Von Peter Samol
Ursprünglich erschienen in der Jungle World 2025/34 vom 21.08.2025
Die chinesische Wirtschaft wächst nicht mehr so schnell wie in früheren Jahren und insbesondere der Konsum stagniert. Weil die Industrieproduktion trotzdem weiter ansteigt, werden immer mehr chinesische Produkte exportiert. Das bereitet auch Schwellenländern wie Mexiko oder Südafrika Probleme.
Die Volksrepublik China produziert sehr viel mehr, als im eigenen Land verkauft werden kann. Deshalb überfluten chinesische Produzenten andere Länder mit ihren Waren. 2024 betrug das Gesamtvolumen der Exporte 3,4 Billionen Euro. Nach Abzug der Importausgaben blieb ein Handelsüberschuss von einer Billion Euro, ein neuer Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen 1950.
Die deutsche Wirtschaft wiederum wächst das dritte Jahr in Folge kaum. Außer mit der erratischen Zollpolitik des US-Präsidenten Donald Trump hängt das auch mit dem Exporterfolg Chinas zusammen, denn für Deutschland sind die USA der wichtigste Exportmarkt und China ist der erfolgreichste Lieferant. In früheren Jahren hat Deutschland seine Krisen quasi wegexportiert. Das fällt nun aber schwer bei einer chinesischen Konkurrenz, die oft dieselben Güter wie deutsche Firmen produziert, zum Beispiel Autos, Maschinen und Züge – und das in steigender Qualität und dennoch zu geringeren Kosten.
Aber auch in China nehmen die ökonomischen Probleme zu. Außer in den Jahren der Coronakrise war dort das Wirtschaftswachstum seit Jahrzehnten nicht mehr so schwach wie im Jahr 2024 mit fünf Prozent. Immer noch leidet China unter den Folgen seiner geplatzten Immobilienblase. Nach Angaben der auf China spezialisierten Beratungsfirma Rhodium Group war der Immobiliensektor bis vor kurzem noch für 20 bis 25 Prozent der gesamten chinesischen Wirtschaftsleistung verantwortlich. Dessen Konzerne hatten viele Jahre lang Zugang zu günstigen Krediten und bauten damit Hunderte Millionen Wohnungen. Als die Verkäufe einbrachen und der Leerstand wuchs, erhöhte die chinesische Regierung die Kreditzinsen drastisch. Das beendete den chinesischen Bauboom quasi über Nacht und führte zu enormen Verlusten.
Auch in anderen Wirtschaftssektoren sind in den vergangenen Jahren, ebenfalls oft unterstützt durch günstige Kredite, Produktionsüberkapazitäten entstanden; deren Waren kann man aber anders als Gebäude exportieren. Dazu gibt es auch kaum eine Alternative, denn seit dem Immobiliencrash stagniert der Privatkonsum.
Chinesische Konsumenten sind verunsichert. Die Älteren haben weniger Kaufkraft, weil viele ihr Erspartes in Immobilien angelegt hatten, die nun teilweise stark an Wert verloren haben. Junge Menschen haben große Probleme, in der Erwerbsarbeit Fuß zu fassen. Amtlichen Statistiken zufolge betrug die Arbeitslosigkeit der 16- bis 24jährigen in den vergangenen Jahren um die 20 Prozent, sank aber zuletzt auf circa 15 Prozent. Wer in China einen Abschluss macht, trifft auf eine Wirtschaft, die langsamer wächst und aufgrund technischer Neuerungen weniger Arbeitskräfte benötigt als zuvor.
Tendenz zur Überproduktion
Nicht zuletzt ist der Wohlstand in China sehr ungleich verteilt. Es gibt zu wenige Menschen, die sich all die Produkte leisten können. Und wer Geld hat, spart eher. Obwohl die chinesische Regierung seit Jahren das Ziel ausgegeben hat, den Binnenkonsum zu stärken, sind viele Restaurants und Einkaufszentren wenig besucht; auch die in den vergangenen Jahren ausgebauten Fernzugstrecken sind teils nicht ausgelastet, weil die Fahrscheine für viele zu teuer sind.
Der kapitalistischen Warengesellschaft wohnt ohnehin eine Tendenz zur Überproduktion inne. Produktivitätssteigerungen und technische Entwicklungen ersetzen menschliche Arbeit durch Maschinen und ermöglichen die Produktion von Warenbergen, die weit größer sind als die zahlungsfähige Nachfrage, was zu periodischen Krisen führt. In China hat der Staat den Aufbau von Produktionskapazitäten energisch gefördert und dadurch diesen Prozess beschleunigt und verstärkt.
Eine gewisse Abhilfe kann darin bestehen, die Kaufkraft der Bevölkerung durch höhere Löhne und wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen zu steigern. Das ist aber von der Kommunistischen Partei Chinas kaum zu erwarten. Gewählte Regierungen demokratischer Staaten können die ärmeren Bevölkerungsteile nicht gänzlich vernachlässigen; in China jedoch herrscht unangefochten eine Partei, die keine Wahlen fürchten muss und außerdem eng mit der Industrie verflochten ist.
Hohe Importzölle der USA unter Trump
Präsident Xi Jinping hat deutlich gesagt, dass China nicht den Weg des Wohlfahrtsstaats einschlagen werde, denn der verursache Kosten und fördere »faule« Menschen. Stattdessen sollten Anreize gesetzt werden, hart zu arbeiten. Also werden noch mehr Überkapazitäten aufgebaut, während die Kaufkraft der Bevölkerung stagniert. Das führt zu fallenden Preisen und mithin zu einer Deflation, die auch die Parteiführung mittlerweile als Problem wahrnimmt. Die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua berichtete kürzlich, dass die Regierung den preislichen Unterbietungswettbewerb bei zahlreichen Produkten wie Elektroautos oder Solaranlagen eindämmen und Fabriken Kapazitätskürzungen verordnen wolle.
Während man die eigene Produktion durch Subventionen und billige Kredite fördert, werden zugleich ausländische Unternehmen am Zugang zum chinesischen Markt gehindert. So hält man sich im Inland Konkurrenz vom Leib und flutet seinerseits den Rest der Welt mit billigen Waren. In China werden beispielsweise doppelt so viele Autos gebaut wie verkauft und genug Batterien produziert, um die gesamte Weltnachfrage damit zu stillen. Die Exporte Chinas in alle Welt sind Jahr 2024 um fast sechs Prozent gewachsen, wie das Statistikamt des Landes angibt. Die ohnehin schon lange geringeren Importe vermehrten sich dagegen nur um 1,1 Prozent.
Die Unzufriedenheit darüber in den USA und EU ist eine der wichtigsten Ursachen für die politischen Spannungen mit China. Unter Trump haben die USA hohe Importzölle auf chinesische Solarpaneele und Elektroautos eingeführt; alle chinesischen Güter sind mit Einfuhrzöllen von mindestens 45 Prozent belegt, und Trump droht, sie auf 145 Prozent zu erhöhen. Auch die EU erhebt seit 2024 Zölle auf chinesische Elektroautos.
Mexiko eingeklemmt zwischen den Supermächten USA und China
Die chinesische Exportoffensive bereitet allerdings insbesondere Schwellenländern Probleme, weil sie dort die Entwicklung der Industrie abwürgt. Mexiko sieht sich eingeklemmt zwischen den Supermächten USA und China, den beiden größten Volkswirtschaften der Welt. 80 Prozent aller mexikanischen Exporte gehen in die USA, vor allem Halbfertigprodukte wie Autoteile. Die mexikanischen Importe aus China haben sich den letzten zehn Jahren fast verdoppelt und betragen circa 130 Milliarden US-Dollar, während die mexikanischen Exporte nach China nur knapp zehn Milliarden US-Dollar ausmachen.
Ferner hat Mexiko seine Führungsposition bei seinen meisten Exporten in die USA – zum Beispiel Computer, Bekleidung und Kommunikationsgeräte – an China abgeben müssen und dadurch circa eine Million Arbeitsplätze verloren. Neue Fertigungssektoren wie Medizinprodukte sowie Zulieferung für die Luft- und Raumfahrt haben zwar in Mexiko an Bedeutung gewonnen, aber auch hier holt China auf.
Die Situation verschlimmert sich noch durch die Handelspolitik der Regierung Trump, die den chinesischen Exporteuren vorwirft, das US-Mexiko-Kanada-Abkommen (USMCA) als zollfreie Hintertür zum US-Markt zu missbrauchen, und deswegen die Zölle für Einfuhren aus Mexiko stark erhöht hatte. Derzeit verhandelt Mexiko mit der US-Regierung über ein neues Handelsabkommen, während Trump die Strafzölle nur temporär ausgesetzt hat.
Für den afrikanischen Kontinent ist China mittlerweile der wichtigste Handelspartner. Im Jahr 2000 wurde das Forum für China-Afrika-Kooperation (Focac) ins Leben gerufen, dem außer dem Kleinstaat Eswatini, der lieber Kontakte zu Taiwan pflegt, alle afrikanischen Länder angehören. Viele afrikanische Nationalökonomien profitieren von der chinesischen Nachfrage nach Rohstoffen oder landwirtschaftlichen Produkten, von chinesischen Investitionen und Entwicklungsprojekten.
Allerdings ist das politische Verhältnis vieler afrikanischer Länder zu China ambivalent. Zwar will man sich vom Westen absetzen, spürt aber zugleich die Gefahr, dass Importe aus China zur Deindustrialisierung der eigenen Länder führen beziehungsweise die Entwicklung einer heimischen Industrie behindern. So exportiert Südafrika fast nur noch Bodenschätze nach China, während es im Gegenzug Maschinen, elektrische Geräte und andere Industriegüter importiert.
Diese Waren verdrängen eigene Produkte vom Markt und degradieren Südafrika tendenziell zum bloßen Rohstofflieferanten. Das ist riskant, denn wie man schon bei Karl Marx nachlesen kann, werden die Preise von Bodenschätzen durch Differentialrenten, also Gewinne nur aus Preisvorteilen, und kaum aus der Wertschöpfung durch Arbeit bestimmt. Die Folge sind extreme und hochgradig von der Weltkonjunktur abhängige Preisschwankungen, die eine zuverlässige Zukunftsplanung nahezu unmöglich machen.