20.11.2018 

„Es bedarf einer neuen Perspektive gesellschaftlicher Emanzipation“

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Ein Gespräch über die Entstehung und Entwicklung der Wertkritik, die fundamentale Krise des Kapitalismus und den fortschreitenden gesellschaftliche Irrationalismus

Interview mit Ernst Lohoff und Norbert Trenkle (Gruppe Krisis)
von Marcos Barreira und Javier Blank (Rio de Janeiro)
[1]

Zu Beginn würden wir gerne ein wenig über die Anfänge des theoretischen Projekts der Zeitschrift Krisis, die seit über 30 Jahren existiert, und den Kontext der deutschen Linken in den 1980er-Jahren, sprechen. Wie kam es zur Entstehung der Zeitschrift und welche waren die anfänglichen Ziele?

Ernst Lohoff: Anfang der 1980er-Jahre war die neomarxistische Welle, die im Gefolge der 1968er-Bewegung alle westlichen Länder erfasst hatte, auch in der BRD am Abflauen. Vor allem die akademische Linke geriet damals zunehmend in den Sog postmodernistischer Ansätze. Und auch die Protestlandschaft hatte sich gegenüber der ersten Hälfte der 1970er-Jahre grundlegend verändert. Gruppen mit einem allgemeinen antikapitalistischen Anspruch zerfielen oder wurden marginalisiert. Stattdessen beherrschten Ein-Punkt-Bewegungen die Szene – in der BRD waren das vor allem die Ökologie- und die Friedensbewegung.

Die Initiatoren des Projekts Krisis sahen in diesen Entwicklungen Symptome einer fundamentalen Krise radikaler Kapitalismuskritik, an der die Neue Linke ein gehöriges Maß an Mitschuld trug. Vor allem ein entscheidendes Versäumnis trieb uns um: Die Neue Linke hatte zwar die Kapitalismuskritik wieder entdeckt, aber ohne sie auf ein neues, der inzwischen erreichten Entwicklungsstufe des Kapitalismus adäquates theoretisches Fundament zu stellen. Stattdessen waren entweder aus der Aufstiegsphase der Warengesellschaft überkommene anachronistische Ansätze wie der Arbeiterbewegungs-Marxismus neu eingekleidet worden, oder man hatte aus dem Fehlen eines geeigneten theoretischen Bezugsrahmens eine Philosophie gemacht und sich einem kurzatmigen Spontaneismus verschrieben. Für den Prozess einer erfolgreichen Neuformierung einer Systemopposition ist eine auf der Höhe der Zeit befindliche gesellschaftskritische Theorie aber unabdingbar – so damals schon unsere Überzeugung.

Die spätere Krisis-Gruppe, deren Mitglieder aus unterschiedlichen Segmenten der Neuen Linken kamen, formierte sich in der Absicht, einen Beitrag zur versäumten Neuformulierung radikaler Kapitalismuskritik zu leisten und mit der Zeitschrift dem dazu notwendigen Theoriebildungsprozess ein Forum zu geben. Schon die Fokussierung auf die theoretische Fundierung radikaler Kapitalismuskritik machte aus unserem Projekt damals ein antizyklisches Unternehmen. Die inhaltliche Schwerpunktsetzung unseres theoretischen Selbstverständigungsprozesses verschärfte das noch. Indem unsere kleine Autorengruppe begann, Basiskategorien der Marx’schen Theorie wie den Wert konsequent kritisch zu interpretieren, um sie dadurch für die Analyse des zeitgenössischen Kapitalismus fruchtbar zu machen, trieben wir so ziemlich das Gegenteil von dem, was damals in der theoretisch reflektierteren Linken angesagt war. Vor allem die wertkritische Krisenprognose, derzufolge die kapitalistische Produktionsweise dabei sei, ihre eigenen Grundlagen zu zerstören, galt angesichts der durch die Entfesselung der Finanzmärkte ausgelösten neuen Akkumulationsdynamik als offensichtlich absurd. Dementsprechend erbärmlich war es in den ersten Jahren um die Resonanz des jungen wertkritischen Ansatzes bestellt. Intern bezeichneten wir die Zeitschrift damals selbstironisch als unsere „publizistische Flaschenpost“.

Mit dem Untergang des Realsozialismus und dem Mauerfall in Berlin bekam auch die Mauer des Schweigens und Desinteresses gegenüber dem wertkritischen Ansatz ein erstes Loch. Das Buch Der Kollaps der Modernisierung. Vom Zusammenbruch des Kasernensozialismus zur Krise der Weltökonomie von Robert Kurz war die erste wertkritische Publikation, die ein breiteres Publikum fand. Das kam nicht von ungefähr: Die übrige Linke war angesichts der Selbstauflösung des Ostblocks völlig verunsichert und hatte dem liberalen Triumphgeheul über den vermeintlichen Endsieg von Demokratie und Marktwirtschaft nichts entgegenzusetzen. Der wertkritische Ansatz aber war dazu in der Lage.

Im Editorial von Krisis 8/9[2], die kurz nach dem Fall der Mauer erschien, können wir lesen: „Es ist keine Neuigkeit für uns gewesen, dass das realsozialistische Gebälk mehr als morsch war. Die radikale Kritik der realsozialistischen Reproduktionsform war von Beginn an ein zentrales Moment unserer ‚fundamentalen Wertkritik’“. Wie war, in groben Zügen, eure Sicht des Staatssozialismus?

Norbert Trenkle: Wir haben den sogenannten Realsozialismus schon in den 1980er-Jahren, also schon vor seinem Zusammenbruch, radikal kritisiert. Nicht etwa, weil wir dachten, er stelle eine vermeintliche Abweichung von einer an sich richtigen Idee dar, wie etwa die Trotzkisten bis heute argumentieren, sondern viel grundsätzlicher: Wir sahen darin ein System nachholender kapitalistischer Modernisierung, also eine spezifische Variante des Kapitalismus, die zusammen mit diesem aufgehoben werden musste. Von einer Variante zu sprechen, heißt natürlich auch, dass es Unterschiede zum Kapitalismus im „westlichen Block“ gab. Das betrifft hauptsächlich die zentrale Rolle des Staates, die sich im Wesentlichen aus seiner Funktion als Modernisierungsagentur erklärt. In dieser Funktion hat der Staat in dem peripheren Russland überhaupt erst einmal die Grundlagen und Voraussetzungen für eine kapitalistische Gesellschaft geschaffen. Dass dieses „Modell“ der zentralstaatlichen Steuerung der Wirtschaft und der Gesellschaft dann später auch auf Staaten ausgedehnt wurde, die eigentlich kapitalistisch schon viel weiter entwickelt waren, hing vor allem mit dem Ausgang des Zweiten Weltkrieges zusammen, der bekanntlich in die Bildung von zwei globalen Machtblöcken mündete. Im Prinzip handelte es sich aber um eine Erscheinungsform des nachholenden Kapitalismus im 20. Jahrhundert. Ähnliche Entwicklungen gab es im Prinzip in fast allen Teilen der kapitalistischen Peripherie. Auch in Brasilien spielte ja der Staat eine wichtige Rolle in der ökonomischen Modernisierung in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Im Realsozialismus war die Etatisierung jedoch viel stärker ausgeprägt und vor allem ideologisch stark aufgeladen. Die Tatsache, dass der Staat dort versuchte, alle ökonomischen und gesellschaftlichen Prozesse umfassend zu planen und zu kontrollieren, stellte sich in der Wahrnehmung sowohl der Anhänger wie der Gegner so dar, als handle es sich dabei um eine Systemalternative zum Kapitalismus.[3]

Tatsächlich jedoch existierten dort alle gesellschaftlichen Kategorien und Institutionen, die für eine kapitalistische Gesellschaft wesentlich sind. Es gab eine Aufspaltung der Gesellschaft in partikulare Interessenssubjekte, Waren, Geld und Lohnarbeit und sogar einen Markt, nur dass dieser extrem stark reguliert war und die Preise staatlich  festgesetzt wurden. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass ja, ganz grundsätzlich betrachtet, der moderne Staat selbst zum Kernbestand einer warenproduzierenden Gesellschaft gehört. Damit meinen wir eine Institution, die der Gesellschaft als veräußerlichter, zentralisierter Herrschaftsapparat gegenübertritt, der über das Gewaltmonopol verfügt oder jedenfalls dieses beansprucht.

Diese Veräußerlichung ist Ausdruck einer widersprüchlichen Grundstruktur der kapitalistischen Gesellschaft, die in lauter isolierte Privatproduzenten und Privatpersonen zerfällt, welche ihren gesellschaftlichen Zusammenhang darüber herstellen, dass sie ihre partikularen Interessen gegeneinander verfolgen. Darin enthalten ist aber schon die Verdinglichung der sozialen Beziehungen und deren Verselbstständigung gegenüber den Menschen. Denn als partikulare Interessenssubjekte stellen die Menschen ihre Beziehung untereinander über Waren her. Marx spricht in diesem Zusammenhang bekanntlich vom Fetischcharakter der Waren, weil sich die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen in die Beziehungen von Sachen verwandeln und die Sachen ein Eigenleben gegenüber ihren Produzenten führen. Untrennbar damit verbunden ist übrigens die zentrale Stellung der Arbeit im Kapitalismus. Denn da die Ware ihrem Wesen nach ja nichts anderes ist als das Produkt isolierter Privatarbeit, kommt der Arbeit die Funktion der gesellschaftlichen Vermittlungsinstanz zu, was für die meisten Menschen bedeutet, dass sie ihre Arbeitskraft in der einen oder anderen Weise verkaufen müssen. Das ist auch der Grund, weshalb die Arbeit einen so hohen moralischen Status in der kapitalistischen Gesellschaft genießt und im sogenannten Realsozialismus geradezu religiös verehrt wurde.

Normalerweise wird die Vermittlung über die Arbeit im Wesentlichen über den Markt geregelt, der allerdings immer schon in der einen oder anderen Weise staatlich reguliert wurde und wird. Im „Realsozialismus“ dagegen versuchte der Staat den Vermittlungsprozess und die Akkumulation von Kapital über Planvorgaben und über die Fixierung von Preisen so zu steuern, wie es im Sinne der nachholenden Modernisierung erwünscht war. Das konnte so lange einigermaßen funktionieren, wie es noch darum ging, die wichtigsten Basisindustrien und eine allgemeine Infrastruktur aufzubauen. Damit einher ging übrigens auch die massenhafte gewaltsame Zurichtung der Menschen auf den kapitalistischen Produktionsprozess, was der Stalinismus bekanntlich auf besonders brutale Art und Weise bewerkstelligte. Aber je komplexer die Produktion wurde und je höher das Produktivitätsniveau, desto weniger funktionierten die Methoden zentralisierter staatlicher Planung und des direkten Zwangs. Das zeigte sich spätestens in den 1970er-Jahren, als auch im Westen das fordistische Akkumulationsregime in die Krise geriet und die Dritte industrielle Revolution ihren Ausgang nahm. Diesen Produktivkraftsprung konnte der „Realsozialismus“ nicht mehr bewältigen. Deshalb fiel er in der Weltmarktkonkurrenz immer weiter zurück und zerbrach schließlich an seiner eigenen ökonomischen Schwäche.

Zur gleichen Zeit wurde der Name der Zeitschrift und des theoretischen Projekts geändert, und zwar, wie es scheint, motiviert durch den Epochenbruch von 1989. Der Name Krisis bezieht sich nicht nur auf die Beschreibung einer objektiven Situation, sondern auch auf die Handlungsebene, auf einen „Moment der Entscheidung“. Welche Erwartungen bestanden bei euch im Hinblick auf den Kollaps des „Realsozialismus“?

Norbert Trenkle: Der Grund für die Namensänderung der Zeitschrift von Marxistische Kritik zu Krisis – Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft war nicht der Kollaps des Realsozialismus; dieser gab nur den letzten Anstoß dafür. Tatsächlich hatten wir uns schon einige Zeit zuvor die Frage gestellt, ob unsere Position überhaupt noch adäquat mit dem Attribut „marxistisch“ zu charakterisieren sei. Denn ein ganz wesentliches Element unserer Theoriebildung war gerade in der Anfangsphase die Kritik des „traditionellen Marxismus“, der für uns so ziemlich alle damals existierenden marxistischen Strömungen umfasste. Im Unterschied zu ihm knüpften wir an dem Strang der Marx‘schen Theorie an, den der Marxismus fast durchgängig ignoriert oder völlig verdreht hatte. Unser Ansatz war es, die Kritik des Kapitalismus als einer fetischistisch konstituierten Gesellschaft weiterzudenken, also einer Gesellschaft, die sich über Warenproduktion und Arbeit vermittelt und in der die gesellschaftlichen Beziehungen den Menschen als versachlichte Zwänge, als scheinbare Naturgesetze, gegenübertreten. Der traditionelle Marxismus hat genau diesen entscheidenden Aspekt nie verstanden und versteht ihn bis heute nicht. Für ihn bildeten und bilden stets die Klassenherrschaft und der Klassenkampf den Dreh- und Angelpunkt der Kritik, was immer auch mit einem positiven Bezug auf die Arbeit einhergeht. Soweit er überhaupt den Fetischcharakter der Ware thematisiert, sieht er darin in der Regel nur die Verschleierung der Klassenverhältnisse.

Genau dieses Kernverständnis des traditionellen Marxismus hatten wir bereits in den ersten Ausgaben unserer Zeitschrift, noch unter dem Namen Marxistische Kritik (MK), heftig attackiert. So kritisierte Robert Kurz in seinem Aufsatz Abstrakte Arbeit und Sozialismus (MK 4) den positiven Bezug auf die abstrakte Arbeit, und in MK 7, die im Juli 1989 erschien, griffen Ernst Lohoff und Robert Kurz mit ihrem Text Der Klassenkampf-Fetisch das Klassenkampf-Paradigma frontal an.[4] Zugleich hinterfragte Peter Klein in einer dreiteiligen Artikelserie den affirmativen Demokratiebegriff des traditionellen Marxismus und verwies darauf, dass Demokratie und Kapitalismus keinesfalls im Gegensatz zueinander stehen, sondern vielmehr logisch zusammengehören.[5] Vor diesem Hintergrund zeigte er in einer Auseinandersetzung mit Lenins Demokratievorstellungen, dass die Oktoberrevolution schon im Ansatz nichts anderes war als eine bürgerliche Revolution an der kapitalistischen Peripherie.[6]

Schließlich stellte aber auch unsere Krisentheorie das Selbstverständnis des traditionellen Marxismus grundsätzlich infrage. Denn unserer Analyse zufolge ist der Kapitalismus ja bereits seit den 1970er-Jahren in einem fundamentalen, unlösbaren Krisenprozess eingetreten, weil mit dem Übergang zur Dritten industriellen Revolution die Anwendung des Wissens auf die Produktion zur Hauptproduktivkraft geworden ist und der Arbeit nur noch eine sekundäre Bedeutung zukommt. Ökonomisch betrachtet, bedeutet das eine massenhafte Verdrängung der Arbeitskraft aus den Kernsektoren der Wertproduktion und damit ein Abschmelzen der Wertmasse.[7] Zugleich verliert damit aber auch die Arbeiterklasse ihre zentrale Stellung für die Akkumulation des Kapitals. Und genau das aber ist mit den ideologischen Grundlagen des traditionellen Marxismus, der sich ja immer auf den Standpunkt der Arbeit gestellt hat, nicht kompatibel. Soweit er überhaupt den Gedanken an eine fundamentale Krise zugelassen hat, war dieser immer verknüpft mit dem Erstarken der Arbeiterklasse, die er sich als das Subjekt der Revolution oder der gesellschaftlichen Transformation imaginierte. Dass nun aber im Zuge der Krise genau das Gegenteil eintreten sollte, war undenkbar.[8] Schon allein aus diesem Grund – aber nicht nur aus diesem – hat der traditionelle Marxismus unsere Krisentheorie stets abgelehnt und als „katastrophistisch“ diffamiert.

Tatsächlich jedoch erlaubt unsere Krisentheorie eine ziemlich präzise Analyse der ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Prozesse seit den 1970er- und 1980er-Jahren. Wie schon gesagt, bestand ein wesentlicher Grund für den Kollaps des „Realsozialismus“ darin, dass der Versuch, ein System allgemeiner Warenproduktion staatlich zu steuern, vor den Anforderungen der Dritten industriellen Revolution endgültig zum Scheitern verurteilt war. Der Übergang zu Produktionsmethoden, in denen das Wissen die Hauptproduktivkraft darstellt, war mit den Mitteln zentralisierter Planung der Wertströme nicht mehr zu bewältigen. Das hatten wir, ausgehend von unserer Krisentheorie, bereits Mitte der 1980er-Jahre prognostiziert, allerdings waren wir dann doch etwas überrascht, als der Realsozialismus so plötzlich und heftig in sich zusammenfiel wie ein Kartenhaus. Aber eine auf der grundsätzlichen, kategorialen Ebene angesiedelte Analyse ist eben nicht unbedingt in der Lage, die genauen Zeitpunkte und Verlaufsformen von solchen Prozessen vorauszusagen. Es geht ihr um die Erklärung des inneren Zusammenhangs. Genau das zeigte sich auch – auf umgekehrte Weise – hinsichtlich unserer Krisenprognosen für das kapitalistische Weltsystem. Wir rechneten Anfang der 1990er-Jahre damit, dass der von uns diagnostizierte Krisenprozess sehr viel schneller und heftiger voranschreiten würde, als es dann tatsächlich der Fall war. Im Nachhinein und mit unserem heutigen krisentheoretischen Instrumentarium lässt sich die lange Dauer des Krisenprozesses und seine Verlaufsform zwar theoretisch schlüssig erklären; doch aus damaliger Sicht erschien uns der Kollaps des Realsozialismus als unmittelbarer Auftakt zu einem zeitlich sehr bald folgenden Zusammenbruch des kapitalistischen Weltsystems.

Aber noch in einer anderen Hinsicht sahen wir damals den Zusammenbruch des „Realsozialismus“ als Wendepunkt an. Wir dachten, dass sich damit der traditionelle Marxismus endgültig erledigt hätte und das Feld bereitet sei für eine Erneuerung der fundamentalen Kapitalismuskritik und für eine radikale gesellschaftliche Transformation. Leider haben wir uns jedoch auch in dieser Hinsicht geirrt. Vielmehr war über ein gutes Jahrzehnt hinweg Kapitalismuskritik in der breiten Öffentlichkeit und in der theoretischen Diskussion insgesamt diskreditiert; doch in dem Maße, wie die Krisenerscheinungen immer spürbarer wurden und der zunächst als Sieger gefeierte neoliberale Kapitalismus in die Kritik geriet, hat leider auch der traditionelle Marxismus wieder an Kraft gewonnen. Und das Schlimmste daran ist, dass er heute zunehmend in einer regressiven Schrumpfversion populär wird, als autoritärer Links-Nationalismus und Links-Populismus, der sich teilweise kaum noch vom Rechts-Populismus unterscheiden lässt.

Im Laufe der 1990er-Jahre konzentrierte sich die Theorie von Krisis auf die Kritik der Basisformen der modernen Gesellschaft, wobei der Bezug auf die Marx‘sche Kritik von einer „Dialektik von Bruch und Kontinuität“ geprägt war. Welche waren die wichtigsten Elemente dieser Kritik, und worin bestand der Bruch mit der althergebrachten marxistischen Perspektive?

Norbert Trenkle: Die Kritik der Basisformen der kapitalistischen Gesellschaft stand eigentlich schon von Anfang an im Mittelpunkt unserer theoretischen Arbeit. Aber es ist richtig, dass wir in den 1990er-Jahren diese Kritik vertieft und konsequent weitergedacht haben. So folgte etwa nach der Kritik am Klassenkampf-Paradigma und an der Ontologisierung der abstrakten Arbeit nun die Kritik an der Arbeit als solcher, die wir als die zentrale, historisch-spezifische Basisform der kapitalistischen Gesellschaft betrachten.[9]

Außerdem wurde uns auch bewusst, dass die verkehrten und verkürzten Sichtweisen des traditionellen Marxismus nicht einfach nur auf eine falsche Lesart des Marx‘schen Werkes zurückgehen, sondern durchaus – zumindest partiell – darin angelegt und vorbereitet sind. Bei Marx lassen sich grob gesagt zwei Tendenzen feststellen, die sich im Grunde widersprechen – jedenfalls kann man das in der historischen Rückschau so sagen. Die eine Tendenz haben wir als modernisierungstheoretisch bezeichnet, weil sie sich im Grunde affirmativ auf die Kategorien der kapitalistischen Gesellschaft bezieht und diese als notwendiges historisches Durchgangsstadium hin zu einer kommunistischen Gesellschaft betrachtet. Wir erkennen hier eine dem Aufklärungsdenken verhaftete, geschichtsphilosophische Perspektive, die sich von Hegel und Co. nur durch ihren sogenannten Materialismus unterscheidet, insofern sie nämlich die Entwicklung der Produktivkräfte, die Arbeit und den Klassenkampf zum Agens der Geschichte erklärt. Im sogenannten HistoMat ist diese Denkfigur dann später bis zur Karikatur banalisiert worden.[10] Damit verbunden ist immer auch ein positiver Bezug auf die Arbeit, die als überhistorische Kategorie erscheint und dem Kapital nur äußerlich unterworfen sein soll. Die Arbeit kann so zum Standpunkt der Emanzipation erklärt werden, und es lässt sich begründen, wieso die Arbeiterklasse das historische Subjekt sein soll, das dazu prädestiniert sei, den Kommunismus zu verwirklichen.

Die andere Tendenz im Marx‘schen Werk hingegen ist die radikale Kritik an den Basisformen der kapitalistischen Gesellschaft. Bekanntlich beginnt das Marx‘sche Hauptwerk ja mit einer Untersuchung über das Wesen der Ware, die er als „Elementarform“ der bürgerlichen Gesellschaft bezeichnet. Von diesem Ausgangspunkt aus entwickelt er systematisch alle anderen Basisformen wie den Wert, das Geld und das Kapital, das er als „automatisches Subjekt“ der kapitalistischen Gesellschaft bezeichnet. Gleichzeitig zeichnet er eine aufsteigende Folge von immer entwickelteren Fetischformen nach, beginnend mit dem Warenfetisch über den Geldfetisch bis hin zum Kapitalfetisch. Untrennbar verbunden mit diesem „Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten“, wie Marx seine Methode in den Grundrissen charakterisiert, ist seine Krisentheorie. Im Grunde ist die Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Gesellschaft schon im Widerspruch von Gebrauchswert und Tauschwert enthalten, weil darin die Verselbstständigung des abstrakten Reichtums in Gestalt des Werts gegenüber dem stofflichen Inhalt der Produktion angelegt ist.[11] Natürlich ist damit zunächst nur die abstrakte Möglichkeit der Krise benannt, aber sie ist der notwendige logische Ausgangspunkt, um die letztliche Unhaltbarkeit der kapitalistischen Produktionsweise nachzuzeichnen.

Es ist kein Geheimnis, dass wir an eben diesem Marx der Formkritik anknüpften, den Ernst Lohoff in seinem Aufsatz Das Ende des Proletariats als Anfang der Revolution (Krisis 10, 1991) in Anlehnung an Roman Rosdolsky als „esoterischen Marx“ bezeichnete, weil er die merkwürdige real-metaphysische Struktur des Kapitalismus, also seinen Fetischcharakter, dechiffrierte. Den „exoterischen Marx“, den Marx der Modernisierungstheorie, verwarfen wir hingegen als historisch überholt. Später brachte Robert Kurz dann für diesen Sachverhalt auch die Rede vom „doppelten Marx“ auf.[12] In diesem Sinne kann man von Kontinuität und Bruch in Bezug auf die Marx‘sche Theorie sprechen.

Eure Kritik an den Basisformen der bürgerlichen Gesellschaft führte auch zur Subjektkritik. Roswitha Scholz hat in den frühen 1990er-Jahren in der Aussage „Der Wert ist der Mann“[13] die These formuliert, dass das moderne Subjekt seinem Wesen nach „männlich“ konstituiert ist und dass diese Konstitution auf der Vergesellschaftung über Ware und Wert beruht. Das war die Überschrift eines Artikels, in dem sie das Theorem der Wertabspaltung vorstellt. Wie steht ihr zu diesem Theorem und der darin entwickelten Kritik am Geschlechterverhältnis im Kapitalismus?

Norbert Trenkle: Das Theorem der Wertabspaltung stellt einen wichtigen Schritt in der theoretischen Entwicklung der Wertkritik dar, weil es die patriarchale Struktur der kapitalistischen Gesellschaft konsequent auf die historisch-spezifische Form der Vergesellschaftung über Ware, Wert und Arbeit bezieht. Das macht einen grundsätzlichen Unterschied zu den gängigen kapitalismuskritischen Ansätzen im Feminismus aus, die in der Regel rein additiv vorgehen und das Patriarchat als eine zusätzliche Form der Herrschaft neben der Klassenherrschaft und der rassistischen Herrschaft verstehen, die sogenannte triple oppression. Entgegen diesem äußerlichen Bezug zwischen verschiedenen Formen der Herrschaft insistiert das Abspaltungstheorem auf einem inneren, konstitutiven Zusammenhang von männlicher Dominanz und kapitalistischer Gesellschaft. Demnach ist die Vergesellschaftung über den Wert notwendig auf die ständige Herstellung eines abgespaltenen, weiblich eingeschriebenen „Anderen“ angewiesen, in welches all jene Momente gewissermaßen ausgelagert werden, die in der versachlichten, warenförmig konstituierten Rationalität keinen Platz finden.

Diese Abspaltung unterliegt zwar in ihrer konkreten Ausgestaltung historischen Wandlungen, stellt aber ein Basisprinzip der Warengesellschaft dar, das auf den verschiedenen Ebenen des gesellschaftlichen Zusammenhangs wirksam wird. Am offensichtlichsten ist das vielleicht in der Sphäre der Arbeit, die konstitutiv auf dem Ausschluss eines ganzen Spektrums an Tätigkeiten beruht, die als Nicht-Arbeit definiert werden, obwohl sie für die Aufrechterhaltung der Gesellschaft unentbehrlich sind, und die überwiegend den Frauen zugewiesen werden. Im traditionellen Marxismus entspricht das ungefähr der Trennung in die Sphären von Arbeit und Reproduktion. Aber die Abspaltung beschränkt sich keinesfalls auf ein funktionales Verhältnis, in dem Sinne, dass die Frauen durch unentgeltliche Haus- und Caretätigkeiten zur Reproduktion der Arbeitskraft beitragen. Vielmehr ist sie schon auf der grundlegenden Ebene der Subjektkonstitution wirksam und prägt die binäre Geschlechterordnung und –hierarchie im Kapitalismus, die trotz ihrer Aufweichung in den letzten Jahrzehnten immer noch vorherrscht. Das moderne Subjekt konstituiert sich darüber, dass es sich selbst und andere zum Objekt macht. Das liegt im Wesen eines gesellschaftlichen Verhältnisses begründet, in dem die Menschen sich als vereinzelte Privatpersonen gegenübertreten und über Warenproduktion und Arbeit miteinander in Beziehung treten; es ist aber zugleich auch ein wesentliches Merkmal dessen, was in der kapitalistischen Moderne als „männlich“ gilt.

In diesem Sinne trifft der Satz „der Wert ist der Mann“ ins Schwarze. Das moderne Subjekt ist seinem Wesen nach „männlich“ im Sinne einer historisch-spezifischen Konstitution, während „das Weibliche“ in Abgrenzung davon bestimmt wird. Auch das ist in der gesellschaftlichen Beziehungsform angelegt. Das „männliche“ Subjekt kann die objektivierende Beziehung zur umgebenden Welt nur herstellen und durchhalten indem es sich ein Gegenbild schafft, das gewissermaßen den „Behälter“ für die abgespaltenen Begierden, Gefühle und Bedürfnisse darstellt, die er als Subjekt nicht zulassen darf. Dieses Bild der „Weiblichkeit“ hat sich zwar in jüngerer Zeit deutlich verändert, aber damit wurde die Struktur der Abspaltung nicht aufgehoben, sondern nur verschoben.

Im Prinzip stimmen wir also mit dem zuerst von Roswitha Scholz entwickelten Abspaltungstheorem überein. Allerdings sehen wir ein Ungenügen darin, dass sie den Wert im Grunde nur als abstraktes Strukturprinzip auf einer Metaebene denkt und daher die Subjektform als eine Art Anhängsel des Werts erscheint, das von diesem determiniert wird. Damit bleibt aber auch die Kritik an der Wertabspaltung auf eine sehr abstrakte Metaebene beschränkt, die dann durch ideologiekritische und sozialpsychologische Anbauten ergänzt werden muss. Wir haben deshalb nach der Trennung von Robert Kurz und Roswitha Scholz versucht, das Abspaltungstheorem aus der Perspektive einer grundsätzlichen Subjektkritik weiter zu denken. Dazu gibt es einige Texte vor allem von Ernst Lohoff und Karl-Heinz Lewed.[14] Allerdings müssen wir auch zugeben, dass unsere Subjektkritik, und mit ihr auch die Frage der geschlechtlichen Abspaltung, insgesamt noch viel stärker ausgearbeitet werden muss.

Während der weltwirtschaftlichen Expansion der 1980er und 1990er-Jahre war die Prognose einer fundamentalen Krise nur aufrechtzuerhalten, wenn sich der Aufschub des Kollapses erklären ließ. In diesem Zusammenhang spielte der Gedanke einer Aufblähung des Finanzüberbaus eine wichtige Rolle. Könntet ihr uns diese Situation und die ideologischen Reaktionen auf den Krisenaufschub etwas genauer beschreiben?

Ernst Lohoff: In den 1970er-Jahren hatte sich der fordistische Nachkriegsboom, der noch auf der massenhaften Vernutzung lebendiger Arbeit in der industriellen Produktion beruhte, erschöpft. Dementsprechend gerieten beide Varianten der Warengesellschaft, die östlich-etatistische genauso wie die westlich-marktwirtschaftliche, in eine Phase der Stagnation und der Krise. In den kapitalistischen Kernstaaten trat das Phänomen der „Stagflation“ auf, das Nebeneinander von fallenden Wachstums- und steigenden Inflationsraten, und es wurden massenhaft Arbeitskräfte entlassen. Die realsozialistischen Staaten fielen ihrerseits im Produktivitätswettlauf immer weiter zurück und konnten in der weltwirtschaftlichen Konkurrenz nicht mehr mithalten. Hingegen machten in den 1980er-Jahren beide Abteilungen des warenproduzierenden Weltsystems gegenläufige Entwicklungen durch. Während sich im „Ostblock“ die Krise zuspitzte, machten die westlichen Marktwirtschaften eine Metamorphose durch, die der Kapitalakkumulation eine neue – wenn auch, langfristig betrachtet, höchst prekäre – Grundlage verschaffte. Die neoliberale Revolution sorgte für die Entfesselung der Finanzmärkte und setzte diese damit in den Stand, das industrielle Kapital als Hauptträger der globalen Kapitalakkumulation abzulösen. Es bildete sich ein neuer Typus von Kapitalismus heraus, in dem die Akkumulation „fiktiven Kapitals“ (Marx), also die explosionsartige Vermehrung von Krediten und von Finanztiteln aller Art, zum eigentlichen Motor der Wirtschaft geworden ist.

Diese Metamorphose der Kapitalakkumulation ließ sich freilich im Rahmen der etatistischen Ordnung des Realsozialismus nicht vollziehen, und deshalb war dessen Zusammenbruch letztlich auch unvermeidlich. Aus der ideologischen Perspektive des Liberalismus stellte sich dieser Zusammenbruch allerdings so dar, als habe sich die überlegene gesellschaftliche Ordnung im Konkurrenzkampf zweier völlig wesensverschiedener Systeme durchgesetzt. Denn da der Liberalismus – wie das herrschende Denken insgesamt – sich keine entwickelte Gesellschaft vorstellen kann, die nicht in getrennte Privatproduzenten aufgelöst wäre und ihren Reichtum in der Gestalt von Waren produzierte, ist er grundsätzlich blind dafür, dass der Realsozialismus und der westliche Kapitalismus nur zwei Varianten einer historisch-spezifischen Vergesellschaftungsform darstellten. Und statt zu erkennen, dass das Menetekel im Osten von der letztlichen Unhaltbarkeit dieser auf Ware, Geld und abstrakter Arbeit beruhenden Vergesellschaftungsform kündete, sah er darin vielmehr den Beweis für die Großartigkeit und Vernünftigkeit seiner eigenen Variante des Kapitalismus.

Der ökonomische Aufschwung, der mit dem Übergang zu einem von der finanzindustriellen Akkumulation getragenen Kapitalismus einherging, stützte diese Fehleinschätzung. Vor allem als in den 1990er-Jahren der Boom der „New Economy“ die Börsenkurse auf sensationelle Höhen trieb und in dessen Gefolge die Weltwirtschaft Fahrt aufnahm, überschlug sich der Zukunftsoptimismus. Damals, in der Hochzeit des Neoliberalismus, herrschte eine markteuphorische Aufbruchsstimmung, die man sich heute nur noch schwer vorstellen kann. Vor der Jahrtausendwende galt es mehr oder minder als ausgemacht, dass der Aufbruch in die „Wissensgesellschaft“ dem Kapitalismus ein neues goldenes Zeitalter entfesselter „Wertschöpfung“ bescheren würde.[15]

Etwa 130 Jahre zuvor hatte Marx im „Maschinenfragment“ die Gegenperspektive zu dieser das gesellschaftliche Klima Ende des 20. Jahrhunderts bestimmenden Erwartung vorformuliert. Der Aufstieg der Wissenschaft zur Hauptproduktivkraft, so Marxens Kernaussage in den einschlägigen Passagen der Grundrisse, zerstört die Grundlage der auf dem Wert beruhenden Produktionsweise und führt unweigerlich zu deren Zusammenbruch. Schon in der ersten Ausgabe unserer Zeitschrift haben wir diesen Gedanken dahingehend aufgegriffen, dass Marxens Vision mit der Dritten industriellen Revolution dabei sei, Wirklichkeit zu werden. Denn die Mikroelektronik, als Ausgeburt der Wissenschaft, ist eine universell einsetzbare Technologie, die eine umfassende Prozessautomatisierung quer durch alle Bereiche der Produktion, der Distribution und der Verwaltung ermöglicht und daher ganz andere Folgen für das System der kapitalistischen Reichtumsproduktion zeitigt als die großen technologischen Revolutionen der Vergangenheit. Hatten Innovationen wie die Dampfmaschine, der mechanische Webstuhl und der Verbrennungsmotor vor allem die Erschließung neuer Felder der kapitalistischen Warenproduktion bedeutet und damit zusätzliche produktive Arbeitsvernutzung ermöglicht, so wirkt die Mikroelektronik als Rationalisierungstechnologie par excellence. Die für die Produktion von neuen digitalen Produkten wie Computern, Handys usw. notwendige Arbeit steht in keinem Verhältnis zu der Masse an Arbeitskraft, die im Gefolge der Digitalisierung in allen bestehenden Produktionszweigen freigesetzt wird.

Unsere krisentheoretische Arbeit war über viele Jahre hinweg darauf fokussiert, die These von der fundamentalen Krise der Wertproduktion zu untermauern und zu konkretisieren. Trotzdem spielte in unserer Argumentation auch das Phänomen des „fiktiven Kapitals“ immer schon eine wichtige Rolle. Denn nur die Aufblähung der Finanzmärkte lieferte die Erklärung dafür, warum die globale Kapitalakkumulation vorerst nicht zum Erliegen kam, obwohl die Verwertungsbasis aufgrund der Verdrängung lebendiger Arbeit längst strukturell im Schrumpfen begriffen war. Damit stellten wir uns allerdings nicht nur gegen den neoliberalen Mainstream, sondern auch gegen die große Mehrheit der Linken. Denn während die neoliberalen Ideologen sich durch den Börsenboom in ihren Zukunftserwartungen bestätigt sahen und in Euphorie schwelgten, fanden sich die meisten Linken resigniert damit ab, dass der Kapitalismus nun endgültig gesiegt habe. Demgegenüber insistierten wir darauf, dass die fundamentale Krise nur aufgeschoben sei, weil eine auf dem beständigen Vorgriff auf künftige Wertproduktion beruhende Akkumulation auf Dauer nicht durchzuhalten ist. Dieser Diagnose wegen wurden wir von beiden Seiten als „Katastrophisten“ und „Apokalyptiker“ abgetan.[16]

In eurem Manifest gegen die Arbeit aus dem Jahr 1999, das ja auch in Brasilien erschienen ist, habt ihr eure Kritik an der Arbeit sehr pointiert formuliert. Könnt ihr kurz erläutern, wie das Manifest in der Öffentlichkeit rezipiert wurde und welche Bedeutung es für die Verbreitung der Wertkritik hatte?

Norbert Trenkle: Das Manifest gegen die Arbeit[17] ist zweifellos die Publikation der Gruppe Krisis, die am meisten Verbreitung gefunden hat. Es wurde in mindestens neun Sprachen übersetzt und ist auf unserer Website bis heute einer der Texte, der am häufigsten angeklickt wird. Außerdem kursiert es auf sehr vielen Seiten im Internet. Der Grund für dieses starke Interesse ist sicherlich, dass die polemisch zugespitzte Kritik an der Arbeit ein weit verbreitetes Leiden am kapitalistischen Arbeitszwang und der zunehmenden Prekarisierung der Arbeitsbedingungen anspricht.

Natürlich gab es auch heftige Kritik am Manifest, vor allem von Seiten der traditionellen Linken, der ein Manifest gegen die Arbeit ungefähr so unsinnig erscheint wie ein Manifest gegen die Schwerkraft. Für sie ist die Arbeit ein überhistorisches Prinzip der Vergesellschaftung, das nicht aufgehoben werden kann. Auch in einer befreiten Gesellschaft würden sich also die Menschen über die Arbeit miteinander vergesellschaften, also ihre Beziehung zur Gesellschaft über die Arbeit herstellen. Der Unterschied zur kapitalistischen Gesellschaft bestünde dann nur darin, dass die Vermittlung über die Arbeit „bewusst“ organisiert würde. Das ist aber ein Widerspruch in sich, denn die Vermittlung über die Arbeit ist – wie Moishe Postone es ausführlich dargelegt hat – ihrem Wesen nach eine verdinglichte Form der Vermittlung.[18] Sie ist Ausdruck einer Herrschaft der toten Dinge – der Arbeitsprodukte – über die Menschen und liegt als solche dem Fetischismus der Warenwelt zugrunde.

Ich habe aber den Eindruck, dass die Fixierung auf die Arbeit als positives Prinzip vor allem in der jüngeren Generation nicht mehr so stark vorhanden ist. Gerade in letzter Zeit beobachten wir beispielsweise ein zunehmendes Interesse am Manifest aus dem Spektrum der Degrowth-Bewegung. Hier stellen sich allerdings, aufgrund des theoretischen Bezugsfeldes, andere Probleme in der Rezeption. Die Kritik der Arbeit wird hier oft so verstanden, als könne man individuell aus den vorherrschenden Zwängen aussteigen, etwa durch Konsumverzicht, oder sich in kleine lokale Projekte zurückziehen. So ist unsere Kritik der Arbeit aber nicht gemeint – und ich denke, wir haben das im Manifest auch deutlich gemacht. Vielmehr haben wir die Arbeit in den Mittelpunkt der Kritik gestellt, weil sie das zentrale Prinzip der gesellschaftlichen Vermittlung im Kapitalismus darstellt und sich deshalb von hier aus die fundamentale Kritik an dieser Gesellschaft entwickeln lässt. Die Aufhebung der Arbeit kann deshalb auch kein individueller oder isolierter lokaler Akt sein, sondern ist nur im Kontext einer breiten Emanzipationsbewegung möglich, die auf eine umfassende gesellschaftliche Transformation zielt.

Ein weiteres Problem bei der aktuellen Rezeption des Manifests sehen wir darin, dass dieses mittlerweile fast 20 Jahre alt ist und daher naturgemäß nicht den aktuellen Stand unserer Theoriebildung und Krisenanalyse widerspiegelt. Deshalb haben wir für die vierte Druckauflage des Manifests in deutscher Sprache, die Ende 2018 erscheinen soll, ein ausführliches, aktualisierendes Nachwort verfasst, das einen Überblick über die – keinesfalls nebensächlichen – theoretischen Neuerungen der letzten 15 bis 20 Jahre gibt und zugleich auch auf die Zuspitzung des Krisenprozesses eingeht, der seitdem stattgefunden hat.

Einige dieser theoretischen Neuerungen habt ihr In eurem Buch „Die große Entwertung” von 2012 dargestellt. Darin unternehmt ihr den Versuch, anknüpfend an eure Krisentheorie, die Ursachen der Finanzkrisen von 2008 zu erklären und den Begriff des fiktiven Kapitals weiterzuentwickeln. Welche sind die wichtigsten Gedanken des Buches?

Ernst Lohoff: Der Kerngedanke der wertkritischen Krisentheorie, die fundamentale Krise der Wertproduktion, ist natürlich auch Ausgangspunkt des Buches Die große Entwertung[19] und wird in dessen erstem Teil noch einmal mit einigen Präzisierungen und Ergänzungen entwickelt. Die eigentlichen theoretischen Innovationen finden sich freilich im zweiten und dritten Teil und betreffen das fiktive Kapital, also die finanzindustrielle Kapitalakkumulation und deren spezifische Bewegungsgesetze.

Das hat seinen guten Grund: Gemessen an der kategorialen Klarheit, mit der in den 1980er und 1990er-Jahren von wertkritischer Seite die Krise der Wertverwertung analysiert wurde, waren die Ausführungen zur Kategorie des „fiktiven Kapitals“ vor Die große Entwertung defizitär. Wir griffen diesen in der marxistischen Diskussion bisher äußerst stiefmütterlich behandelten Begriff zwar auf, jedoch in einer gegenüber den Essentials einer traditionsmarxistischen Akkumulationstheorie ambivalenten Interpretation. Der überkommene Marxismus kennt im Grunde nur auf Mehrwertakkumulation beruhende Kapitalakkumulation und betrachtet das Finanzmarktgeschehen letztlich als Nullsummenspiel, das auf bloße Umverteilung bereits existierenden kapitalistischen Reichtums hinausläuft. Indem der wertkritische Ansatz darauf insistierte, das fiktive Kapital habe die Wertverwertung schon seit Jahren als die treibende Kraft der Kapitalakkumulation ersetzt, billigte er dem Finanzmarktgeschehen eine mit dem traditionsmarxistischen Verständnis unvereinbare Eigenbedeutung im Akkumulationsprozess zu. Die grundlegende Differenz zwischen der Bildung von fiktivem Kapital und der auf Wertverwertung beruhenden Kapitalakkumulation wurde aber in einer Art und Weise begründet, die diesen Bruch wieder halb zurücknahm. Zur Verdeutlichung des prekären Charakters fiktiver Kapitalschöpfung mussten Ausdrücke wie „Scheinakkumulation“ herhalten, die, statt etwas zu erklären, an ein „echtheitsmetaphysisches“ Vorverständnis appellierten, demzufolge eigentlich doch nur die „Realwirtschaft“ wirklich zählt, während die Finanzsphäre die realen wirtschaftlichen Zusammenhänge bloß verschleiert.

Die große Entwertung geht entscheidende Schritte weiter und füllt die Lücke in der wertkritischen Theoriebildung. Dort wird, anknüpfend an die Fragment gebliebenen Überlegungen von Marx zum zinstragenden Kapital aus dem dritten Band des Kapital, eine eigene Kritik der Politischen Ökonomie fiktiver Kapitalbildung entwickelt. Diese hat folgenden Ausgangspunkt: Wie schon Marx festgestellt hat, verhilft die Vergabe eines Kredits oder die Ausgabe von Aktien dem veräußerten Geldkapital zu einer zeitlich befristeten Doppelexistenz. Neben die ursprüngliche Geldsumme, die dem Schuldner oder dem aktienemittierenden Unternehmen zur Verfügung steht, tritt für die Laufzeit des Kredits oder die Lebenszeit der Aktie der monetäre Anspruch des Geldgebers. Wird dieser monetäre Anspruch selber wiederum zu einer handelbaren Ware, dann wird diese Verdoppelung akkumulationstheoretisch relevant. In diesem Fall repräsentiert das Spiegelbild des Ausgangskapitals nämlich genauso einen Teil des kapitalistischen Gesamtreichtums wie das Originalkapital selber. Dieser seltsame Mechanismus bildet im heutigen Kapitalismus die Grundlage der globalen Kapitalakkumulation. Solange die Masse der Finanztitel, also der als Ware handelbaren monetären Ansprüche, immer schneller anschwillt, kann auch das System des abstrakten Reichtums insgesamt auf Expansionskurs bleiben.

Auch wenn das in Widerspruch zu den Lehrbuchweisheiten der VWL und den Vorstellungen des traditionellen Marxismus steht – den Finanzmärkten wohnt eine eigene Kapitalbildungspotenz inne, und diese ist mit der gewaltigen Expansion dieses Sektors zum eigentlichen Motor des kapitalistischen Gesamtbetriebes geworden. Die Dominanz der finanzindustriellen Akkumulation bedeutet freilich keine völlige Entkoppelung des Akkumulationsprozesses von der Realwirtschaft. Davon kann schon deshalb keine Rede sein, weil die finanzindustrielle Kapitalbildung selber auf ihre Weise immer auf realwirtschaftliche Größen bezogen bleibt. Sie setzt zwar keine bereits stattgefundene Verwertung, also Mehrwertproduktion, voraus, aber sie kapitalisiert Gewinnerwartungen der Zukunft, oder anders gesagt, sie stellt die Akkumulation von zukünftig erst zu produzierendem Wert dar. Als solche aber ist sie abhängig von Erwartungen und Hoffnungen auf zukünftige Gewinnsteigerungen in den Gütermärkten oder jedenfalls in bestimmten Gütermärkten: kein Immobilienboom ohne die Perspektive steigender Immobilienpreise, keine Hausse an den Börsen ohne die Hoffnung auf künftige Unternehmensgewinne.

Diese Abhängigkeit von realwirtschaftlichen Hoffnungsträgern erklärt die Krisenträchtigkeit der Epoche des fiktiven Kapitals. Immer wenn sich solche Erwartungen als Illusionen erweisen und Spekulationsblasen platzen, gerät nicht nur die notwendige Neubildung fiktiven Kapitals ins Stocken, auch bereits angehäuftes fiktives Kapital verliert nachträglich seine gesellschaftliche Gültigkeit. Wie zuletzt die globale Krise von 2008 zeigte, droht dann eine wirtschaftliche Abwärtsspirale, in welcher der durch die Aufblähung des Finanzüberbaus überspielte basale Krisenprozess manifest wird. Verhindern lässt sich das auf nur einem Weg: durch die Schaffung neuer noch größerer Mengen an fiktivem Kapital an anderer Stelle, zur Not unter tätiger Mithilfe der Zentralbanken. Allerdings ist auch diese „Lösung“ nur eine Lösung auf Zeit. In dem Maß wie die potentiellen „realwirtschaftlichen“ Hoffnungsträger dahinschwinden und die zu entsorgenden Berge verbrannter kapitalistischer Zukunft sich immer höher türmen, erreicht auch der von der finanzindustriellen Akkumulation getragene Kapitalismus seine innere Schranke.

Daraus erklärt sich auch, weshalb In den jüngsten Publikationen der Gruppe Krisis von einem „neuen Typ des Kapitalismus“ gesprochen wird, von einem „invertierten Kapitalismus“ in einer „Ära des fiktiven Kapitals“. Welche theoretischen Neuerungen transportieren diese Formulierungen im Verhältnis zum bisherigen Ansatz der „Wertkritik“?

Ernst Lohoff: Der Begriff Inversion hebt zunächst einmal darauf ab, dass bei der Entstehung von fiktivem Kapital sich grundsätzlich die zeitliche Ordnung von Wert- und Kapitalbildung gegenüber der Bewegung des fungierenden Kapitals umkehrt. Im Kreislauf des fungierenden Kapitals ist die Neubildung von Kapital stets Ergebnis des Verwertungsprozesses. Erst kommt die Verwertung, dann die Kapitalbildung. Dagegen geht die Bildung fiktiven Kapitals über den Mechanismus der Verdoppelung des Ursprungskapitals dessen möglicher Verwertung immer voraus. Noch nicht geschaffener Wert verwandelt sich vorab in gesellschaftliches Zusatzkapital. Auf dieser Form der Kapitalbildung durch Wertantizipation beruht, wie schon gesagt, seit den 1980er-Jahren das gesamte kapitalistische Weltsystem. Damit ist aber – und darauf hebt der Begriff „inverser Kapitalismus“ primär ab – das Verhältnis von Finanzsphäre und fungierendem Kapital auf den Kopf gestellt.

Von der allgemeinen Logik der kapitalistischen Gesellschaft aus betrachtet, handelt es sich bei den Geld- und Kapitalmärkten um eine abgeleitete Sphäre. Dass Geldkapital zur Ware wird und eigene Märkte für den Handel mit dieser spezifischen Ware entstehen, setzt bereits voraus, dass die Güterproduktion die Gestalt von Warenproduktion angenommen hat und dem Zweck der Kapitalverwertung unterworfen ist. Insofern kann man vom Finanzüberbau reden, der die Welt des fungierenden Kapitals überwölbt. Im heutigen Kapitalismus ist aber dieser „Finanzüberbau“ zum Hauptträger der Kapitalakkumulation geworden und damit paradoxerweise zur Basisindustrie des Gesamtsystems. Die Rendite-Macherei in der Finanzsphäre ist nicht mehr wie im klassischen Kapitalismus das Anhängsel der Mehrwertauspressung, vielmehr hat sich umgekehrt die Akkumulation des fungierenden Kapitals in eine abhängige Variable der Bildung fiktiven Kapitals verwandelt. Um diese Verkehrung auszudrücken, haben wir den etablierten, aber akkumulationstheoretisch nichtssagenden Terminus „finanzmarktdominierter Kapitalismus“ durch den Begriff des „inversen Kapitalismus“ ersetzt.

Der Ausdruck „Epoche des fiktiven Kapitals“ hat einen ähnlichen Hintergrund und stellt eine Art Gegenbegriff zu den üblichen Kennzeichnungen des jüngsten Entwicklungsstadiums des Kapitals als „Zeitalter der Globalisierung“ oder als „Zeitalter des Neoliberalismus“ dar. Erstere Bezeichnung bleibt vage und rein deskriptiv, letztere stellt die Frage der dominanten Ideologie ins Zentrum. Der Begriff „Epoche des fiktiven Kapitals“ zeigt an, was unserer Analyse zufolge das strukturelle Hauptcharakteristikum des heutigen Kapitalismus darstellt.

Die Theorie des „inversen Kapitalismus“ ist in der Tat gegenüber dem früheren Stand der wertkritischen Theoriebildung mit einigen Neuerungen verbunden. Schon die Fragestellung, unter der das Problem fiktiver Kapitalschöpfung betrachtet wird, hat sich entscheidend verändert. In den 1980er und 1990er-Jahren wollten wir nur den Nachweis führen, warum es sich bei der Akkumulation von fiktivem Kapital um eine höchst prekäre Form der Kapitalbildung handelt. Die erkenntnisleitende Fragestellung in unserem Buch Die große Entwertung lautet: Wie funktioniert diese ebenso prekäre wie wundersame Form der Kapitalbildung überhaupt? In den älteren Texten war immer nur das (baldige) Ende der Dynamik fiktiver Kapitalschöpfung das Thema. Die innere Logik der Epoche wurde also von ihrem vorweggenommenen Ende her gedacht, und deshalb blieb die Analyse unscharf. Unser neuer Ansatz ist darauf ausgerichtet, die Binnengeschichte der Epoche des fiktiven Kapitals zu analysieren. Dazu bedarf es aber eines entsprechenden kategorialen Instrumentariums, mit dem sich die Vermehrung fiktiven Kapitals als eine eigene Form von Kapitalakkumulation begreifen lässt. In Die große Entwertung haben wir dieses Instrumentarium entwickelt und in weiteren, sich anschließenden Texten die Analyse dann vertieft und präzisiert.[20]

Die Verschiebung des Erkenntnisschwerpunkts ist selbstverständlich auch eine Antwort auf die veränderte historische Situation. Als wir unsere Krisentheorie das erste Mal formulierten, begannen gerade die goldenen Jahre des inversen Kapitalismus. Dementsprechend konnte unsere Krisentheorie nur prognostisch ausgerichtet sein. Spätestens mit dem Crash von 2008 ist die Krise des auf der Dynamik fiktiver Kapitalschöpfung beruhenden Kapitalismus offenkundig geworden. Schon aus diesem Grund musste der wertkritische Ansatz auf Krisendiagnostik umschalten. Er hat die Aufgabe, den Krisenprozess stimmiger zu erklären als andere Theorien. Das setzt aber eine ausgefeilte Theorie fiktiver Kapitalschöpfung voraus.

Es kommt aber noch ein weiterer wichtiger Aspekt hinzu: Angesichts der heute herrschenden Krisenverarbeitungsideologien ist es dringend geboten, anders zu argumentieren als vor dreißig Jahren. Damals wollte niemand im Abheben der Finanzmärkte ein Problem sehen. In den heutigen Krisenverarbeitungsideologien wird dagegen dauernd die angeblich gute und gesunde „Realwirtschaft“ gegen die „krankhaft aufgeblähte“ Finanzsphäre polemisiert. Damit aber wird die prekäre Krisenlösung durch die fortschreitende Akkumulation von fiktivem Kapital zur Krisenursache mystifiziert und zugleich der auf Massenarbeit beruhende Kapitalismus nostalgisch verklärt.[21]

Unter diesen Umständen würde die Wertkritik selber ins Fahrwasser der herrschenden Ideologie geraten, wollte sie im alten Stil die finanzindustrielle Akkumulation als „scheinhaft“ denunzieren. Im Lichte der Theorie des „inversen Kapitalismus“ entpuppt sich die Vorstellung von der Rückkehr zu einem gesunden, auf ehrlicher Arbeit beruhenden Kapitalismus dagegen sofort als Mythos. Sie enthält bereits eine Fundamentalkritik der aktuell vorherrschenden ideologischen Krisenverarbeitung.

Könnt ihr diese Formen der ideologischen Krisenverarbeitung näher beschreiben?

Norbert Trenkle: Ein zentrales Element der ideologischen Krisenverarbeitung seit den 2000er-Jahren und verstärkt seit dem Crash von 2008 ist, wie schon erwähnt, der nostalgische Rückbezug auf den angeblich guten Kapitalismus der fordistischen Epoche, der auf der industriellen Massenarbeit beruhte. Ihm wird das Finanzkapital gegenübergestellt, das als Verursacher der Krise und sowieso allen Übels erscheint. Damit einher geht eine Anbetung des starken Staates und der Nation, die gegen die Globalisierung in Stellung gebracht werden. Das ist der Boden, auf dem Nationalismus und Neo-Autoritarismus gedeihen, die gerade fast überall auf der Welt auf dem Vormarsch sind. Natürlich können diese autoritären Regime die fundamentale Krise keinesfalls lösen; denn die kapitalistische Entwicklung lässt sich nicht zurückdrehen in die Zeiten des Fordismus und einer binnenmarktorientierten Wirtschaftspolitik. Aber das sollte uns nicht beruhigen. Denn diese strukturell bedingte Unfähigkeit wird gewissermaßen „kompensiert“ durch einen umso schärferen rassistischen und sozialen Ausschluss und die verschärfte Repression gegen Oppositionelle und Kritiker, wie wir es beispielsweise aktuell in Ungarn und Polen oder auch der Türkei erleben müssen.

Wenn diese Regime und Bewegungen so viel Rückhalt bei großen Teilen der Bevölkerung finden, hat das wesentlich damit zu tun, dass sie ein bestimmtes identitäres Bedürfnis bedienen, das in der Grundstruktur der modernen Subjektivität angelegt ist. Damit meinen wir das Bedürfnis nach Identifikation mit einem mächtigen Groß- oder Kollektivsubjekt wie der Nation. Diese Identifikation erlaubt es, das allgegenwärtige Gefühl der Ohnmacht zu kompensieren, das letztlich daraus resultiert, dass den Menschen im Kapitalismus ihre eigenen gesellschaftlichen Verhältnisse als scheinbar fremde Macht gegenübertreten, der sie im Grunde ausgeliefert sind. Dieses Gefühl der Ohmacht stellt also eine Grundkonstante der kapitalistischen Subjektivität dar, weil es in der Struktur der Warengesellschaft angelegt ist; aber durch die extreme Volatilität, Unberechenbarkeit und Krisenanfälligkeit des inversen Kapitalismus ist es erheblich verstärkt worden. Deshalb suchen heute immer mehr Menschen einen identitären Halt in imaginierten Großsubjekten und sehnen sich nach einem „starken Mann“ – der in Zeiten der Emanzipation auch eine „starke Frau” sein kann wie etwa Marine Le Pen.

Zur Identifikation mit einem Groß- und Kollektivsubjekt gehört aber auch immer die aggressive Abgrenzung von einem konstruierten „Anderen“, das als fremd und feindlich definiert wird. Jeder Nationalismus grenzt sich gegenüber anderen Nationen ab. Und weil das „eigene Wesen“ sich angeblich immer in einem bestimmten „Volkscharakter“ und einer bestimmten Kultur ausdrückt, werden damit zugleich bestimmte andere Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer Herkunft als „kulturfremd“ und „nicht-dazugehörig“ definiert.[22] Insofern ist auch der Rassismus dem Nationalismus immer schon eingeschrieben. Spiegelbildlich dazu verhält es sich mit dem Antisemitismus. Die „Juden“ werden als „wurzellos“ imaginiert und gelten deshalb als Feind aller Nationen schlechthin. Aus antisemitischer Sicht stecken die Juden nicht nur hinter der Globalisierung und der Finanzialisierung der Wirtschaft, sondern auch hinter den staatlichen und gesellschaftlichen Zerfallsprozessen in aller Welt. Das ist übrigens eine ideologische Figur, die sich keinesfalls nur bei der Rechten findet, sondern auch bei vielen Linken im Kopf herumspukt. Und es verbindet den Antisemitismus mit den unzähligen Verschwörungsideologien, die vor dem Hintergrund des Krisenprozesses immer stärkeren Einfluss gewinnen. Weil die Menschen die kapitalistische Dynamik nicht durchschauen, flüchten sie sich in die Wahnvorstellung, dass die unheimlichen, versachlichten Prozesse, denen sie ausgesetzt sind, von bestimmten mächtigen Gruppen inszeniert und gesteuert werden.[23]

Eure Subjektkritik erschien zunächst als fast schon „esoterisches“ Unterfangen ohne erkennbaren Bezug zum globalen Krisenkapitalismus. Am 11. September 2001 jedoch schriebt ihr, es habe der „Irrationalismus des Systems auf sich selbst zurückgeschlagen“. Was hat sich verändert mit dieser neuen Phase, und wie hat sich dies auf die Entwicklung eurer Theorie ausgewirkt?

Norbert Trenkle: Die Attentate vom 11. September 2001 stellen sicherlich einen historischen Einschnitt dar, der fast so bedeutsam ist wie der Zusammenbruch des Realsozialismus; denn er hat nicht nur die Koordinaten der Weltpolitik, sondern auch die des ideologischen Krisendiskurses grundlegend verschoben. Das konnte nicht ohne Konsequenzen für unsere Theoriebildung bleiben. Im so genannten Westen wird der Islamismus fast durchwegs als eine Art archaisches Aufbegehren gegen die Moderne wahrgenommen, als eine „Rückkehr des Mittelalters“. Demgegenüber werden die „abendländischen Werte“ und die Errungenschaften der Aufklärung beschworen, die notfalls auch mit Kampfbombern zu verteidigen seien. Damit wird aber geflissentlich überdeckt, dass erstens die „abendländischen Werte“ im Kern die Rationalität und die Imperative der kapitalistischen Gesellschaftsformation repräsentieren und somit keinesfalls so hell leuchten, wie behauptet wird.[24] Und zweitens wird ausgeblendet, dass die dunkle Rückseite dieser Rationalität eben jener gewalttätige und autoritäre Irrationalismus ist, der in Zeiten der Krise und allgemeiner Verunsicherung überall an die Oberfläche drängt und immer mächtiger wird.[25]

Dieser Irrationalismus präsentiert sich oft genug in pseudo-archaischen Gewändern, obwohl er seinem Wesen nach integraler und untrennbarer Bestandteil der kapitalistischen Moderne ist und erst von ihr hervorgebracht wurde. Das gilt etwa für den Faschismus im Allgemeinen und den Nationalsozialismus im Besonderen, die sich durch historische Erzählungen definierten, die ungefähr soviel Wahrheitsgehalt besaßen, wie das Märchen vom Rotkäppchen. Dass diese Erzählungen zur Triebkraft hysterischer Massenmobilisierungen werden konnten, liegt daran, dass sie den Stoff für bestimmte Kollektividentitäten liefern, die, wie oben schon gesagt, eine ungeheure Sogwirkung auf die modernen, subjekthaft formatierten Individuen ausüben. Die Archaisierung ist dabei kein Zufall, sondern elementares Konstruktionsprinzip. Denn eine Kollektividentität wie „die deutsche Volksgemeinschaft“ verspricht den kapitalistischen Monaden genau deshalb ein trügerisches Gefühl der Geborgenheit, weil sie als überhistorische Konstante erscheint. Im tosenden Ozean des kapitalistischen Alltags mit seinen ständigen Veränderungen und seinen permanenten Ansprüchen an individuelle Flexibilität und Selbstbehauptung stellt sie sich als eine scheinbar unveränderliche, ursprüngliche Wesenheit dar und verspricht als solche eine transzendente Aufgehobenheit, wie sie früher nur die Religionen vermittelten. Nationalismus, Faschismus, aber auch der traditionelle Sozialismus sind daher ganz zu Recht als säkulare Religionen bezeichnet worden.

Aber auch der Islamismus ist eine höchst moderne, identitäre Bewegung genau in dem gleichen Sinne wie der Faschismus oder der Nationalismus. Deutlichstes Indiz dafür ist, was auf den ersten Blick paradox erscheint: die besondere Vehemenz mit der er die radikale Rückkehr zum „wahren Islam“ und dessen angeblichen Grundlagen proklamiert. Hierbei handelt es sich um das oben angesprochene Konstruktionsmuster moderner Kollektividentitäten, die Berufung auf scheinbar uralte Traditionen und darin verankerte, unhinterfragbare Normen. Mit traditioneller Religiosität hat der Islamismus aber rein gar nichts zu tun, was sich auch darin zeigt, dass Gruppierungen wie die Taliban oder der IS gerade die traditionellen Erscheinungsformen des Islam wie den Sufismus besonders brutal bekämpfen und sogar uralte islamische Heiligtümer in die Luft sprengen. Und auch der vehemente Wahrheitsanspruch, den jede der vielfach fragmentierten islamistischen Bewegungen und Gruppierungen für sich in Anspruch nimmt und militant gegen alle anderen vertritt, verweist auf ihren modernen Charakter. Denn Identitäten sind ihrem Wesen nach exklusiv. Sie zeichnen sich durch scharfe Abgrenzungen zwischen einem Innen und einem Außen aus, die durch die Konstruktion von wesensfremden und grundsätzlich feindlichen „Anderen“ vollzogen wird. Im Nationalismus sind das natürlich die „anderen Völker“, die das „eigene Volk“ bedrohen und ihm den Lebensraum streitig machen. Im Islamismus sind es eben die „Kreuzfahrer“ und die „Ungläubigen“. Diese Feindbestimmung hat viel mehr mit Carl Schmitt zu tun als mit dem Koran.

Im Grunde ist der Islamismus, jedenfalls der Islamismus in seinen gewalttätigen und terroristischen Ausprägungen, eine an sich selbst verrückt gewordene Modernisierungsbewegung. In der Aufstiegsphase des Kapitalismus war die Bildung nationaler Identitäten in all ihrer Gewaltsamkeit noch ein Moment im Prozess der Etablierung warengesellschaftlicher Produktions- und Lebensverhältnisse. Im militanten Islamismus hingegen gerät die Identitätspolitik zu einem Moment der beschleunigten Zerstörung eben jener Verhältnisse, vor allem dort, wo diese bereits zuvor prekär geworden sind. Der Islamismus ist ja insbesondere dort erfolgreich, wo der Staat und die nationalen Identitäten ohnehin schwach ausgeprägt sind oder sich im Prozess des Zerfalls befinden wie im arabischen Raum oder im Mittleren Osten. Zugleich ist er aber auch sehr attraktiv für Immigranten sowie deren Kinder und Enkel in den westlichen Ländern, die dort von den vorherrschenden nationalen Erzählungen ausgeschlossen und als nicht-dazugehörig definiert werden. Ihnen bietet der Islamismus genau den kollektiv-identitären Halt, den ein Teil ihrer nicht-migrantischen Altergenossen in nationalistischen Identitäten oder rechten Gruppierungen findet.[26]

Es ist klar, dass das im westlichen Diskurs über den Islamismus so gut wie gar nicht thematisiert wird; denn das würde ja bedeuten, sich über den Gewaltkern der bürgerlichen Subjektform und ihrer irrationalen Rückseite Rechenschaft abzulegen – und das soll mit aller Kraft vermieden werden. Vielmehr dient der Islamismus als Projektionsfläche für all das, was der Westen an sich selbst nicht sehen will. Auf diese Weise können die immanenten Konflikte der globalen Warengesellschaft, die sich im Zuge des Krisenprozesses immer weiter verschärfen, ethnisiert werden. Es erscheint dann so, als würde das „westliche Lebensmodell“ von einem äußeren Feind bedroht, und es kann wunderbar verdrängt werden, dass die kapitalistische Produktions- und Lebensweise, die längst überall auf der Welt gleichermaßen herrscht, an ihren eigenen inneren Widersprüchen katastrophisch zerbricht.[27]

Wie schätzt ihr vor diesem Hintergrund den weiteren Verlauf des Krisenprozesses ein? Und welche Rolle spielen dabei die subjektiven und ideologischen Verarbeitungsformen, die ihr beschrieben habt?

Ernst Lohoff: Die Frage nach dem weiteren Krisenverlauf lässt sich nicht beantworten, ohne zunächst einmal ein paar Worte über das gegenwärtige Entwicklungsstadium des inversen Kapitalismus zu verlieren. Der große Einbruch von 2008 war zwar nicht der erste große Rückschlag, den das System der globalen Wertantizipation hinnehmen musste, aber mit Abstand der einschneidendste. Zweierlei machte seine neue Qualität aus. Erstens betraf der Crash von 2008, im Unterschied etwa zur Ostasienkrise von 1997/98, nicht nur eine bestimmte Weltregion, sondern sämtliche kapitalistischen Kernstaaten. Und zweitens brach diesmal, anders als beim Dot-com Crash von 2000, nicht nur ein einzelner Sektor weg, der als Hoffnungsträger für die Erzeugung fiktiven Kapitals diente; vielmehr war 2008 das Herzstück des Finanzüberbaus betroffen: das Bankensystem. Deshalb drohte der Totalzusammenbruch des Systems der Wertantizipation und damit der Weltwirtschaft. Angesichts dieser Gefahr riefen die Regierungen und Zentralbanken der Welt in einer konzertierten Aktion den finanz- und geldpolitischen Ausnahmezustand aus – und das durchaus mit Erfolg.

Durch die Notverstaatlichung toxischen fiktiven Kapitals, den Aufkauf von Staatspapieren durch die eigenen Notenbanken und eine Politik negativer Zinsen haben sie nicht nur den Kollaps der Blasenwirtschaft verhindert, sondern ein Treibhausklima geschaffen, in dem die private Bildung fiktiven Kapitals noch einmal einen gewaltigen Schub erlebte. Auf diese Weise kam die weltwirtschaftliche Dynamik noch einmal in Gang. Auch wenn die Notenbanken ihre „unkonventionelle“ Geldpolitik als kurzfristige Notmaßnahme legitimierten, schrecken sie aus gutem Grund bis heute davor zurück, den Kurs des ultrabilligen Geldes wieder aufzugeben. Denn auch wenn die Börsen der USA, Europas und Asiens regelmäßig neue historische Rekordstände melden, die Dynamik innerprivatwirtschaftlicher Erzeugung fiktiven Kapitals ist bis heute zu labil, um ohne Dauerstützung durch die Notenbanken auszukommen.

Mit der Krise von 2008 hat sich also ein System der Public Private Partnership herausgebildet, in dem die gesamte Geldpolitik nur darauf ausgerichtet ist, die Neubildung privaten fiktiven Kapitals am Laufen zu halten. In gewisser Weise ist der „inverse Kapitalismus“ damit auf der Entwicklungsstufe angelangt, die der klassische Kapitalismus in den 1970er-Jahren erreicht hatte, als die Wachstumsschwäche durch verzweifeltes keynesianische deficit-spending bekämpft wurde. Das ist aber zugleich auch ein Indiz dafür, dass diese Form des Krisenaufschubs zunehmend an ihre Grenzen stößt. Es ist vollkommen klar, dass auch die heutigen Blasen, die überhaupt erst durch die aktive Hilfe der Geldpolitik entstanden sind, früher oder später platzen werden. Zwar lässt sich nicht zuverlässig vorhersagen, wann das geschehen wird, aber vor allem beim chinesischen Immobiliensektor ist ein Crash eigentlich längst überfällig.

Hinzu kommt, dass nicht nur die inneren ökonomischen Widersprüche auf Entladung drängen, Gefahr droht inzwischen auch noch aus einer ganzen anderen Richtung, nämlich vonseiten der Politik. Dreißig Jahre lang haben die Regierungen der kapitalistischen Kernstaaten mit ihrer Wirtschaftspolitik ausgezeichnete Rahmenbedingungen für die transnationale, von der Dynamik des fiktiven Kapitals getragene Kapitalakkumulation geschaffen. Es hat sich eine neue internationale Arbeitsteilung herausgebildet, die die Weltwirtschaft bis heute am Laufen hält. Sie besteht darin, dass Länder wie die USA und Großbritannien permanent fiktives Kapital auf den Weltmarkt werfen und immer höhere Schulden anhäufen, was es anderen Ländern, insbesondere China und Deutschland, ermöglicht, auf den Gütermärkten zu reüssieren und dort Exportüberschüsse zu erzielen. Doch inzwischen geben in einigen zentralen kapitalistischen Staaten politische Kräfte den Ton an, die diese seltsame Ordnung infrage stellen und den gemeinsamen Rahmen der globalen Akkumulation demontieren wollen.

Denn die identitätspolitischen Reaktionsbildungen auf den Krisenprozess und die durch ihn erzeugte gesellschaftliche Verunsicherung bilden sich zunehmend auch in den Regierungsbildungen ab. Die Wahl von Donald Trump war in dieser Hinsicht sicherlich ein Paukenschlag. Und dass in Brasilien, gerade während wir dieses Interview fertigstellen, ein Rechtsextremer die Wahlen gewonnen hat, ist nichts weniger als eine Katastrophe. Überall sind nationalistische Bewegungen und Parteien, rechte wie linke, auf dem Vormarsch. Sie alle streben eine zumindest partielle nationale Entkopplung vom Weltmarkt, von den internationalen Finanzmärkten und von supranationalen Organisationen wie der EU an und versprechen damit. „ihren” Ländern wieder einen größeren politischen Handlungsspielraum zu verschaffen. Natürlich ist das eine böse Illusion. Was der „eigenen Nation” Vorteile auf Kosten der anderen verschaffen soll, läuft auf eine Verschärfung der Krise nach innen und außen hinaus. So ist jetzt schon absehbar, dass der EU-Austritt Großbritanniens, der den Finanzplatz London von seinem kontinentaleuropäischen Hinterland zu trennen droht, sich verheerend auf die wirtschaftliche Lage in diesem Kernland des Neoliberalismus auswirken werde. Die Rückwirkung auf die EU dürfte demgegenüber begrenzt bleiben. Anders sieht es aus mit den Konsequenzen der US-Poliitk. Sollte die Trump-Administration mit den angedrohten Importrestriktionen ernst machen, dann zerschlägt sie damit das Schwungrad der Weltwirtschaft. Es hat etwas Suizidales, wenn die USA einem Land, das ein Drittel der US-amerikanischen Staatspapiere hält, nämlich China, den Wirtschaftskrieg erklärt. Ein solches Vorgehen schlägt unweigerlich auf die Finanzmärkte und damit auch auf die „Realwirtschaft“ zurück und würde überdies die USA schnurstracks in den Staatsbankrott treiben.

In der Krise von 2008 hatte das gemeinsame pragmatische und massive Eingreifen der Regierungen und Zentralbanken noch den ganz großen Entwertungsschub verhindert. In der nächsten Krisenrunde dürfte die Politik eher eine krisenverschärfende Rolle spielen. Wenn die Regierungen kapitalistischer Kernstaaten dazu übergehen, vor allem die identitären Bedürfnissen ihrer Wählerschaft zu bedienen und damit ein extrem partikulares Kalkül verfolgen, dann droht das eine Dynamik in Gang zu setzen, an deren Ende der katastrophische Zerfall der Weltwirtschaft steht.[28]

Norbert Trenkle: Wir erleben insofern gerade einen weiteren qualitativen Sprung im Krisenprozess. Die Politik ist nicht mehr bloß in der Krise, wie wir es schon lange diagnostiziert haben, sie ist selbst zu einem integralen, dynamischen Moment der Krise geworden. Das gilt nicht nur für den ökonomischen Krisenprozess im engeren Sinne, sondern genauso für die Sphäre der Politik selbst. Die neue Identitätspolitik markiert den Übergang zu einer gewaltsamen und wohl endgültigen Abwicklung der liberal-demokratischen Elemente im Staat. An die Stelle treten aber nicht klassische Diktaturen à la Pinochet oder faschistische Systeme à la Mussolini, sondern brutale autoritäre Regime, die sich mit Mafiabanden und regressiven, fundamentalistischen Kräften verquicken und die gewaltsame Desintegration der Gesellschaft vorantreiben. Wir gehen also düsteren Zeiten entgegen. Die linken Kräfte stehen dieser Entwicklung weitgehend hilflos gegenüber, weil sie sich im Grunde an den Konzepten der Vergangenheit orientieren und weder die Warenproduktion noch den Staat grundsätzlich infrage stellen. Um aus der Defensive zu kommen, bedarf es aber einer neuen Perspektive gesellschaftlicher Emanzipation.[29] Wir denken, dass die Wertkritik dabei eine wichtige Rolle spielen muss.

Endnoten:

[1] Die Endnoten enthalten Verweise auf einige weiterführende Texte zu den Fragen. Fast alle Texte der Gruppe Krisis finden sich auf www.krisis.org

[2]  Editorial Krisis 8/9, Erlangen  1990

[3] Johanna W. Stahlmann: Die Quadratur des Kreises, in Krisis 8/9, Erlangen 1990
Robert Kurz: Der Kollaps der Modernisierung, Frankfurt/M. 1991

[4] Robert Kurz: Abstrakte Arbeit Sozialismus, in Marxistische Kritik 4, Erlangen 1987
Robert Kurz / Ernst Lohoff: Der Klassenkampffetisch, in: Marxistische Kritik 7, Erlangen 1989

Spätere Texte zur Kritik an der Klassenkampfideologie:

Norbert Trenkle:Die metaphysischen Mucken des Klassenkampfs, in: Krisis 29, Münster 2005

Norbert Trenkle:Kampf ohne Klassen, in: Krisis 30, Münster 2006

[5] Peter Klein: Demokratie und Sozialismus, in: Krisis 7, Erlangen 1989

[6] Peter Klein: Moderne Demokratie und Arbeiterbewegung Teil I, Teil 2, Teil 3.1 und Teil 3.2. in: Marxistische Kritik 3, 4, 5 und 5, Erlangen 1987 – 1989

[7] Robert Kurz: Die Krise des Tauschwerts, Marxistische Kritik 1, Erlangen 1986
Ernst Lohoff: Die Inflationierung der Krise, in: Krisis 8/9, Erlangen 1990

[8] Ernst Lohoff: Das Ende des Proletariats als Anfang der Revolution, in: Krisis 10, Erlangen 1991

[9] Robert Kurz: Die verlorene Ehre der Arbeit, in: Krisis 10, Erlangen 1991

Ernst Lohoff: Arbeitsterror und Arbeitskritik, krisis.org 2000

[10] Christian Höner: Zur Kritik von Dialektik, Geschichtsteleologie und Fortschrittsglaube, in: Krisis 28, Münster 2004

[11] Norbert Trenkle: Was ist der Wert? Was soll die Krise?, in: Streifzüge 3/ 1998, Wien

[12] Ernst Lohoff: Das Ende des Proletariats als Anfang der Revolution, in: Krisis 10, Erlangen 1991
Robert Kurz: Postmarxismus und Arbeitsfetisch. In: Krisis 15, Bad Honnef 1995

[13] Roswitha Scholz: Der Wert ist der Mann, in: Krisis 12, Bad Honnef 1992

[14] Karl-Heinz Lewed: Schopenhauer on the rocks, in: Krisis 29, Münster 2005
Ernst Lohoff: Die Verzauberung der Welt, in: Krisis 29, Münster 2005
Karl-Heinz Lewed: Erweckungserlebnis als letzter Schrei, in: Krisis 33, Münster 2010
Norbert Trenkle: Aufstieg und Fall des Arbeitsmanns, in Exner, Andreas et.al. (Hg.): Grundeinkommen, Wien 2007

[15] Zur Kritik dieser Vorstellung: Ernst Lohoff: Der Wert des Wissens, in: Krisis 31, Münster 2007

[16] Ernst Lohoff: Große Fluchten, Wien 2000
Norbert Trenkle: Weltmarktbeben, 2008
Ernst Lohoff: Auf Selbstzerstörung programmiert, Krisis 2/ 2013

[17] Gruppe Krisis: Manifest gegen die Arbeit, Nürnberg 1999

[18] Moishe Postone: Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft, Freiburg 2003, S. 224 ff.

[19] Ernst Lohoff/ Norbert Trenkle: Die große Entwertung, Münster 2012

Ernst Lohoff/ Norbert Trenkle: Interview zu „Die große Entwertung“, Teil 1, Teil 2, Teil 3

[20] Ernst Lohoff: Kapitalakkumulation ohne Wertakkumulation, Krisis 1/ 2014

[21] Norbert Trenkle: Vorwärts in die Regression, in: Merlin Wolf (Hg): Irrwege der Kapitalismuskritik, Aschaffenburg 2017

[22] Ernst Lohoff: Der Tod des sterblichen Gottes, in: Krisis 19, Bad Honnef 1997

[23] Moishe Postone: Nationalsozialismus und Antisemitismus, in Dan Diner (Hg.): Zivilisationsbruch, Frankfurt/ M. 1988
Ernst Lohoff: Geldkritik und Antisemitismus, in: Streifzüge 1/ 1998

[24] Karl-Heinz Lewed: Von Menschen und Schafen, in: Ernst Lohoff u.a. (Hg.): Dead Men Working, Münster 2004

Norbert Trenkle: Kulturkampf der Aufklärung, Krisis 32, Münster 2008

[25] Ernst Lohoff: Gewaltordnung und Vernichtungslogik, in: Krisis 27, Bad Honnef 2003
Ernst Lohoff: Ohne festen Punkt, in: Krisis 30, Münster 2006

Ein früher Text zur Subjektkritik: Ernst Lohoff: Zur Kernphysik des bürgerlichen Individuums, Krisis 13, Bad Honnef, 1993

[26] Karl-Heinz Lewed: Finale des Universalismus, in: Krisis 32, Münster 2008
Ernst Lohoff: Die Exhumierung Gottes, in: Krisis 32, Münster 2008

Ernst Lohoff: Gott kriegt die Krise, in: Jungle World vom 27.9.2006

[27] Norbert Trenkle: Gottverdammt modern, krisis.org 2015

[28] Ernst Lohoff: Die letzten Tage des Weltkapitals, Krisis 5/2016

[29] Norbert Trenkle: Gesellschaftliche Emanzipation in Zeiten der Krise, in: Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie, Nr 61/ 2015
Ernst Lohoff: Out of Order – Out of Control, in: Streifzüge 31/2004 und 32/2004