28.06.2025 

Hauptsache machen. Die Letzte Generation heißt nun Neue Generation – und wirkt ratlos

Von Minh Schredle

Ursprünglich erschienen in der Jungle World 2025/25 vom 19.06.2025

Ein neuer Name ersetzt keine politische Analyse: Die Letzte Generation heißt jetzt Neue Generation. Von ihren Forderungen scheinen die Klimaschützer selbst nur so halb überzeugt zu sein.

Ohne vorherige Anklage landete Lars Werner im Gefängnis. Das war im November 2022. Der Göttinger war damals 30 Jahre alt und hatte seinen Beruf als Psychologe aufgegeben, um sich Vollzeit dem Klimaschutz zu verschreiben.

Am 3. November hatte er sich mit 13 Vertreter:innen der Letzten Generation auf einer Münchner Straße festgeklebt. Einen Tag später wurden alle Beteiligten in der JVA Stadelheim inhaftiert – möglich gemacht durch das bayerische Polizeiaufgabengesetz. Das wurde einst mit der Begründung eingeführt, man müsse Terrorismus besser bekämpfen können. Es erlaubt der bayerischen Landespolizei allerdings ganz allgemein, von ihr als »Gefährder« eingestufte Personen auch ohne Gerichtsverhandlung 30 Tage in präventiven Gewahrsam zu nehmen.

Über seine drei Wochen hinter Gittern berichtete Werner später, er habe sich in dieser Zeit die Frage gestellt, ob das, was er tut, richtig und sinnvoll sei. Letztlich habe er das bejahen können, und diese Ansicht bekräftigte er am 5. Juni erneut bei einem Online-Vortrag – auch wenn sich seiner Wahrnehmung nach in den vergangenen Jahren »nichts zum Besseren« gewendet habe. Er listet auf: Durch die Erderwärmung drohen sich Dürrephasen zu häufen, ganze Regionen würden unbewohnbar, Millionen von Menschen – vielleicht Milliarden – verlören ihre Heimat, die Zivilisation insgesamt steuere auf einen Kollaps zu.

All das sei lange bekannt und in den wissenschaftlichen Prognosen hätten sich meist die pessimistischsten Szenarien bewahrheitet. Doch in der politischen Sphäre gewinne gerade eine »Allianz der Reichen und Rechten«, die all diese Entwicklungen – so Werner weiter – gezielt herbeiführe, weil sie davon profitiere. Und daher braucht es seiner Meinung nach nun eine friedliche und demokratische Revolution.

Diese Revolution möchte Werner mit der Neuen Generation erreichen, die er an diesem Tag vorstellt. Eigentlich handelt es sich weiterhin um die Letzte Generation, nur mit anderem Namen: Mitglieder, Forderungen und Aktionsformen sind weitgehend identisch, auch wenn sich im Frühjahr eine dissidente Gruppierung namens »Widerstands-Kollektiv« abgespalten hat. Neu ist das Logo, das nicht mehr ein schwarzes Herz in einem orangenen Kreis zeigt, sondern eine orangene Kuppel, die der Gruppe zufolge zugleich einen schützenden Regenschirm und einen Sonnenaufgang symbolisieren soll. Letzterer steht dabei für »Aufbruch. Etwas Neues, nach vorne«.

Werner sagt, um die Menschen abzuholen, brauche es neben Kritik auch ein Angebot. Befragungen zufolge gebe es hierzulande eine ausgeprägte Unzufriedenheit mit ausnahmslos allen Parteien, weil ihnen kaum jemand die Lösung der großen Probleme zutraue. Und auch, weil der Lobbyismus so ausgeprägt sei.

Per Losverfahren zusammengesetzter Bürger:innenrat

Der Ansatz, von dem sich die Neue Generation Besserung verspricht, besteht darin, das gewählte Parlament durch einen per Losverfahren zusammengesetzten Bürger:innenrat zu ergänzen, der die Bevölkerung in den zentralen soziodemographischen Eigenschaften repräsentiert. Bei der Vorstellung der Gruppe verweist Werner zudem auf ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen, das in Umfragen mehrheitlich befürwortet werde – aber nicht eingeführt wird.

Einen Probelauf für ihre Idee unternahm die Neue Generation vom 30. Mai bis zum 1. Juni mit einem »Parlament der Menschen«. »Es war sehr wuselig«, bilanziert Werner das Wochenende, auf dem die Beteiligten unter anderem pantomimisch dargestellt haben, wie sie den Ist-Zustand empfinden, wie sie sich eine bessere Zukunft ausmalen und schließlich wie die Bewegung vom Heute ins Morgen aussehen könnte. Die Taz berichtet allerdings über methodische Schwächen im Auswahlverfahren: Denn eigentlich soll das »Parlament der Menschen« einen Querschnitt der Bevölkerung darstellen.

Aber zu einer repräsentativen Auswahl kam es nicht. Statt dessen habe man über die eigenen E-Mail-Verteiler und Social-Media-Accounts für die Teilnahme geworben und schließlich aus 300 Bewerber:innen eine Gruppe von 60 Leuten ausgesucht, deren Zusammensetzung nach Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund und Bildungsabschluss ungefähr dem der Gesamtbevölkerung entspricht. Und so waren beim ersten »Parlament der Menschen« Gleichgesinnte unter sich.

Die Tragik der Klimaschützer

Daran zeigt sich die Tragik der Klimaschützer, die bereits in den vergangenen Jahren ihre Proteste bestimmt hat: Die Problembeschreibung ist das eine, die Lösung das andere. Dass ein ausgelostes Parlament und eine platte Bonzenkritik signifikant zur Besserung beitragen, darf bezweifelt werden. »Wir dachten, dass man nur laut genug Alarm schlagen müsse, damit sich etwas ändert«, meint Carla Hinrichs, bisher Sprecherin der Letzten und nun der Neuen Generation, zur Taz. In einem funktionierenden System würde es ja auch genau so laufen: Ein Missstand wird festgestellt und behoben. Um darauf hinzuarbeiten, müsste man das System, dessen Missstände man kritisiert, allerdings erst einmal verstehen.

Auch Lars Werner ist skeptisch, ob sich das angestrebte Losverfahren überhaupt einführen ließe, weil es dafür ja vom Parlament verabschiedet werden müsste. Das, so weiß auch er, dürfte aber wenig Interesse daran haben, sich selbst zu entmachten. Also schlussfolgert er, viele ihrer Forderungen hätten eigentlich keine Aussicht, in der bestehenden Gesellschaftsordnung erfüllt zu werden.

Aber da die Zeichen ja überall auf Kollaps stünden, sei es gut, für danach ein paar Konzepte in der Hinterhand zu haben, wie das menschliche Zusammenleben besser funktionieren könnte. In der eigenen Pressemitteilung erscheint das »Parlament der Menschen« denn auch fast als eine Art Beschäftigungstherapie: »Mit diesem Pilotprojekt ins Handeln zu kommen, stand im Vordergrund. Dass noch kein konkreter Plan entstanden ist (dafür sind weitere Parlamente der Menschen geplant), ist nebensächlich. Denn: Neue Wege entstehen, indem sie gegangen werden.«