich so viel vom Status quo zu retten wie möglich.

Die hiesigen Ökonomen sind sich weitgehend einig: Trumps protektionistische Politik sei zutiefst irrational. Daran ist so viel richtig: Das ständige Hin und Her in seiner Zollpolitik destabilisiert die Weltwirtschaft und belastet auch die US-Ökonomie enorm. Beim Kopfschütteln über den vermeintlich verrückten Präsidenten unterschlagen diese Ökonomen allerdings, dass es sich beim globalisierten Kapitalismus und dem Freihandel keineswegs um ein wunderbar funktionierendes Wirtschaftssystem handelt, das den Wohlstand aller mehrt, sondern um eine irrationale und krisenanfällige Ordnung, die vor allem Verlierer produziert. Trumps Politik ist Symptom und nicht Ursache der Krise des globalisierten Kapitalismus.